Wir lernen nicht für die Schule, sondern fürs Leben*
Die Schule prägt unser Lernen und Arbeiten unser ganzes Leben lang. Innovation im schulischen Bildungswesen sollte daher auch für Unternehmen einen wichtigen Stellenwert haben.
Corporate Learning – Die 7-teilige Adventsserie von Martin Geisenhainer und HR Today. (Bild: iStock/HR Today)
Sobald menschliches Leben sich entwickelt, ist es in lernendem Austausch mit der Umwelt. Lernen geschieht permanent durch Wahrnehmung, Handeln und Reflexion. Insbesondere Neugier und der Wille, etwas zu erreichen, das uns bisher unerreichbar ist, treibt uns zu Lernanstrengungen an. Kleine Menschen erobern sich dadurch in wenigen Jahren Sprach-, Handlungs- und Verhaltenswelten. Dies ohne, dass sie jemand dazu anleitet und dadurch, dass sie selber entscheiden, wo sie Hilfe benötigen. Angetrieben davon, dass sie stets selbst bestimmen, mit welchen Herausforderungen sie sich befassen wollen und wie sie dabei vorgehen.
Schluss mit der Autonomie
Mit dem Eintritt in die Primarschule, mitunter sogar schon davor im Kindergarten, wird den Kindern die Autonomie und das Handlungsprimat genommen. Plötzlich mutiert Lernen zu einem disziplinarisch reglementierten, zentral geplanten Ereignis, das zudem ausserhalb der individuellen Interessenssphäre organisiert wird. Schluss mit Selbstbestimmtheit und Freiheit.
Natürlich gibt es Menschen, die mit dieser Art des Lernens sehr gut zurechtkommen, sowie jene, die innerlich stark und autonom bleiben und die Übergriffe durch die Bildungsinstitutionen an sich abperlen lassen. Die meisten müssen sich jedoch an Rahmenbedingungen anpassen, die nicht zu ihrem Naturell gehören. Das frustriert und mit der Zeit stumpfen diese Personen gegen alle Bemühungen von aussen ab.
Was jedoch alle lernen ist, ihren Weg durch den Bildungsbetrieb zu finden, Unangenehmem auszuweichen und sich zu ducken, wo Auffälligkeit schlecht ankommt. Ebenso, dass ihre persönliche Leistung und deren Bewertung stets in Konkurrenz zu ihren Mitschülerinnen stehen. Und was alle entwickeln, ist eine Haltung, mit der sie sich in diesem System behaupten und darin existieren können.
Derart sozialisiert durchlaufen wir Ausbildung, Studium, Weiterbildung, sowie betriebliche Qualifizierungsmassnahmen. Und entwickeln damit auch unseren Umgang mit den entsprechenden Rahmenbedingungen im Arbeitsumfeld. Wir versuchen, nicht zu sehr aufzufallen; unsere Ziele machen uns zu Wettbewerbern unserer Kolleginnen und wir richten unsere Leistungen darauf aus.
Altes Lernverhalten abstreifen
Organisationen im Wandel der digitalen Transformation brauchen aber eigentlich die kindliche Neugier, und das Streben, sich neue Fertigkeiten und Horizonte selber anzueignen. Schulen, Ausbildungsbetriebe und Universitäten werden das in der Breite auf absehbare Zeit nicht leisten. Hier sind also Personal- und Organisationsentwicklung auf eigene Anstrengungen angewiesen, die sinnvollerweise einen partizipativen Ansatz wählen, um den Mitarbeiterinnen das Verlernen alten Lernverhaltens zu ermöglichen und ihr eigenes, sowie das gemeinsame, vernetzte Lernen der Zukunft mitzugestalten. Und diese gleichzeitig an der Entwicklung notwendiger Strukturen und Rahmenbedingung zu beteiligen.
* Lucius Annaeus Seneca (etwa 1 bis 65 n. Chr.) war ein römischer Philosoph, Dramatiker, Naturforscher, Politiker und als Stoiker einer der meistgelesenen Schriftsteller seiner Zeit. Von ihm stammt unter anderem der Ausspruch «Non vitae sed scholae discimus» («Nicht für das Leben, sondern für die Schule lernen wir»), der später besonders in seiner Umkehrung berühmt wurde und in Wirklichkeit eine Kritik an der aus seiner Sicht zu wenig lebenspraktischen Orientierung der seinerzeit gelehrten Philosophie vermitteln sollte. (Quelle: Wikipedia)
Der nächste Artikel der Adventsserie 2020 zum Thema «Corporate Learning» erscheint am 14. Dezember. Darin werden die Ziele von Lernen näher beleuchtet.