Potenzialanalyse

Zurich prüft seine Young Potentials ein Jahr lang auf Herz und Nieren

Die Zurich Financial Services Group hat ein «Global Associate Program» (GAP) lanciert, das junge Talente sehr früh an das Unternehmen binden soll. In diesem Jahr hat der Versicherer 70 Universitätsabsolventen aus 20 Nationen für das Programm gewonnen. Deren Potenziale lassen sich mit Leichtigkeit erkennen, sagt Urs Basler, Group Head Learning & Development bei Zurich.

Was bewegt Hochschulabsolventen dazu, am GAP teilzunehmen?

Urs Basler: Die Teilnehmenden haben vom ersten Tag an einen unbefristeten Arbeitsvertrag und besetzen gleich zu Beginn Positionen, die dem Fachgebiet ihrer akademischen Herkunft entsprechen. Damit signalisiert das Unternehmen sein Vertrauen gegenüber Einsteigern.

Nach welchen Kriterien suchen Sie die Kandidaten und Kandidatinnen aus?

Wir arbeiten ganz gezielt mit unseren internen Kunden, also mit der Linie, und wir kennen die Schwerpunkte der strategischen Ausrichtung. An der Strategie orientieren wir unseren zukünftigen Bedarf an Nachwuchspotenzial. Dieser Mechanismus funktioniert in allen fünf Weltregionen, in denen wir Associates rekrutieren, gleich.

Wie verlaufen die Rekrutierungsphasen?

Alle in die engere Wahl kommenden Bewerber absolvieren je nach Standort verschiedene Online-Tests, welche die analytischen und persönlichen Fähigkeiten aufzeigen. Danach folgen die persönlichen Interviews, die teils in Englisch und teils in der Landessprache abgehalten werden. Am Ende muss jeder Kandidat eine 15-minütige Präsentation vor Vertretern des Business und des Human Resources halten und Fragen entgegennehmen. Dieser Vortrag und das Rede-und-Antwort-Stehen setzen die meisten enorm unter Druck. Und genau daran können wir sehr früh erkennen, wie die potenziellen Einsteiger mit Stress umgehen und wie sie sich unter Druck intern präsentieren können. Die meisten Kandidaten sehen in dieser Übung aber eine positive Herausforderung, durch die sie einen besseren Einblick ins Unternehmen bekommen und bereits Kontakt zu diversen, allenfalls zukünftigen Arbeitskollegen knüpfen können. Wir erkennen ganz stark, dass die junge Generation Y gefördert und gefordert werden will. Hürden, wie beispielsweise einen schwierigen Vortrag in Kürze zu halten, nehmen sie mit Leichtigkeit.

Was sagt Ihnen dieses Verhalten über die Potenziale der Kandidaten?

Wir erhalten die Gelegenheit, ihr Auftreten und ihre Sprachgewandtheit zu beurteilen. Ferner zeigt uns diese Übung, wie kreativ sie recherchieren und ob sie bei der Recherche in die Tiefe gehen.

Womit beginnt Ihr Ausbildungsprogramm?

In der ersten dreiwöchigen Phase absolvieren sie ein technisches Einführungstraining in das Versicherungswesen und das gesamte Geschäftsmodell von Zurich. In der vierten Woche werden sie in ihrem Know-how-Bereich in die Pflicht genommen. Dabei vertiefen sie sich in ihre Themen.

Wie prüfen Sie in dieser Phase das Wissen?

Alle absolvieren wöchentlich schriftliche Prüfungen, welche von den entsprechenden Fachreferenten und vom Human Resource Management abgenommen werden. Die Resultate werden den entsprechenden Linienvorgesetzten kommuniziert und fliessen als Teil des globalen Performance-Management-Prozesses, den jeder Mitarbeitende durchläuft, in die Beurteilung ein. Zusätzlich zu den betriebsspezifischen Zielen, welche für jeden Associate individuell festgelegt werden, messen wir sie an den Kriterien, nach welchen wir in unserer jährlichen Talent Review unsere globalen Talente auswählen.

Was sind das für Kriterien?

Die Linienvorgesetzten beurteilen unsere Associates an den «Leadership Potential Factors» zu folgenden Themen:

  • 
Leadership Promise (motivation to lead)
  • 
Personal Development Orientation (learning agility)
  • 
Balance of Values and Results (fit to Zurich’s culture)
  • 
Mastery of Complexity

Mit diesen Massnahmen gelingt es dem HRM, der Linie aufzuzeigen, dass die 44 Einführungswochen ein gezieltes Investment sind. Die Beurteilungen aller Dimensionen zeigen nämlich in den meisten Fällen auf, dass sich die Wahl der Kandidaten gelohnt hat. Ein weiteres Plus ist, dass die Linienverantwortlichen diese Einsteiger ganz früh bereits als vollwertige Teammitglieder in die Abläufe und Prozesse integrieren.

Wann gehen die Potentials in ihre Länder zurück?

Nach den vier ersten Wochen gehen sie zu ihren Einheiten zurück. Dort arbeiten sie  drei Monate, bevor sie dann in die so genannte «Secondary Rotation» gehen, in ein Gebiet, das nicht zu ihrem Kernbereich gehört. Beispielsweise lernt der zukünftige Underwriter, wie die Schadenabwicklung und die physischen Help Points funktionieren. Mit diesem Einblick wird er in der Zukunft Policen und deren Risiken sehr viel besser beurteilen können. Das Feedback des Linienmanagers in dieser Rotation fliesst ebenfalls an das HRM und an den entsprechenden Linienvorgesetzten zurück.

