Temporärarbeit

«Wir sind das Öl in der 
Wirtschaftsmaschine»

Die Schweizer Temporärindustrie hat rund 300 000 Angestellte unter Vertrag. Die Top 5 der Branche gehören damit zu den grössten Arbeitgebern der Schweiz. Auf Einladung von HR Today haben sich die fünf Konkurrenten eine lebhafte Diskussion geliefert. Über ihre Positionierung in einem erbittert umkämpften Markt, das Image der Branche, Trends und Wachstumsfelder.

HR Today: Wer sind Sie, wie positionieren Sie sich und was unterscheidet Ihre Firma von der Konkurrenz?

Dinette Koolhaas: Ich habe fast 20 Jahre Erfahrung in der Temporärindustrie und bin 2008 in die Schweiz gezogen, um von hier aus für Kelly das Europageschäft zu leiten. Kelly ist in der Schweiz die Nummer 4 der Branche. Dabei beliefern wir unter anderem die grössten Pharmakonzerne der Schweiz mit den besten Talenten. Unser Ziel ist es, herausragende Talente mit den Unternehmen zusammenzubringen.

Michael Agoras: Adecco ist  Marktleader, was eine anspruchsvolle Position ist, weil viele nach dieser  Marktposition streben. Ich bin schon lange im Geschäft und weiss auch, was es bedeutet, die Nummer 3 oder 2 zu sein und die Nummer 1 anzugreifen.

Koolhaas: Wir sind ganz froh mit der Nummer 4.

Agoras: Das verstehe ich. Da kann man die Nummer 1 lustvoll attackieren.

Robin Gordon: Ich bin CEO und einer von derzeit drei Partnern bei der Interiman Group. Unsere Strategie besteht darin, branchenspezifische Brands mit einem eigenen Online-Auftritt und eigenen Filialen zu entwickeln. Denn unsere Einsatzkräfte im Baubereich, die am Freitag vorbeikommen, um ein Bier zu trinken und ihr Geld fürs Wochenende abzuholen, haben andere Bedürfnisse als die «White Shirt»-Kandidaten, die sich für eine Führungsposition bewerben.

Richard Jager: Ich bin seit drei Jahren in der Schweiz, arbeite aber seit bald 18 Jahren für Randstad. Wir versuchen, überall auf der Welt den gleichen Prozessstandard umzusetzen, wobei wir jeweils auf die nationalen Besonderheiten eingehen. Was Randstad von anderen Firmen unterscheidet? Ich denke, dass technisch gesehen die Prozesse sehr ähnlich sind. Deshalb können nur die eigenen Mitarbeiter den Unterschied machen. Und ich habe definitiv die besten Leute aller anwesenden Firmen. (lacht)

Patrick Maier: Ich habe am 1. September die Geschäftsführung von Manpower Schweiz übernommen. Ich denke, Manpower hat etwas Einmaliges. Nämlich die Kombination aus einem Familienunternehmen, das wir in der Schweiz sind, und dem weltweiten Manpower-Konzern. Damit können wir einerseits global tätige Tenders befriedigen, auf der anderen Seite haben wir einen Investor im Rücken, der nicht auf Quartalszahlen schielt, sondern an langfristigen Partnerschaften mit unseren Kunden interessiert ist. (Zu Richard Jager) Ob du die besten Leute hast, weiss ich nicht. Ich habe jedenfalls auch sehr gute Leute, aber in einem Punkt stimme ich absolut überein: Es sind die Leute, welche den Unterschied machen.

HR Today: Herr Agoras, wie beurteilen Sie als Marktleader den Schweizer Temporärarbeitsmarkt?

Agoras: Der Schweizer Markt ist sehr interessant. Er bewegt sich schnell und ist global gesehen – ähnlich wie der US-Markt – sehr weit in der Entwicklung. Sei es punkto der liberalen Gesetzgebung oder wegen seines flexiblen Arbeitsmarktes.

Koolhaas: Ich bin einverstanden, dass der Schweizer Markt stark entwickelt ist. Wenn wir aber die Penetration betrachten, also die Anzahl der Leute, die in der Schweiz in einer Temporärfirma arbeiten, ist die Zahl tiefer als etwa in Holland, wo Herr Jager und ich herstammen. Betreffend Penetration ist die Schweiz mit 1,7 Prozent nur europäischer Durchschnitt. Holland weist einen Wert von 2,8 Prozent auf und die UK noch höhere Werte. Insofern denke ich, dass die Schweiz in einem Stadium ist, wo der Status unserer Industrie in der Gesellschaft erst allmählich an Respekt gewinnt. Immerhin erkennt man langsam, dass wir zu den grössten Arbeitgebern zählen.

