Mitarbeiterbeurteilungen

Zu gut ist schlecht

Eigenlob stinkt, heisst es im Volksmund. Was aber, wenn zu viele Lorbeeren von oben kommen? Ein Blick in die Unternehmen zeigt: Chefs neigen dazu, ihre Mitarbeiter bei Beurteilungen eher zu hoch einzustufen. Das kann der Firma schaden. An einem HR Circle vom Company Center hat Carsten Schlichting, Partner bei Hostettler, Kramarsch  & Partner AG, aufgezeigt, wie das HR zu realistischeren Beurteilungen beitragen kann.

Alle Jahre wieder – Mitarbeiterbeurteilungen gehören zu den regelmässigen Einträgen in der Agenda von HR und Führungskräften und erfordern oft viel Zeit und Aufwand. Nicht immer ist die Beurteilung einfach, manche Gespräche bereiten Kopfzerbrechen und es wird hin und her überlegt, wie man die Leistung eines Mitarbeiters, der seine Aufgaben nicht zufriedenstellend erfüllt, fair beurteilen kann.

In den Bewertungsübersichten der Abteilungen und Unternehmen sieht man davon aber meist nichts. «Die Mehrheit der Mitarbeitenden sind dort im oberen Drittel angesiedelt, gehören zu den Besten», sagt Carsten Schlichting. Der Experte für Performance und Talent Management bei der Hostettler, Kramarsch & Partner AG (hkp) hat diese Woche an einem HR Circle von CompanyCenter zum Thema referiert. Ein wichtiges Gebiet, wenn man die Grafiken zu Leistungsbeurteilungen ansieht. Werden die individuellen Leistungen der Mitarbeiter eines Teams visuell dargestellt, dürfte man eine klassische, ausgeglichene Glockenkurve erwarten. Das heisst, der höchste Punkt der Kurve liegt etwa in der Mitte der Erwartungen. Die meisten Mitarbeiter liefern also gute Arbeit, haben aber auch Schwachpunkte oder Verbesserungspotenzial.

 

In der Realität sieht die Kurve jedoch anders aus. Sie ist nach rechts verschoben, was bedeuten würde, dass die meisten im Team überdurchschnittliche Leistungen vollbringen. «Diese rechtsschiefe Verteilung ist ein Klassiker. Sie ist seit 20 Jahren empirisch belegt», sagt Schlichting. Auch aktuelle Studien weisen das Phänomen nach: In DAX-Unternehmen liegen die Zielerreichungsgrade in vielen Fällen weit über 100 Prozent.

Zu wenig Motivation, zu viele Boni

Jetzt kann man sich fragen was daran schlimm ist, wenn die Chefs das Gefühl haben, in ihrem Team nur die besten Leute zu haben. Laut Schlichting führt das zu Problemen: «Die schwachen Mitarbeiter bekommen nicht das richtige Feedback, notwendige Kritik wird nicht adressiert. Bei den starken Mitarbeitern wirkt eine schwache Abstufung im Sinne von ‘alle in unserem Team sind gut` demotivierend. Echte Top-Performer erhalten keine herausragende Bewertung und lernen so, dass sich zusätzliche Leistung nicht lohnt. Zudem kann es ein Unternehmen viel kosten, wenn zu viele leistungsabhängige Boni ausbezahlt werden müssen.» Laut Schlichting ist empirisch bewiesen, dass die Leistung eines Beurteilten, der seiner Meinung nach nicht genügend differenziert beurteilt wurde, im nächsten Jahr sinkt.

Die Gründe für die unregelmässige Verteilung sind vielfältig. In einer Untersuchung von hkp wird meist die mangelnde Fähigkeit/Bereitschaft der Führungskräfte zur Differenzierung angegeben, die fehlende Kalibrierung der Bewertungen, schwache Definitionen der Bewertungskategorien oder überdurchschnittlich gute Mitarbeiter und Führungskräfte.

Gespräche vor dem Gespräch

Das Referat von Schlichting wäre nur halb so interessant gewesen, hätte er im zweiten Teil keine Lösungsvorschläge für eine ausgeglichenere Leistungskurve vorgestellt. «In erster Linie empfehlen wir vor den Mitarbeitergesprächen sogenannte Paneldiskussionen, bei denen die Führungskräfte die Bewertungen ihrer Mitarbeiter untereinander kalibrieren und versuchen, über die Abteilungen hinaus einen gemeinsamen Massstab zu finden. Das HR tritt bei diesen Diskussionen als Moderator auf.» Im Rahmen dieser Panels können auch technische Korrekturmassnahmen wie Forced Ranking zur Anwendung kommen. Schlichting rät aber eher davon ab: «Zwar ist dann die Differenzierung grösser und die gewünschte Verteilung ist vorhanden, doch die Verschiebung kann als willkürlich angesehen werden und es sind sehr ausführliche Diskussionen im Panel nötig, damit das Instrument greift.» Viel besser findet er recommended distribution – Führungskräfte für das Thema zu sensibilisieren, es zu erklären und immer wieder auf die Problematik der rechtsverschobenen Kurve hinzuweisen.

Zudem kann laut Schlichting über den Bonus differenziert werden. Dabei hat er vorgeschlagen:

  • Einen separaten Bonus-Topf für «wahre» Top-Performer bereitzustellen, aus dem zum Beispiel 10 bis maximal 20 Prozent der Mitarbeiter einen zusätzlichen Bonus erhalten können.
  • Den Bonus nicht leistungsdifferenziert einzusetzen, sondern beispielsweise als Profit Sharing, während die individuelle Performance zum Beispiel durch die Vergabe von LTIs honoriert wird.
  • Eine Trennung von Funding und Allocation, wobei das Bonusbudget von oben (der Unternehmensebene) nach unten (der individuellen Ebene) heruntergebrochen wird - nach dem Motto «Was will ich zahlen?» statt «Was kommt am Ende aus der bottom up-Addition heraus?».
  • Zumindest aber das Bonus-Budget von vornherein realistisch zu kalkulieren, zum Beispiel mit einem Faktor von 1,2 hochgerechnet, um in jedem Fall die Kosten im Griff zu behalten.

Trainings für neue Chefs

Auch für die mangelnde Fähigkeit oder Bereitschaft der Führungskräfte zu differenzieren, hat Schlichting Lösungsvorschläge vorgestellt. «Wir haben beispielsweise sehr gute Erfahrungen mit Trainingsveranstaltungen für neuernannte Führungskräfte gemacht. So können sie für die Problematik sensibilisiert werden.» Auch Übungen zur Formulierung von herausfordernden Zielen (SMART-Ziele) seien hilfreich. Denn häufig sei die Übererfüllung bereits in den Zielvereinbarungen vorprogrammiert, so dass eine Verschiebung der Kurve nach rechts nicht mehr zu verhindern ist. Zudem könne es helfen, wenn in der individuellen Beurteilung ein Anteil für eine qualitative Komponente reserviert wird, die bewusst nach freiem Ermessen beurteilt wird. «Die Marktpraxis zeigt, dass viele Unternehmen von der Mathematisierung der Leistungsbeurteilung ein Stück weit zu faktenbasierten Assessments zurückkehren», sagt Schlichting.

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