Event: Nationale Tagung für betriebliche Gesundheit

Gesunde neue Arbeitswelt?

Wo liegen die gesundheitlichen Risiken, wo die Chancen von «New Work»? Diese Fragen behandelte die Nationale Tagung für betriebliches Gesundheitsmanagement von Gesundheitsförderung Schweiz am 20. September im Kursaal Bern.

Das 9er-Tram vom Bahnhof Bern ist voll. Man ahnt bereits an den angeregten Gesprächen, dass es sich nicht um normalen Pendelverkehr handelt: Denn alle diese Personen machten den Weg nach Bern, um an der Nationale Tagung für betriebliches Gesundheitsmanagement 2023 teilzunehmen. 950 Personen sei ein neuer Teilnahmerekord, sagt Eric Bürki in der Eröffnungsrede. Für den Leiter Betriebliches Gesundheitsmanagement und Mitglied der Geschäftsleitung der Stiftung Gesundheitsförderung Schweiz eine Bestätigung, wie relevant das Thema «Gesunde neue Arbeitswelt?» sei. Im Gespräch mit Moderatorin und «New Work»-Spezialistin Barbara Josef erklärt er das diesjährige Motto. New Work biete viel Potenzial, um Gutes zu bewirken, aber auch neue Risiken. «Mein Wunsch ist, dass wir weiterhin mit BGM am Puls der Veränderung bleiben», sagt Bürki.

Doch was ist eigentlich «New Work»? Andréa Belliger, Direktorin des Instituts für Kommunikation & Führung IKF und Prorektorin der Pädagogische Hochschule Luzern, erläutert in ihrem Keynote den Unterschied zwischen Digitalisierung und der digitalen Transformation. Ersteres sei die «Übersetzung von analogen Werten in Bits und Bytes», letzteres hingegen gehe weit über die Technologie hinaus und betreffe die Veränderung in der Gesellschaft und Verhalten. Kern dabei sei der Paradigmenwechsel von Systemen hin zu Netzwerken – wie die Wurzeln eines Baumes: Aus dieser Konnektivität wächst ein Stamm von neuen Haltungen und Werten. Die Technologie sei der Treiber, die in ihrer Analogie wie Wasser das Wachstum ihres Baumes antreibt und zu Früchten führt: neue Handlungsfelder.

Welche das sind, erläuterte Sven Goebel, Leiter Entwicklung BGM der Gesundheitsförderung Schweiz, in seinem Keynote «Gesundheit und Leistungsfähigkeit im Kontext von New Work». Dafür bringt Goebel ein wenig Bewegung ins Spiel: Aufstehen soll, wer die Effekte von New Work bereits im eigenen Unternehmen erkennt. Und dann, wer meint, das eigene BGM sei darauf vorbereitet. Der Unterschied ist frappant: Von einigen hunderten Personen, stehen am Schluss nur noch ein Dutzend. Also zeigt Goebel die Aktionsfelder im BGM in Bezug auf «New Work»:

  • Kompetenzen und Raum für Entwicklungsmöglichkeiten
  • Fokus auf Teams besonders in Bezug auf virtueller Zusammenarbeit
  • Hinterfragen von Arbeitsprozessen
  • Führungsrollen und Entscheidungsprozesse umdenken
  • Umgang und Sammeln von Daten
  • Büro als Begegnungszone und Mittelpunkt der Arbeit

Im Anschluss stiessen Gabriela Keller, CEO von Ergon Informatik, und Jonas Konrad, Arbeitspsychologe und Projektleiter Betriebliches Gesundheitsmanagement der SBB, für einen gemeinsam Talk mit Goebel dazu. Moderiert von Barbara Josef zeigten sie anhand konkreter Beispiele, wie ihre Unternehmen Hybrides Arbeiten, Teamresilienz und Shared Leadership handhaben. Resümiert wurde das Ganze von Cartoonist Carlo Schneider, der in seinen Comics auf Paradoxe und Lücken in den Keynotes und Diskussionen hinwies und das Publikum mit beissender Satire zurück in die Realität holte.