Agoras: Es ist zwar richtig, was Frau Koolhaas betreffend der Penetrationsrate von 1,7 Prozent sagt. Aber diese Rate steigt stark. Die Lohnsumme der Branche beträgt 4,4 Milliarden Franken und hat sich in den letzten zehn Jahren verdoppelt. Die Schweiz hat eine Lohnsumme von zirka 250 Milliarden verteilt auf 
die rund 4,6 Millionen Erwerbstätigen. Dazu kommt: Viele Temporärangestellte arbeiten Teilzeit oder nur teilweise übers Jahr. Das ergibt etwa vier Temporärangestellte auf ein Fulltime-Äquivalent. Die durchschnittliche Einsatzdauer liegt bei etwa 450 bis 500 Stunden. Deshalb ist die Anzahl temporär arbeitender Menschen bedeutend höher als 1,7 Prozent.

HR Today: Konkret?

Maier: Swissstaffing spricht von 300 000 Temporärmitarbeitenden.

Agoras: Vergleichen Sie nun die 300 000 Köpfe mit den 4,6 Millionen Erwerbstätigen? Oder vergleichen Sie die 80 000 Fulltime-Äquivalente mit den 4,6 Millionen? Vergleichen Sie die 300 000 Köpfe mit der Gesamtzahl der Beschäftigten kommen Sie auf einen fast viermal höheren Wert, nämlich auf 6,5 Prozent.

Koolhaas: Das Wichtigste ist, dass man sieht, dass selbst in einem vom Arbeitsgesetz her so liberalen Markt wie der Schweiz sich der Temporärbereich sehr stark entwickelt. In Spanien oder in Frankreich ist das Gesetz für permanente Mitarbeiter viel strenger. Aber zurück zur Schweiz: In einem so flexiblen Markt auch noch einen wachsenden Temporärmarkt zu haben, der sich sehr schnell entwickelt und erst noch die Chance eröffnet, immer mehr auch höher Qualifizierte platzieren zu können, dann sagt das etwas über die Enge des Arbeitsmarktes aus: Es wird immer nur enger und enger. Wenn der Markt auf diese Weise wächst, ist das in der Tat ein positiver Trend.

HR Today: Wahrscheinlich herrscht Konsens an diesem Tisch, dass alle diese Penetration erhöhen wollen?

Gordon: Es ist unser Kerngeschäft, weshalb wir diese Zahl natürlich gerne steigen sehen.

Maier: Gut, aber Wachstum ist ja wohl kein Selbstzweck.

Gordon: In allererster Linie ist der Zustand der Wirtschaft der wichtigste Faktor. Wenn es den Firmen gut geht, müssen sie entweder auf fixer oder temporärer Basis die Belegschaft ausbauen. So einfach ist das. Wenn der Markt einbricht, sind wir die ersten, die davon betroffen sind. Aber es ist die Gesetzgebung, die einen starken Einfluss ausübt auf die Bedürfnisse der Temporärindustrie. Wenn Sie beispielsweise Frankreich betrachten oder Deutschland, stellen Sie fest, dass die Regulierung des Arbeitsmarktes sehr stark ist. Frankreich ist ein «Paradies» für die Temporärindustrie. Viele arbeiten dort über Jahre hinweg als Temporärangestellte ,bis sie endlich eine Fixanstellung finden. Das ist in der Schweiz viel weniger der Fall. Weil wir gesetzlich flexiblere Strukturen haben.

Koolhaas: Sie sagen, es herrsche in Frankreich für die Temporärbranche ein Paradies. Ehrlich gesagt schaut für mich der Himmel auf Erden etwas anders aus als auf dem Temporärmarkt in Frankreich.

Maier: (zu Robin Gordon) Wenn ich Sie richtig verstehe, dann sagen Sie «je stärker die Regulierung, desto besser geht es den Temporärfirmen». Das geht für mich in eine Richtung, wonach die Temporärindustrie dafür da ist, Arbeitsmarktgesetze zu flexibilisieren. Das ist sicher auch eine Funktion. Wenn ich aber mit Kunden und Kandidaten spreche, denke ich, dass wir eine andere Funktion haben als die, die Arbeitsgesetze in der Schweiz flexibler zu machen.
Gordon: So habe ich das nicht gemeint. Ich habe nur die beiden Länder verglichen. Bitte verstehen Sie mich richtig und lassen Sie uns ja nichts ändern am Schweizer System! Es ist ein wunderbares System, das uns eine starke Wirtschaft beschert.

