Wohin ist bloss die Employability verschwunden?
Die Arbeitsmarktfähigkeit in der Schweiz nimmt ab. Erwerbstätige verlieren zunehmend die Selbstbestimmung
über ihre Karriere. Eine Studie unter Mithilfe der Universität Lausanne zeigt erstaunliche Trends auf.
Employability ist die Fähigkeit des Einzelnen, sich möglichst frei auf dem Arbeitsmarkt zu bewegen. Sie umfasst die gesamte Kompetenz- und Verhaltensbox eines Mitarbeitenden, auf die er zurückgreifen kann, um Veränderungen proaktiv mitzugestalten. Mitarbeitende mit einer hohen Employability verfügen über mehr Ressourcen, die sie positiv in Unternehmen einbringen können. Sie erarbeiten für sich und ihr Unternehmen dauerhaftere und breitere Perspektiven.
Welche Dimensionen begründen Employability?
Seit 2002 misst eine Arbeitsgemeinschaft der Firmen Qualintra, ProMove und der Universität Lausanne regelmässig unter wissenschaftlichen Kriterien die Employability in der Schweiz. Daraus wurde ein Online-Test entwickelt, mit Hilfe dessen Fach- und Führungskräfte die eigene Employability einschätzen können. Eine begleitende Auswertung zeigt auf, wie sie die eigene Arbeitsfähigkeit erhöhen können.
Die wesentlichen Wirkungsgrössen auf Employability sind die Beurteilung der eigenen Karrieresituation, aber auch der Markt: Entsprechen die eigenen Kompetenzen und Wünsche einem wirklichen Bedürfnis am Markt? Wichtig ist auch der Veränderungswille: Inwiefern kann und will ich die Entwicklung der eigenen Karriere beeinflussen? Und wie steht es um die Ressourcen? Wo fliesst Energie? Wie wirkt sich dies auf das körperliche und psychische Wohlbefinden aus? Schlussendlich stellt sich die Frage nach dem aktuellen Arbeitsumfeld: Je angenehmer dieses empfunden wird, desto geringer der Wille, die aktuelle Situation verändern zu wollen.
Veränderungen bei der Employability in der Schweiz
Seit zehn Jahren werden die Career- und Employability-Checks mithilfe der Universität Lausanne laufend validiert und aktualisiert. Dabei werden im Wechsel Personen aus der Deutsch- und Westschweiz befragt. Die letzte Validierung umfasst ein Sample mit 338 Fach- und Führungskräften aus der Mailingliste der Stellenplattform Jobup in der Westschweiz. Die Ergebnisse lassen sich jedoch auf die gesamte Schweiz übertragen. Die befragten Personen entstammen allen Branchen und Stufen und haben zum Zeitpunkt der Umfrage (Winter 2011) angegeben, nicht auf Stellensuche zu sein.
Die interessantesten Resultate ergeben sich aus dem Vergleich mit einer Umfrage von 2006. Sie zeigen, dass sich die Karrieresituation in den vergangenen fünf Jahren verändert hat: Im Schnitt scheinen die Arbeitnehmer heute zufriedener zu sein mit dem Erreichten als damals, jedoch nicht was ihre Gehaltsentwicklung oder ihre Beförderungen angeht. Was den eigenen Markt betrifft, so hat sich die Marktkenntnis verschlechtert: Mitarbeitende scheinen den Arbeitsmarkt weniger zu beobachten als noch vor fünf Jahren. Dies steht im Widerspruch zum steigenden Veränderungswillen: Die Probanden zeigen eine erhöhte Flexibilität, jedoch nur dann, wenn sich diese in einem erhöhten Einkommen widerspiegelt.
Die auffallendste Beobachtung ist jedoch: Die physischen und psychischen Ressourcen haben signifikant abgenommen. Dies hängt mit einer Verschlechterung des Arbeitsumfelds zusammen – das Engagement und die Loyalität zum Arbeitgeber sind ebenso gesunken wie die Qualität der Zusammenarbeit im eigenen Team. Eine zusätzliche Beobachtung, die Gegenstand weiterer Forschungen sein wird: Frauen haben zum ersten Mal seit Messbeginn eine signifikant tiefere Employability als Männer. Sie scheinen weniger zufrieden zu sein mit ihrer Karriere, geben an, ihre Arbeit weniger beeinflussen zu können, und scheinen über weniger physische und psychische Ressourcen zu verfügen als ihre männlichen Kollegen.