Lernen die Einsteiger in diesen 44 Wochen  auch den CEO kennen?

Ungefähr in der Hälfte des Programms führen wir in Zürich eine Strategiewoche durch, in der alle Geschäftsleitungsmitglieder mit den Associates zusammenkommen. Ich habe schon mitbekommen, dass diverse GL-Mitglieder wichtige externe Termine verschoben haben, um an GAP-Veranstaltungen präsent zu sein. Dieser Austausch wird aufgrund der lebendigen Diskussionen und der offenen Fragen sowohl von der Geschäftsleitung als auch von den Associates gleichermassen geschätzt.

Was fragen die Einsteiger zum Beispiel?

«Wie wird man als ursprünglicher Controller bei PwC zum CEO eines Versicherungsunternehmens?» Das ist eine dieser Fragen. Wir beobachten eine klare Tendenz zu sehr viel mehr Direktheit bei jungen Leuten und auch eine Forderung nach erhöhter Transparenz vonseiten der Führung.

Wie geht Ihre Führung damit um?

Unsere Executives lieben diese Direktheit und geben auch direkte Antworten.

Welche Eigenschaften suchen Sie bei Zurich in einem «young potential»?

Belastbarkeit, Offenheit, Neugierde, Mobilität. Sie müssen beispielsweise initiativ sein, analytische Fähigkeiten haben und Netzwerke aufbauen können – alles Eigenschaften, die einen guten Leader ausmachen. Ausserdem sollten sie Respekt zeigen für ein Unternehmen, das seit 1872 existiert.

Ziehen alle 70 Teilnehmer das Programm durch, oder gibt es auch Abgänge?

Im Durchschnitt gehen fünf von 70 pro Jahrgang. In den meisten Fällen fehlte die richtige Einstellung oder es gab Verfehlungen. Ein Associate kam beispielsweise täglich eine Stunde zu spät. Wir liessen seine Leistungen am Arbeitsplatz überprüfen und stellten fest, dass sie zwar in Ordnung waren, jedoch nicht überwältigend gut. Es haperte vor allem am Leistungsvolumen. Auch während der «Secondary Rotation» wurde er wegen seines fehlenden Zeitgefühls verwarnt. Gemeinsam mit der Linie haben wir vom HRM in der Folge entschieden, uns von ihm zu trennen.

Wie haben die anderen Teilnehmer auf den Rauswurf reagiert?

Ich bekam durchweg positive Reaktionen darauf, weil ich damit meine Wertschätzung gegenüber ihren Anstrengungen zeigte. Sie fühlten sich damit noch ernster genommen.

Wie testen Sie das Führungsverhalten?

Der letzte Teil unseres globalen Programms bildet die «Insurance Simulation Week», in der wir bewusst die Geschäftsbereiche und auch die Kulturen der Teilnehmenden mischen. Diese Teams simulieren Geschäftsleitungen und befinden sich in direktem Wettbewerb mit fünf externen Konkurrenzfirmen. Diese Simulation führen wir in Zusammenarbeit mit der HSG St. Gallen durch. Bei diesen Projektgruppen erkennen wir dann sehr gut, wer wen wie führt, und wer dementsprechend eine potenzielle, zukünftige Fach- oder Führungsperson ist.

Ergaben sich bei diesen Simulationen auch mal echte Konkurrenz-Konflikte?

Nein, keine echten. Es kann aber aufgrund der kulturellen Unterschiede und 
Wertempfindungen zu Missverständnissen kommen, oder es werden Personen übergangen.

Wie lösen Sie solche Situationen?

In einem konkreten Fall fühlte sich ein Associate aufgrund seiner Erziehung und seiner fernöstlichen Kultur sehr unwohl in der Menge seiner hitzig debattierenden Kollegen. Ich machte ihm klar, dass das GAP unterschiedlichste Kulturen mit Absicht zusammenbringt und dass wir ihn genau deswegen in unserem Programm wollen. Er war somit mehr oder weniger gezwungen, seine kulturellen Grundwerte zu überwinden, um sich unserem Interaktionsstil anzupassen. Ich machte parallel zu diesem Gespräch mit ihm die anderen Teilnehmenden darauf aufmerksam, dass dieser GAP-Kollege nur dann integriert wird, wenn man ihn explizit dazu einlädt. Die wunderbare Beobachtung dabei war, dass alle ihn unter ihre Fittiche nahmen und er sich dadurch in seinem Team enorm schnell integriert fühlte. Das zeigte mir das Potenzial der ganzen Gruppe auf, die von genuinem Teamgeist geprägt ist.

Kommentieren 0 Kommentare HR Cosmos

Connie Voigt ist 
Executive Coach bei der Firma «Inside Out» sowie Gründerin der Netzwerkorganisation «Interculturalcenter.com GmbH». Zudem ist sie Dozentin für Organizational Behavior an der Edinburgh Business School, FHNW Basel und FU Berlin.

Weitere Artikel von Connie Voigt