Maier: Unsere primäre Funktion besteht doch darin, das Angebot von Talenten auf allen Stufen der Ausbildungsskala mit den höchst flexiblen Bedürfnissen unserer Firmenkunden zusammenzubringen. Die sagen nämlich, dass Temporärarbeit für sie ein Ausgleich ist in einer Welt, in der sie mit immer kürzeren Produktionszyklen und immer grösserer Unplanbarkeit in Bezug auf Human Resources konfrontiert sind. Genau dort liegt aus meiner Sicht der Wert unserer Industrie.

Gordon: Ich gehe mit Herrn Maier komplett einig, dass es für eine Firma Dutzende von Gründen gibt, mit Firmen wie uns zusammenzuarbeiten. Zuallererst, weil wir die richtige Person zur richtigen Zeit zur Stelle zu haben. Das ist unsere allererste Daseinsberechtigung. Und natürlich sollten unsere Leute die Arbeit besser erledigen als irgendwer sonst – auch besser als interne Kräfte. Sonst gäbe es ja keinen Grund, mit uns zu arbeiten. Wenn Sie darin nicht erfolgreich sind, wird man Sie kein zweites Mal mehr anrufen.

Maier: Das stimmt. Und damit verbunden ist auch das Thema der Talentknappheit. Wir haben im September die neusten Zahlen herausgegeben: 37 Prozent der Schweizer Unternehmen betrachten die Talentknappheit als ein Problem beim Besetzen von Vakanzen. In diesem Umfeld spielen wir eine zentrale Rolle, weil wir es sind, die Zugang zu Personalressourcen geben können.

Koolhaas: Einverstanden. Unsere Industrie gibt den Firmen Zugang zu Talenten und Talenten Zugang zur Arbeit. Auch für Gruppen, die neu versuchen, an Jobs heranzukommen. Wenn ich in Holland die Schule verlasse, gehe ich zuerst zu einer Temporärfirma. Deshalb glaube ich, dass sich die Schweiz in der Evolution noch nicht auf einem Level befindet, wo sie Temporärfirmen die Akzeptanz und den Respekt entgegenbringt, die sie verdient hätten. Als Temporärindustrie treiben wir die Ökonomien an. Egal, ob in guten oder schlechten Zeiten. Egal, ob es aufwärts oder runter geht. Wir sind das Öl in der Maschine.

HR Today: Können Sie die Anzahl Personen in Ihren Pools beziffern?

Jager: Das ist eine sehr schwierige Frage.

Gordon: Und die Zahl sagt auch nicht wirklich viel aus.

Koolhaas: Sie meinen, wie viele Talente für uns arbeiten oder wie viele Talente wir verfügbar haben?

HR Today: Beides.

(Schweigen in der Runde)

Jager: Für die Schweiz kann ich das gerade nicht aus dem Kopf sagen. Weltweit sind über 580 000 Leute täglich für uns im Einsatz.

HR Today: Sind das geheime Zahlen?

Maier: (lacht) Nein! In unserer Unternehmensbroschüre kann man nachlesen, dass wir 20 000 Leute unter Vertrag haben bei unseren Kunden.

HR Today: Wird die Zukunft der Temporärbranche künftig stärker in der strategischen Beratung liegen?

Jager: Als ich frisch in die Schweiz gekommen bin, habe ich mit einem Unternehmen gesprochen, wo es um eine Geschäftsintegration ging. Mit meinem Background aus Holland, wo wir auf diesem Gebiet einiges weiter sind, habe ich ihm angeboten, dieses Problem zu lösen, indem ich ihn mit anderen Unternehmen in Kontakt bringen wollte, die in der gleichen Situation sind. Da schaute er mich an und sagte zu mir: Hören Sie, finden Sie mir die Leute, die Denkarbeit mache ich. Das sagt etwas darüber aus, wie unterschiedlich unsere Industrie in verschiedenen Ländern wahrgenommen und akzeptiert wird.

