Herr Huber, Sie sind privat und beruflich weit herumgekommen. Was gefällt Ihnen an der Schweiz besonders?
Daniel Huber: Es ist ein Privileg, hier leben zu dürfen. Das höre ich auch regelmässig von meinen ausländischen Kollegen bei
Alstom. Gründe dafür sind vor allem die hohe Lebensqualität, die Sicherheit sowie die politische und wirtschaftliche Stabilität. Man hat sehr viel Freiheit, die multikulturelle Bevölkerung ist gut organisiert. Mir gefallen auch die Vielfalt auf kleinem Raum und die schöne Landschaft.
Sie haben längere Zeit in Düsseldorf, Brüssel und Hongkong gearbeitet und verbrachten regelmässig mehrere Tage in fast allen Ländern Europas. Sie waren in Afrika, Indien, Russland und dem Nahen und Mittleren Osten: Welche Unterschiede zwischen den Ländern haben Sie in der Personalarbeit festgestellt?
Die Unterschiede sind gewaltig. Ich sah eine breite Palette von verschiedenen Regelungen im Bereich Arbeitsrecht, Kündigungsschutz oder Mitspracherecht. Aber auch die Einstellung zur Arbeit hängt stark von der jeweiligen Kultur ab: Die Spanier beispielsweise sehen die Arbeit eher locker, während die Türken ohne Murren fast Tag und Nacht arbeiten.
Welches ist Ihr Lieblingsland?
Indien gefällt mir am besten. Mich begeistern die Dynamik der indischen Wirtschaft und das Selbstbewusstsein, das die Inder entwickelt haben. In dem Land leben Hindus, Buddhisten und Christen auf engstem Raum friedlich nebeneinander. Die Toleranz und die Geduld der Inder sind beeindruckend. Hinzu kommt das leckere Essen. Hässlich ist dagegen die allgegenwärtige Armut.
Was gefällt Ihnen an anderen Ländern?
In der Türkei, dem Nahen und Mittleren Osten und Nordafrika gefallen mir die Gastfreundschaft und die Offenheit Fremden gegenüber. Europa zeichnet sich durch seinen kulturellen Reichtum aus.
Gibt es auch etwas, das Ihnen weniger zusagt?
In verschiedenen Ländern Europas, insbesondere im mediterranen Raum, herrscht eine weit verbreitete Anspruchshaltung gegenüber Unternehmen und Staat. Damit habe ich Mühe.
Wie ist es zum Arbeiten in den verschiedenen Ländern?
Spannend, aber intensiv. Nach einem randvollen 16-Stunden-Tag sinkt man abends erschöpft ins Bett und weiss oft gar nicht mehr, in welchem Land man sich gerade befindet. Flug,Taxi, Hotels und Sitzungszimmer gleichen sich überall. Die Länder werden austauschbar.
Sie waren unter anderem Vice President HR Europa Süd bei Schindler. Wie hält man ein internationales Team zusammen?
Indem man inhaltlich gemeinsame Ziele und Prioritäten definiert, die dann gemeinsam über die Landesgrenzen hinaus verfolgt werden. Des Weiteren ist es gut, wenn man sich trotz riesiger Distanzen ab und zu persönlich sieht. Hilfreich sind auch die modernen Kommunikationsmittel wie Video- oder Telefonkonferenzen. Sie vermitteln das Gefühl von Nähe. Eine internationale HR-Funktion lässt sich aber kaum rein virtuell erledigen, persönliche Kontakte in den Ländern sind essentiell.
Welche Schweizer Eigenschaften sind international von Nutzen?
Die Schweizer sind zuverlässig, pünktlich, bescheiden und pragmatisch. Sie sind arbeitsam – der Calvinismus ist prägend. Das politische System mit der Konkordanz widerspiegelt sich auch in der Arbeitshaltung: Man sucht gemeinsam nach tragfähigen Lösungen.
Wo sehen Sie bei den Schweizern Defizite?
Wir sind zu wenig visionär, haben zu wenig Mut für grosse Würfe. Wir sind oft zu konservativ und zu ängstlich und trauen uns nicht, einmal etwas ganz Verrücktes zu probieren. Die positiven Eigenschaften der Schweizer überwiegen jedoch.
Jetzt sind Sie als Vice President Human Resources Alstom Switzerland «nur» noch schweizweit tätig. Vermissen Sie das internationale Umfeld?
Nein, das suchte ich ja. Es ist wohltuend, nach so vielen Jahren auf Achse eine stationäre Phase zu haben, das schätzt auch meine Familie. Im Übrigen arbeiten allein in diesem Haus, am Hauptsitz in Baden, 56 Nationalitäten. 50 Prozent meiner Tätigkeit erledige ich auf Englisch oder Französisch, Alstom ist ein Weltkonzern mit fast 100 000 Mitarbeitenden. Ich arbeite also eingebettet in einen internationalen Kontext. Ich reise wenig ins Ausland, aber öfter in der Schweiz.
Sie haben zwei Söhne und arbeiteten eine Zeit lang 50 Prozent als Hausmann. Ist der Werkplatz Schweiz familienfreundlich?
Ich sehe zwar positive Ansätze, doch im Vergleich zu vielen anderen Ländern ist die Schweiz nur begrenzt familienfreundlich. Hier ist viel nach dem klassischen Hausfrauenmodell gestaltet: Man geht davon aus, dass die Frau jederzeit zu Hause ist. Die Schulzeiten sind nicht synchronisiert und nicht mit der Arbeitswelt abgestimmt. Auch in der Kinderbetreuung sind wir noch lange nicht dort, wo wir sein sollten. Das Arbeitsgesetz ist zudem sehr zurückhaltend, was Mutterschafts- und Vaterschaftsurlaub betrifft. Teilzeitarbeit für Väter ist noch wenig etabliert.
Wie ist es für junge arbeitstätige Mütter in der Schweiz?
Sie haben es eher schwieriger als in anderen Ländern. Das Betreuungsangebot für Kinder ist noch lückenhaft. In vielen Ländern betreut eine Nanny die Kinder, in Indien etwa ist das völlig selbstverständlich. In der Schweiz dagegen kann man sich eine solche private Betreuung in der Regel nicht leisten.
Sind Frauen hier generell benachteiligt?
Nein, Frauen haben hervorragende Ausbildungsmöglichkeiten und grossartige Startchancen. In vielen Unternehmen, auch bei Alstom, gibt es gezielte Frauenförderungsprogramme.