Lernen

Wie wir dank Bienen neue Trends vorhersagen können

In kollaborativen Lernnetzwerken entstehen oft die besten Ideen. Neue Methoden ermöglichen es, Ideen und Trends bei der Entstehung zu beobachten und sie für das Marketing oder die Rekrutierung zu nutzen.

Das Internet hat sich in den letzten Jahren explosionsartig ausgebreitet. Immer mehr Menschen nutzen Foren, soziale Netzwerke, Blogs und andere Formate, um sich über bestimmte Themen zu informieren oder Kontakte zu pflegen. Man tauscht sich mit Gleichgesinnten über das beste Hotel, über Funktionen eines Mobiltelefons oder die Qualität einer Dienstleistung eines Unternehmens aus (siehe auch Artikel Seite 16). Diese im Internet offen zugänglichen Meinungen und Vergleiche liefern auch wertvolle Informationen über kommende Trends.

Die Basis der Erfolgreichen

Einer, der sich auf das Thema spezialisiert hat, ist Peter A. Gloor. Sein Gebiet ist die Schwarmkreativität. «Die Teilnehmer von Internetforen organisieren sich und ihr Wissen selbst. Sie lassen sich mit Bienenschwärmen vergleichen», sagt der Schweizer Mathematiker und Trendforscher, der als Forscher und Dozent am MIT Center for Collective Intelligence in Boston sowie an den Universitäten Köln und Helsinki tätig ist. «Ein Bienenschwarm ist ein Musterbeispiel für einen sich selbst organisierenden Superorganismus», erklärt Gloor. Bienen sind heute noch sein Lieblingsmodell, nicht nur, weil sein Vater sich in der Freizeit mit Bienenzucht beschäftigte. «Diese gemeinschaftliche Art des Kommunizierens und Entwickelns einer Idee ist die Basis für die wirklich Erfolgreichen.»

Die Schwarmkreativität bezeichnet folgendes Phänomen: Selbstorganisierte Gruppen tun sich im Internet zu Schwärmen zusammen und entwickeln neue Ideen und Konzepte. Auf sozialen Netzwerkplattformen (Stichwort Facebook oder Twitter) werden neue Trends sofort von Gleichgesinnten, den Peer-Groups, aufgenommen und blitzschnell weitergegeben.

Software visualisiert Wissensteilung

«Schöpfer von neuen Ideen sind in der Regel nicht nur sehr kreativ, sondern auch äusserst kommunikativ», so Peter A. Gloor. Auch die Bienen müssen ihre Schwarmgenossinnen von den Vorzügen eines neuen Futterstandorts überzeugen. Eine ähnliche Begeisterung legen die Initianten von neuen Ideen im Internet zutage. «Diese Personen», sagt Gloor, «sind hoch motiviert und zudem sehr gut untereinander vernetzt und bereit, ihr Wissen miteinander zu teilen.» Diese Gruppe, die er Collaborative Innovation Networks (COINs) nennt, sei das Herzstück der virtuellen Teams.

Durch eine am MIT entwickelte Software namens Condor lässt sich die Kommunikation der kollaborativen Lernnetzwerke visualisieren und damit lassen sich die COINs herauskristallisieren. Möglich wird dies, indem beispielsweise E-Mails in einem Unternehmen verfolgt und als Struktur dargestellt werden, oder durch die Beiträge eines Fachblogs von Berufsspezialisten wie etwa Programmierern. Jeder Kontakt wird mit einer Linie visualisiert. Dabei zeigt sich, je sternförmiger ein Liniennetz ist, desto hierarchischer ist die Struktur: Die Kontakte erfolgen vor allem vom Chef zu den Untergebenen und zurück. In einem kollaborativen Innovations- oder Lernnetzwerk, in dem Hierarchien nicht wichtig sind, zeigt das Kommunikationsbild ein gleichmässiges Gewebe zwischen Gleichgesinnten.