Gordon: Um für die Kunden künftig effizienter arbeiten zu können, ist es notwendig, einen tieferen Einblick in die Unternehmen zu gewinnen. Die Kunden können oft nicht erkennen, wie viel stärker wir sie unterstützen könnten, wenn sie ihre Türe uns gegenüber ein kleines bisschen mehr öffnen würden. Ein etwas offenerer Zugang zu den IT-Systemen beispielsweise würde uns erlauben, uns stärker mit unseren Kunden zu verlinken. Dafür würde die Geschäftsbeziehung für beide Seiten einiges effizienter.

Maier: Wenn wir die Aufgabe unserer Industrie darauf beschränken, Angebot und Nachfrage zusammenzubringen und nur noch eine Börsenfunktion ausüben, werden wir über kurz oder lang wie andere Börsen automatisiert. Es ist aber nicht so, dass wir eine Nestlé-Aktie zum Verkauf haben und einen Käufer suchen. Vielmehr haben wir es auf beiden Seiten mit Menschen zu tun und es interessiert uns sehr wohl, was mit dieser Einsatzkraft passiert im Unternehmen und wie sie sich entwickelt, welches Talent sie dort entfaltet und wie sie zur Wertschöpfung des Kunden beiträgt. Damit übernehmen wir viel mehr als eine reine Börsenfunktion.

Gordon: Wir sind ein People-Business.

HR Today: An diesem Punkt scheinen wir einen Konsens zu haben: Der Mensch steht für Sie alle im Mittelpunkt. Wenn man sich allerdings etwas umhört, so steht es um das Image der Temporärbranche nicht gerade zum Besten. Themen wie Lohndumping oder die Kritik, dass Ihre Industrie eine Nutzniesserin sei, die auf den Schultern der Schwächsten der Gesellschaft einen satten Profit einfährt. Herr Agoras, Sie haben bisher viel geschwiegen.

Agoras: Ich durfte in den letzten paar Minuten viel lernen.

Gordon: Er schaut heute den Youngsters beim Reden zu.

(Gelächter)

Agoras: Schön, wenn ich auch mal zuhören darf.

HR Today: Was sagen Sie zum schlechten Image der Temporärbranche?

Agoras: Image und Wirklichkeit liegen weit auseinander. Klar gibt es in jeder Branche schwarze Schafe: In der Finanzbranche, in der Versicherungswelt, in der Autobranche, überall. Einzelne hochzustilisieren ist unfair und repräsentiert nicht die Gesamtbranche. Das passiert auch aus politischem Interesse. Aber unsere Branche hat viel getan und betreibt heute ein äusserst seriöses Geschäft.

HR Today: Es scheint in der Runde Konsens zu herrschen, dass eines der vorherrschenden Themen die Talentsuche ist. Wird es deshalb auch immer wichtiger, dass Sie die Leute wie menschliche Wesen behandeln und nicht als Ware, wie manchmal kolportiert wird.

Maier: Ich glaube, diesen Respekt pflegen wir sehr wohl. Das Besondere an unserer Industrie besteht darin, dass wir es mit zwei Gruppen von Kunden zu tun haben. Nämlich die Kandidaten auf der einen und die Unternehmen auf der anderen Seite. Wir betrachten beide Seiten als echte Kunden.

HR Today: Aber Hand aufs Herz: Es gibt branchennahe Kreise, die den Eindruck äussern, dass in Ihrer Industrie manchmal etwas abschätzig über Menschen geredet wird, als ob es sich beim Humankapital nur um eine profitgenerierende Ware handeln würde.

Agoras: Ich liebe solch provokative Fragen! Es ist wie überall: Wenn bei uns intern ein Mitarbeiter seine Arbeit nicht liebt und allenfalls abschätzig über andere Menschen spricht, dann ist diese Person bei uns schlicht beim falschen Arbeitgeber. Unsere Branche ist seit Jahrzehnten sehr aktiv und hat wesentlich zu unserem Wohlstand beigetragen. Das wäre nicht möglich gewesen, wenn wir unser Geschäft nicht seriös betrieben hätten, wie wir es auch heute mehr denn je tun. Wie heisst es so schön? Erfolg bringt Neider. Immerhin ist es so, dass 40 Prozent aller Jobeinsteiger  früher oder später fest angestellt werden.