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BGM Tagung

Künstler Carlo Schneider begeisterte mit seinen unterhaltsamen, aber auch kritischen Cartoons. (Bild: SICHTBAR Agentur, Chris Krebs)

Gestärkt mit Kaffee ging es dann ans Eingemachte in den Sub-Plenen und Workshops. Zum Beispiel konnten Teilnehmende in «Rechtliche Fragen zu New Work: Was wir tun dürfen, müssen und wollen?» ihre Fragen aus ihrem Alltag direkt in die Diskussion bringen. Ob Überwachung angemessen und erlaubt sei und was man beim Einsatz mit KI beachten, diese Themen klärten Cornelia Diethelm, Expertin für Digitale Ethik und Unternehmerin bei Centre for Digital Responsibility, und Dorothee Auwärter, Partnerin von Schiller Rechtsanwälte AG. Andere interessierten sich für das Trendthema 4-Tage-Woche. Dass nicht alles, was die Medien darüber schreiben, ganz akkurat ist, demonstrierten Andreas Krause, Programmleiter und Dozent an der FHNW, und Johann Weichbrodt, Senior Researcher an der FHNW, in «New Work und 4TW – Die 4-Tage-Woche einführen und gesund leben». Fabian Schneider, Geschäftsführer und Tech Lead von seerow, zeigte konkret wie seine Agentur die 4-Tage-Woche erfolgreich umsetzen konnte. Gesamthaft standen 4 Subplenen und 20 Workshops zur Auswahl, vor dem Mittag und gleich nach dem Mittag.

Am Nachmittag ging es im Rahmenprogramm weiter mit dem Keynote «Wertebasierte Führung – Mit Leidenschaft zum Erfolg» von André Lüthi. Als Verwaltungsratspräsident von Globetrotter stand Lüthi während der Corona-Pandemie vor vielen schwierigen Entscheidungen. Etwa das Verabschieden von hunderten von Mitarbeitenden, die sich ihre Leidenschaft zum Beruf gemacht hatten. Mit reichlich Anekdoten und Bildern von seinen Reisen erzählte Lüthi, mit welchen Führungsprinzipien sich das Unternehmen aus dem Loch hochkämpfen konnte. «Wenn der Wind des Wandels weht, bauen die einen Mauern und die anderen Windmühlen», zitierte Lüthi eine chinesische Weisheit und ermutigte die Teilnehmerinnen und Teilnehmer: «Also baut Windmühlen!»

Doch ist die klassische Führung überhaupt noch zeitgemäss? In «Selbstorganisation empowert und resiliert! Plädoyer für ein direktdemokratisches Unternehmen» berichtet Stefan Eugster Stamm wie er die selbstorganisierte Rudolf Steiner Schule Zürich mitführt und umgebaut. «Die Welt ist rund und nicht linear», meint Eugster Stamm und zeigte auf, wie zirkuläre Organisationsformen funktionieren. Dabei macht es die Mischung aus: Heterogenität führe zur idealen Zusammenarbeit. Für die Selbstorganisation brauche es unter anderem eine gesunde Fehlerkultur, Transparenz, zirkulierende Verantwortung und den Mut, Neues auszuprobieren.

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BGM Tagung

Von links: Barbara Josef, Daniella Lützelschwab, Raphael Reber, André Lüthi und Stefan Eugster Stamm diskutierten die Chancen und Hürden der neuen Arbeitswelt, (Bild: SICHTBAR Agentur, Chris Krebs)

Zum Schluss holte Moderatorin Barbara Josef für den Talk «Neue Arbeitswelt: Welche Chancen und Herausforderungen bringt sie für die Gesundheit der Mitarbeitenden?» nochmals André Lüthi und Stefan Eugster Stamm sowie Daniella Lützelschwab, Leiterin Ressort Arbeitsmarkt und Arbeitsrecht sowie Mitglied der Geschäftsleitung vom Schweizerischen Arbeitgeberverband, und Raphael Reber, Partner und Co-Founder von Zeilenwerk GmbH, auf die Bühne. Nebst der Selbstorganisation und Partizipation standen Transparenz und «Lohnfrieden», zusätzliche Belastung und Eigenverantwortung zur Debatte. Reber stellte die Frage in den Raum, ob «New Work» nicht jetzt schon einfach «Work» sei. Diese Tatsache griff auch Erik Bürki zum Abschluss der Tagung auf. Der Impact von «New Work» auf die Gesundheit werde laufend zu diskutieren geben – und das erkannte man auch am lebhaften Austausch am anschliessenden Apéro.

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Online-Redaktorin, HR Today. jc@hrtoday.ch

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