Wollen oder können, das ist hier die Frage
Die Studie teilt die Probanden in vier Gruppen ein:
- «Able to go, willing to stay»: die Motoren – Diese Mitarbeitenden zeigen durchgehend hohe Werte in sämtlichen Dimensionen (29 Prozent).
- «Able to go, not willing to stay»: die Wechselfreudigen – Diese Mitarbeitenden verfügen über eine hohe Employability, sind aber wenig loyal (29 Prozent).
- «Not able to go, willing to stay»: die Komfortablen – Diese Gruppe hat sich mit der Situation in der Firma arrangiert. Sie zeigt hohes Engagement, kann sich jedoch kaum aus eigener Kraft bewegen (23 Prozent).
- «Not able to go, not willing to stay»: die Frustrierten – Fast jeder fünfte Proband möchte seine Situation verändern, hat aber die Ressourcen nicht, um in eine positive Energie zu kommen (19 Prozent).
Was bedeuten die Resultate?
Diese Studie ist insofern aufschlussreich, als sie die Auswirkungen der Art und Weise, wie wir arbeiten, offenlegt: Verglichen mit 2006 ist der Anteil der Motoren zugunsten der Frustrierten und der Wechselfreudigen zurückgegangen (siehe Abbildung). Hohe Aus- und Weiterbildungsanstrengungen erzielen für Unternehmen also nicht den gewünschten Effekt. Mitarbeitende entwickeln zwar zunehmend Fähigkeiten, aber auch die Erwartungen an die Karriere nehmen zu. Wenn diese nicht erfüllt werden, nimmt die Loyalität rasch ab. Überraschend: Mitarbeitende erwarten Karriereimpulse im Wesentlichen von oben. Die Eigenverantwortung für eigene, profilierte Karrierewege nimmt ab. Dies wiederum hat negative Auswirkungen auf die eigenen Ressourcen: Wer «gemacht wird», anstatt von selbst zu «machen», empfindet Stress, wie er heute auf allen Hierarchieebenen beobachtbar ist. Ohne Eigenverantwortung erfolgt also ein Verlust an Leistungsfähigkeit.
Was ist zu tun?
Dem Verlust an Eigenverantwortung kann entgegengewirkt werden:
1. Weniger Strukturen, weniger Prozesse, mehr Kultur
Entscheidend für Erfolg sind weder klar strukturierte Karrierewege noch ausgeklügelte Boni-Prozesse, sondern vielmehr ein dauerhaft stimulierendes Unternehmensumfeld. Unternehmen wie BMW, Handelsbanken oder Roche zeigen, wie eine stimulierende Unternehmenskultur nicht nur Kosten senkt, sondern dazu beiträgt, gute Fach- und Führungskräfte nachhaltig an sich zu binden.
2. Salutogenese
Verschiedene Studien zeigen, dass ein Zusammenhang besteht zwischen einem stimulierenden Umfeld und der Salutogenese: In Unternehmen, die die Personal- und Organisationsentwicklungsaktivitäten auf das Dreieck Sinn, Verstehen und Beeinflussen der täglichen Arbeit fokussieren – die unter Aaron Antonowski bekannt gewordene Salutogenese –, gibt es erwiesenermassen eine höhere Employability. Diese Unternehmen geben weniger für standardisierte Weiterbildungen aus, investieren dafür in individuelles Coaching. Sie beschäftigen sich weniger mit der Einführung von Strukturen und Prozessen, sondern legen grossen Wert auf Nähe, auf gelebte Teamarbeit.
Weniger ist also oft mehr. Wer Eigenverantwortung fördert, erzielt höhere Renditen. Es lohnt sich daher, in die eigene Employability zu investieren.