Durch diese Analyse von bestimmten sozialen Netzwerken hat man gute Chancen, den neusten Trends auf der Spur zu sein. So wird es möglich, Trends nicht bloss aufzugreifen, sondern sie bereits im Entstehungsprozess zu beobachten und vorherzusagen. Peter A. Gloor, der diese Methode «Coolhunting» nennt, sagt: «Entscheidend für die Erkennung von Trends ist nicht der Trend selbst. Sondern die Köpfe, die den Trend in Bewegung gebracht haben, eben die Coolhunter.» Diese Ergebnisse solcher Analysen lassen sich für verschiedene Geschäftsbereiche nutzen. Eine Analyse spezieller Filmfan-Blogs, beispielsweise der Website «Rotten Tomatoes», machte es möglich, die Trends bei der Oscar-Verleihung vorauszusagen – eine Information, an der Filmproduktionsgesellschaften grosses Interesse haben. Gemäss Peter A. Gloor interessieren sich in der Schweiz bislang vorwiegend innovative Hightech- und Pharmafirmen für die Schwarmtheorie: «Es sind Unternehmen, in denen Wissensmanagement eine wichtige Rolle spielt. Denn die Hauptanwendung liegt darin, die Innovationsfähigkeit zu steigern.»

Mehr als eine Suchmaschine

Bis anhin stecken viele Anwendungen der Schwarmkreativität noch in den Kinderschuhen. Die Kreissparkasse Köln gehört zu den Unternehmen, die Social-Network-Analysen nutzt, und zwar im Onlinemarketing. «Unser Ziel war es, relevante Themen zu den Produkten zu finden, die wir bewerben wollen», so Daniel Oster, Projektleiter für Coolhunting bei der Kreissparkasse Köln. Als Datengrundlage diente das ganze Internet. In einem Fall wurden beispielsweise Blog-Diskussionen zum Stichwort «Kredit» untersucht. «Wir haben mit dieser Methode die Themen identifiziert, die für die Menschen in einem bestimmten Zeitraum gerade wichtig sind.» Einen Grund für den Erfolg sieht Daniel Oster darin, dass die Coolhunter-Software anders funktioniert als herkömmliche Suchmaschinen: Sie gewichtet neben der Relevanz der Beiträge auch den Einfluss der Anwender in ihrem Netzwerk.

Eine weiteres Feld, die Methode zu nutzen, ist die unternehmensinterne Kommunikation: Mit Hilfe der Software von Gloor ist es möglich zu sehen, wie einzelne Geschäftsbereiche miteinander vernetzt sind, wie einzelne Abteilungen in den Informationsfluss eingebunden sind oder wie man diese Einbindung fördern könnte. Hier ist offene Kommunikation aber entscheidend. Und: Die Privatsphäre der Mitarbeitenden muss gewahrt bleiben.

Der Datenschutz könnte auch zum Thema werden, wenn Social Network Analysen zur Rekrutierung von Talenten oder zur Kundensuche angewendet wird. «Die Menschen geben ihre Informationen im Internet bereitwillig weiter. Das kann auch für das Personalmarketing interessant sein», sagt Daniel Oster. Peter A. Gloor sieht ebenfalls Möglichkeiten bei der Rekrutierung von Mitarbeitern, beispielsweise indem man ein Konzept eingibt und die passenden Personen findet: «So findet man Leute, die man sonst nicht finden würde.»

Kleines Trend-Glossar

Schwarmkreativität: Zusammenarbeit virtueller Teams, die sich selbst organisiert und unabhängig formieren und an einer Idee 
arbeiten.

Kollaborative Lernnetzwerke: Gleichgesinnte Menschen, die gemeinsam an einem Thema interessiert sind und darüber diskutieren. Beziehungsstrukturen zwischen den Akteuren einer Trendentwicklung.

COIN (Collaborative Innovation Network): Ist eine virtuelle Gemeinschaft und verkörpert das Herzstück der virtuellen Teams. Sie sind direkt an der Entstehung der Innovation beteiligt (zum Beispiel die Schreibenden von Wikipedia), während die Personen eines CIN (Collaborative Interest Network) oder eines CLN (Collaborative Learning Network) vor allem das Interesse haben, die Informationen zu konsumieren und aus ihnen zu lernen.

Social-Network-Analyse: Das Verfolgen des Wissensflusses innerhalb einer Unternehmung oder im gesamten Internet (etwa zu Marktforschungszwecken). Ursprünglich kommt der Begriff aus der Soziologie und Psychologie und wurde schon in den 1920er/30er Jahren angewendet. Man untersuchte mit Strichlisten, wie Gruppen miteinander funktionieren und kommunizieren.

Coolhunting: Professionelles Aufspüren, Identifizieren und Kommerzialisieren von kommenden Trends.

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Susanne Wagner ist freie Journalistin.

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