Der demografische Wandel und Fachkräftemangel machen die Nutzung aller Arbeitskräftepotenziale unentbehrlich für eine erfolgreiche Zukunft. Immer weniger junge Leute treten in den Arbeitsmarkt ein und dennoch werden älteren Arbeitnehmenden weniger Attraktivität beigemessen. Die Chancen von älteren Stellensuchenden auf dem Schweizer Arbeitsmarkt sind dennoch besser als erwartet, findet eine neue Studie von Lee Hecht Harrison (LHH) heraus. Entscheidend für den Erfolg sind Flexibilität in Bezug auf Profil, Aufgaben und Kompetenzen, ein rasches Handeln unmittelbar nach einer Entlassung sowie die Nutzung bestehender Instrumente wie Bogenkarrieren oder Einarbeitungszuschüsse.
Vorurteile in der Gesellschaft
Die herrschenden Vorurteile in der Gesellschaft beeinflussen den Erfolg der Stellensuche beträchtlich. 86 Prozent der Befragten sind der Meinung, dass über 50-Jährige im Schweizer Arbeitsmarkt benachteiligt sind. Dies, obwohl sie selbst meistens keine entsprechenden Erfahrungen gemacht haben. «Sehr viele Kandidaten im Outplacement schrauben deshalb nach kurzer Zeit ihrer Stellensuche ihre Erwartung an die neue Beschäftigung massiv herunter» sagt Andreas Rudolph, Managing Director bei LHH Schweiz.
Flexibilität aufrechterhalten
Mehrere Untersuchungen haben ergeben, dass ältere Arbeitnehmende weniger bereit sind, in Weiterbildung zu investieren. Die aktuelle LHH-Studie zeigt: «Die Befragten erkennen klar, dass sie in die Entwicklung neuer Kompetenzen sowie in Netzwerke investieren sollen. Dies suggeriert, dass erst einschneidende Erlebnisse wie eine Entlassung Menschen zur Einsicht der Wichtigkeit von Weiterbildung für die Arbeitsmarktfähigkeit bringen» beobachtet Rudolph. «Ferner interessant ist, dass die Studienteilnehmenden nicht unbedingt Lohnflexibilität, sondern vielmehr flexible Arbeitsformen sowie das Überdenken des eigenen Profils empfehlen.»
Unterstützung annehmen
Gemäss Rudolphs Erfahrungen sind die Aussichten auf eine erfolgreiche Wiederanstellung auch bei den Ü50 nicht wirklich schlechter als bei Jüngeren: «Die Wiedereinstiegszeit dauert gemäss unseren Daten im Durchschnitt zwei bis drei Monate länger.» Aber sie dürfen nicht zu lange mit diesem «Projekt» warten. «Menschen, die früh beginnen, sich über die nächste Zeit in ihrer Laufbahn Gedanken zu machen, sind schneller erfolgreich» fügt Rudolph hinzu. Laut den Ergebnissen der LHH-Studie wirkt sich die professionelle Positionierung und Unterstützung im Rahmen eines Outplacement- oder Transitionsprogramms unmittelbar nach einer Entlassung positiv auf den Erfolg älterer Stellensuchenden aus. «Die Studienergebnisse zeigen auf, dass diese Erkenntnis zwar von allen geteilt wird, aber insbesondere von den erfolgreichen befragten Studienteilnehmenden, die einen frühen Start ausnahmslos als essenziell betrachten», vermerkt Rudolph. Orientierungsgespräche seien auch bereits für Personen ab 45 Jahren erfolgsrelevant.
Bestehende Instrumente nutzen
Wie die Untersuchung zeigt, sind Instrumente wie «Bogenkarrieren» oder «Einarbeitungszuschüsse» noch wenig bekannt und werden kaum genutzt. Bei einer Bogenkarriere wird das Arbeitspensum oder die Verantwortung im letzten Berufsabschnitt vor der Pensionierung reduziert. Einarbeitungszuschüsse werden als finanzielle Entlastungen eingesetzt, damit sich neue Angestellte während der Einarbeitungszeit die notwendigen Fähigkeiten aneignen können. Diese beiden Instrumente des Staates und der Unternehmen sind wenig bekannt und werden zu wenig angepriesen. Nur fünf Prozent der Befragten kannten diese Instrumente. «Einarbeitungszuschüsse werden kaum beworben. Unsere Beraterinnen und Berater müssen in der Regel den Stellensuchenden die entsprechenden Möglichkeiten erklären» bestätigt Yosra Tekaya, Operations Director bei LHH Schweiz.
Gesellschaftliche Akzeptanz fördern
Die bestehenden Instrumente stehen auch nicht genug mit den gesellschaftlichen Tendenzen im Einklang, wie die Untersuchungsergebnisse zeigen. «Bogenkarrieren sind kaum akzeptiert, denn wir gehen immer noch davon aus, bei der Pensionierung auf dem Karrierehöhepunkt zu stehen. Bogenkarrieren bergen die Angst, das Ansehen in der Gesellschaft zu verlieren» sagt Prof. Sibylle Olbert-Bock, FHS St. Gallen.
Lösungsansätze müssen mit den Werten der Gesellschaft im Einklang stehen. Oder diese nachhaltig verändern. Die Studienergebnisse zeigen, dass die Hälfte der Befragten weder älteren noch jüngeren Arbeitnehmenden empfehlen würde, eine Lohnreduktion in Kauf zu nehmen. Trotzdem sprechen sie sich für flexible Arbeitsformen aus. «Dieser Widerspruch und mangelnde Flexibilität führt oft dazu, dass Arbeitnehmende einmalige Jobchancen nicht annehmen und für lange Zeit arbeitslos bleiben» erklärt Rudolph.
Über die Studie
Lee Hecht Harrison hat Daten von ca. 1700 Stellensuchenden in der Schweiz analysiert, die seit 2017 nach einer Entlassung mit einem LHH-Career Transition/Outplacement-Programm unterstützt wurden. Im Zentrum der Analyse standen die Dauer der Outplacement-Unterstützung, die Instrumente, die besonders genutzt wurden, sowie die persönlichen Ziele am Anfang und am Ende des Programmes. Die Daten stammen aus einer Mischung von über zehn Branchen und über 70 Unternehmen (36% Industrie, 27% Technologie, 19% Pharma/Chemie, 8% Dienstleistungen) mit 200 bis 10‘000 Angestellten. Zusätzlich wurden 50 persönliche, qualitative Interviews mit LHH-Kandidaten (36) und -Beratern (14) geführt. 72% der betroffenen Befragten sind männlich, 28% weiblich, 75% sind über 50 Jahre alt, 25% sind zwischen 20 und 50 Jahre alt.
Die Ergebnisse der Studie werden im Rahmen des «Swiss Future of Work Forum» am 15. Mai 2019 in Bern veröffentlicht.