«Wir wollen keine ‹Leerlinge› produzieren»
Für die Führung von Lernenden gibt es keine Patentrezepte. Doch einige Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit es zwischen den jungen Menschen und den Führungskräften funkt. Die Berufsbildungsexpertin Vera Class weiss, welche.
Vera Class führt als Berufsbildungsexpertin Seminare für Berufs- und Praxisbildner/innen und Lernende durch. Sie ist selbständig und als Mitglied der Geschäftsleitung für die Berufsbildner AG tätig (www.berufsbildner.ch).
Ist die Führung Lernender anspruchsvoller als jene von anderen Mitarbeitenden?
Vera Class: Keine Führungsaufgabe ist derart vielschichtig. Deshalb ganz klar ja. Während dieser Lebensphase sind die Lernenden auf der Suche nach sich selbst. Sie müssen lernen, ihre Unabhängigkeit zu erlangen. Und die Arbeitswelt konfrontiert sie mit der Forderung nach Anpassung. Dieses Spannungsfeld zwischen betrieblichen Zielvorgaben und den Bedürfnissen der Jugend ist eine besondere Herausforderung.
Gibt es einen bestimmten Führungsstil, mit dem Jugendliche geführt werden sollten?
Es gibt keine Patentrezepte. Vor allem braucht es aber Erfahrung, eine gute Ausbildung und viel Empathie. Erfolgversprechend ist der partizipative Ansatz. Den Lernenden soll auf Augenhöhe begegnet werden. Sie wollen Orientierung, aber auch Herausforderungen während ihrer Ausbildung. Und sie schätzen authentische Führungskräfte, die halten, was sie versprechen. Allem voran jedoch muss man junge Menschen mögen.
Wie viel Eigenverantwortung ist nötig und möglich?
Die neuen Anforderungen der Arbeitswelt erfordern viel Eigenverantwortung. Das Erklären-Vorzeigen-Nachmachen-Schema ist nur noch begrenzt tauglich. Handlungsorientiertes Lernen fördert Eigenständigkeit und Selbstverantwortung. Das heisst, Lernende müssen sinnvoll eingebunden werden, indem man ihnen verantwortungsvolle Arbeiten überträgt, ihnen etwas zutraut und ihnen auch vertraut. So verstehe ich Nachwuchsförderung im eigentlichen Sinne – schliesslich wollen wir keine «Leerlinge» produzieren. Die Frage ist also, ermögliche ich durch die Begleitung von Lernenden eigenverantwortliches Handeln oder gebe ich immer noch zu stark vor? Stelle ich auch Fragen und höre ich zu? Akzeptiere ich, wenn die Lernenden anders an eine Aufgabe herangehen, als ich dies täte?
Wie weit kann man sich auf seine Intuition verlassen?
Es muss Führungskräften am Herzen liegen, sich in dieser komplexen Rolle ständig weiterzuqualifizieren. Intuition ist gut, Wissensvertiefung, Methodenkenntnisse und ständige Reflexion der eigenen Rolle sind jedoch unabdingbar.
Findet man den Zugang zu jungen Leuten einfacher, indem man sich ein Stück weit auf ihre Ebene begibt?
Ja. Perspektivenwechsel sind gerade bei dieser Altersstufe notwendig. Berufs- und Praxisbildnerinnen müssen die Offenheit und Neugier mitbringen, immer wieder in neue Welten einzutauchen und dazuzulernen. Ebenfalls ist es wichtig, unterschiedliche oder sogar gegensätzliche Erwartungen und Einflüsse auszutarieren. Führung von Lernenden braucht also nebst Wissen Verständnis, Lebenserfahrung und eine grosse Portion Geduld.
Glaubt man aktuellen Studien, gibt die Generation Y nicht mehr viel auf Hierarchien und will sich vor allem selbst verwirklichen. Wie können Ausbildner mit den geänderten Ansprüchen der Generation umgehen?
Wir müssen die Lernenden ernst nehmen, ihnen dies zeigen und uns nicht hinter Hierarchien verstecken. Wir sind selber Lernende und mit diesem respektvollen Ansatz soll ihnen auch begegnet werden. Haben Sie Ihre Lernenden schon mal nach den neusten Social-Media-Trends befragt? Tun Sie es. Und fragen Sie weiter. Nicht nur in diesem Bereich. Sie werden überrascht sein, welche kompetenten Persönlichkeiten hier Antworten geben.