Koolhaas: Und es werden immer mehr. 2020 werden 20 Prozent der arbeitstätigen Bevölkerung aus der Generation Y stammen, also aus den Jahrgängen zwischen 1980 und 1995. Die sind weniger loyal, die möchten sich ständig verändern und haben weniger Respekt vor Autorität. Diese Generation ist auf der Suche nach vielen verschiedenen Joberfahrungen. Unsere Industrie ist für sie ein Eintrittspunkt. Deshalb werden wir als Arm der Personalbeschaffung noch wichtiger werden.

Gordon: Absolut einverstanden. Das Verhältnis der nachrückenden Generationen zur Arbeitswelt ist im Umbruch. Für sie ist das Konzept einer Lebensstelle definitiv passé. Ebenso das Konzept, von einer Festanstellung zur nächsten zu wechseln. Die junge Generation tendiert heute zu viel kurzfristiger konzipierten Lebensentwürfen. Sie suchen viel dichter angelegte Herausforderungen. Deshalb empfehlen wir den Firmen, für jüngere Arbeitnehmer vermehrt projektbezogene Jobs mit einem klar definierten Anfangs- und Endpunkt anzubieten. Gerade im IT-Sektor finden es viele etwas langweilig, ständig in der gleichen Konstellation zu arbeiten. Sie engagieren sich lieber in halbjährigen Projekten und ziehen dann weiter oder machen ein paar Monate Pause, bevor sie das nächste Projekt in Angriff nehmen. Auf der anderen Seite gibt es die ältere Generation, die demografisch einen immer grösseren Anteil ausmacht. Auch hier sehen wir grosse Geschäftschancen. Diese Generation möchte tendenziell das Pensum früher reduzieren und dafür länger arbeiten. Das Modell, dass man mit 65 Jahren von 100 Prozent auf null reduziert, wird man künftig immer weniger antreffen. In diesem Trend sehen wir langfristig ebenfalls ein grosses Geschäftspotenzial, indem wir Firmen künftig ausgewiesene und erfahrene Experten anbieten können, die sich für befristete Projekte anstellen lassen.

Maier: Gemäss Bundesamt für Statistik würden 300 000 Menschen gerne vermehrt in solchen «Multijobbing»-Modellen arbeiten, darunter viele Pensionierte und Studenten oder Teilzeitbeschäftigte, die noch weitere Teilzeitjobs annehmen würden. Das ist ein Kandidatenpool, den wir uns erschliessen könnten.

Agoras: Die Ausgangsfrage war ja das Image. Konsens ist, dass wir mit der geäusserten These nicht einverstanden sind.

Koolhaas: Wie schön ist es denn, jedes Jahr so vielen Menschen einen Job zu verschaffen und Unternehmen die richtige Lösung für offene Positionen anzubieten?

Jager: Um es kurz zu machen: Wenn ich in meinem Unternehmen hören würde, dass Mitarbeitende verächtlich über Menschen sprechen, wie Sie das mit der Image-Frage angetönt haben, dann würde ich das niemals akzeptieren.

Gordon: Und man wäre längerfristig auch nicht erfolgreich. Wenn Sie Ihren Zeitarbeitern gegenüber keine Wertschätzung aufbringen, laufen sie davon. Die Konkurrenz ist gross und gut genug, wie diese Runde zeigt.

Jager: Ich denke, viele von uns am Tisch starteten als Kundenberater. Und ich war wirklich sehr gut in diesem Job. (Gelächter) Aber was uns sicher alle verbindet ist die Tatsache, dass es sehr schwierig ist, gute Berater zu finden. Denn diese müssen einerseits unsere Unternehmenskunden beraten, andererseits müssen sie Menschen lieben. Sie können nicht in unserem Business arbeiten, wenn Sie Menschen nicht mögen oder diese als Ware betrachten. Ich glaube auch, dass wir uns in einem «selbstreinigenden» System befinden, denn menschenverachtende Mitarbeiter sind nach spätestens zwei Monaten raus aus dem Job. Ich habe viel mehr Probleme damit, dass meine Leute gegenüber den Unternehmenskunden genügend betriebsorientiert sind, weil sie sich oft viel stärker auf die Zeitarbeiter ausrichten, denen sie helfen wollen. Das ist immer der gleiche Kampf.

HR Today: Seit dem 1. Januar 2012 untersteht die Temporärbranche einem Gesamtarbeitsvertrag (GAV), der zurzeit neu verhandelt wird. Welche Bilanz ziehen Sie nach bald zwei Jahren?

Agoras: Es ist wichtig zu betonen, dass es sich um einen «Branchen-GAV» handelt, der also branchenübergreifend verbindlich ist. Der Branchen-GAV ist ein Unikum in der Schweiz und ein hochkomplexes Vertragswerk. Er stellt Regeln auf, wo bisher Grauzonen herrschten. Wegen einzelner Akteure in diesen Grauzonen hat unser Image ab und zu gelitten. So ein GAV wertet also die gesamte Branche auf. Es ist heute aber noch zu früh, um eine Bilanz zu ziehen. Ein Gesamtarbeitsvertrag ist langfristig ausgerichtet. Tendenziell habe ich aber ein positives Gefühl. (Nicken in der Runde)

Maier: Es ist wie bei jedem Gesetz, wo man hin und wieder Auslegungsfragen klären muss. Aber grundsätzlich sehe ich die Sache auch positiv.

Agoras: Der Branchen-GAV regelt alle Punkte, die nicht in den insgesamt 73 branchenspezifischen GAVs geregelt sind. Das reicht vom Minimallohn über die Krankentaggeldversicherung bis hin zum Recht auf Weiterbildung etc. Das kostet uns sehr viel Geld und wir müssen uns gut überlegen, wie wir diese Mehrkosten unseren Kunden weiterverrechnen können. Aber wie gesagt: Der GAV bringt uns auch Glaubwürdigkeit und ein positives Image.

HR Today: Wie stehen Sie zur Mindestlohninitiative, die voraussichtlich nächstes Jahr zur Abstimmung kommt?

Gordon: Es ist interessant zu sehen, was in Ländern wie Frankreich passiert, die einen Mindestlohn eingeführt haben. In diesen Ländern sind die Löhne stagniert, weil ein Mindestlohn eine Referenz festsetzt. Die Schweiz hat es bisher immer geschafft, die Lohnfrage der Selbstregulierung zu überlassen. Je mehr Regeln man vorschreibt, umso weniger reden die Leute miteinander. Es ist eine Stärke der Schweiz, dass Führungskräfte jeden Tag mit ihren Angestellten im Dialog sind.

Maier: Einig sind wir uns sicher darin, dass es der Temporärbranche gut geht, wenn es der Gesamtwirtschaft gut geht. Dass es der Gesamtwirtschaft gut geht, hat viel mit unserem Verständnis für Liberalismus und Demokratie zu tun. Allerdings laufen wir derzeit Gefahr, die Rahmenbedingungen nachhaltig zu verschlechtern. Während man bei der Minder-Initiative noch sagen kann, dass sie vor allem Aktionärsrechte stärkt, geht es bei anderen Vorstössen wie 1:12 oder Mindestlohn um ein vom Staat festgelegtes Resultat und damit um gezielte Eingriffe ind die Vertragsfreiheit. Dabei sind wir punkto Arbeitslosigkeit, Wohlstand, Einkommens- und Vermögensverteilung in einem Zustand, der dem Himmel auf Erden schon sehr nahe kommt. Deshalb sollten wir sehr vorsichtig sein, dieses Gleichgewicht zwischen notwendiger Regulierung und Liberalismus nicht zu gefährden.

Agoras: Das Thema Mindestlöhne ist sehr heikel. Auch unter dem Aspekt der Lernenden. In unserem dualen Ausbildungssystem absolvieren 43 Prozent aller Jugendlichen eine Lehre. Gewisse Jugendliche werden sich überlegen, ob sie überhaupt noch eine Lehre machen sollen, wenn sie wissen, dass sie für jeden Job monatlich mindestens 4000 Franken erhalten.

HR Today: Sie meinen, ein Mindestlohn würde bei Jugendlichen den Charakter verderben?

Agoras: In gewisser Weise könnte dies durchaus der Fall sein. Bei Jugendlichen, die nicht wissen, was sie lernen wollen, fördert das eine Haltung im Sinne: «Meine Freundin und ich gehen jetzt mal arbeiten und verdienen zusammen 8000 Franken.» Das ist ein schöner Lohn. Zweitens möchte ich das Zuwanderungsproblem ansprechen: Wir haben heute in unseren Niederlassungen nahe der Grenze täglich Hunderte von Bewerbungen. Dass ist eine heikle und schwierige Herausforderung für unser Land, denn solche Regulierungen erhöhen völlig unnötig den Druck auf die Schweiz. Ich sage das, obwohl die Temporärbranche bei Annahme der Mindestlohninitiative nur zu gewinnen hätte.

Jager: Der Mindestlohn wäre gut für unsere Branche, weil der Gesamtumsatz steigt. Dennoch lehnen wir die Initiative ab.

HR Today: Gut für Ihre Branche?

Agoras: Die Lohnkosten einiger unserer Temporärmitarbeiter würden steigen.

Koolhaas: Wenn unsere Provisionen prozentual gleich bleiben, würde sich auch der absolute Erlös massiv erhöhen.

HR Today: Es ist bekannt, dass sich die Temporärfirmen im Wettbewerb um Kunden einen ziemlich erbitterten Preiskampf liefern, der auf die Marge drückt. Kritiker monieren, dass dieser Margendruck am Ende auf dem Rücken der Schwächsten ausgetragen wird.

Jager: Die Marge ist in jeder Industrie und in jedem Unternehmen immer ein Diskussionsthema. Tendenziell sind alle Marktteilnehmer bestrebt, ihre Kosten zu senken. Da macht unsere Industrie keine Ausnahme.

Maier: Wenn ein Unternehmen den Margendruck auf dem Rücken der Zeitarbeiter austrägt, schiesst sich jedes Unternehmen selber in den Fuss. Ein solches Unternehmen wird keine Kandidaten mehr finden. Wenn der Kandidat die Wahl hat – und heute sind wir in der Situation, dass die Kandidaten die Wahl haben – ist es ein selbstregulierendes System. Wir können den Margendruck gar nicht auf unsere Einsatzkräfte umwälzen.

HR Today: Welche Botschaft möchten Sie gegenüber Ihren Kunden aussenden?

Agoras: Unsere Branche hat eine wichtige volkswirtschaftliche Verantwortung. Wir bieten Personaldienstleistungen an, welche es ermöglichen, auf die immer stärker wachsenden Herausforderungen flexibel zu reagieren.

Gordon: Nicht alle Zeitarbeiter suchen einen permanenten Job. Und es gibt einen Trend, dass zunehmend mehr und mehr Leute sich nicht mehr stören, unter einem temporären Status zu arbeiten. Meine Message lautet deshalb: Schenken Sie diesem Trend mehr Aufmerksamkeit! Und vielleicht noch dies: Nächstes Jahr werden wir zwei neue Firmen lancieren. Darunter «Humanys Solutions», die sich auf die Vermittlung von Führungskräften im HR-Bereich spezialisieren wird mit einem neuen Service für Firmen mit unter 50 bis 60 Mitarbeitern, die über kein professionelles HR verfügen, aber fallweise professionelle Unterstützung gebrauchen können. Unsere Idee besteht darin, für diesen Markt einen Pool von HR-Führungskräften aufzubauen, die je nach Anspruch der Kunden, eine bis drei Firmen betreuen. Das ist ziemlich neu. Wir haben jedenfalls in der Schweiz kein vergleichbares Angebot gefunden und sind überzeugt, dass wir damit auf grosse Nachfrage stossen werden.

Jager: Grosse Teile Ihrer Leserschaft bestehen aus HR-Managern und HR-Beratern. Wenn jemand nach der Lektüre dieses Artikels noch Zweifel an den Vorteilen unserer Dienst
leistungen hat, möchte ich alle herzlich für einen Tag in meine Filiale einladen, um mit eigenen Augen zu sehen, wie wir arbeiten.

Maier: Ich bin echt stolz darauf, in einer Branche und in einem Unternehmen zu arbeiten, wo wir einerseits die Kandidaten glücklich machen können mit sinnvoller und wertschöpfender Tätigkeit, die ihnen Lebensinhalt gibt, während wir auf der anderen Seite Unternehmen erfolgreicher machen können. Ich glaube, das ist etwas, was sehr viel Befriedigung gibt und auch die Passion ausmacht, die wir in unseren Unternehmen spüren. Und ich möchte die Gelegenheit auch nutzen, einen Werbespot abzusetzen: Jeder von uns sucht gute Personalberater.

Koolhaas: In unserer Branche dreht sich alles um Empathie. Wir versuchen, sowohl in die Schuhe der Unternehmen, als auch in die der Einsatzkräfte zu schlüpfen. Und es ist erfüllend und macht Freude, am Ende der Woche zu sehen, wie viele Leute wir wieder zusammengebracht haben und damit auf beiden Seiten Bedürfnisse erfüllen konnten.

Kommentieren 0 Kommentare HR Cosmos

Ehemaliger Chefredaktor HR Today.

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