Was bringt die Arbeitswelt 2020?
Wie wird die Arbeitswelt 2020 aussehen und auf welche Turbulenzen sollten sich die Personaldienstleister dabei gefasst machen? Am fünften staffingday von swissstaffing, dem Verband der Personaldienstleister Schweiz, fanden sich rund 300 Teilnehmende am Mittwoch im Kursaal in Interlaken ein, um sich auf stürmische Zeiten vorzubereiten.
Gemütliches Eintreffen am 5. staffingday im Kursaal Interlaken.
«Es wird stürmisch.» Mit diesen Worten eröffnete Georg Staub, Präsident von swissstaffing, sein Impulsreferat die fünfte Ausgabe des staffingdays zum Thema «Arbeiten 2020 – hin zum Arbeitnehmermarkt». Die Arbeitswelt gerate mehr und mehr aus dem Lot. Zwar sei in ökonomischen Lehrbüchern immer noch von den klassischen Produktionsfaktoren Arbeit, Boden und Kapital die Rede, tatsächlich habe die Bedeutung der Arbeit für die Produktion aber abgenommen, während die Renditen auf dem investierten Kapital gestiegen seien. Im Rahmen dieser Entwicklung werde vermehrt von Menschen verrichtete Arbeit werde durch Algorithmen ersetzt oder in Tieflohnländer verlagert. Dies geschehe immer schneller und betreffe immer höher qualifizierte Jobs, vom Chirurgen bis hin zum Juristen. Dadurch werde auch der Wert der Arbeit weiter vermindert.
«Wir werden uns überlegen müssen, wie die künftige Arbeitswelt aussieht und als Branche investieren», sagte Georg Staub und übergab nach diesem aufrüttelnden Plädoyer bildhaft mit «Schirm, Charme und Melone» das Wort an Katja Stauber, die souverän die Tagungsmoderation übernahm. «Sind Arbeitgeber böse Wohltäter?» fragte der emeritierte luxemburgische Wirtschafts- und Sozialwissenschafter Guy Kirsch in seinem Anschlussreferat. Arbeitgeber müssten sich zwar einer Welt des Geizes stellen, böten ihren Mitarbeitenden aber auch die Gelegenheit, in dieser Gesellschaft etwas zu werden und zu sein. Diese Sichtweisen gelte es in Übereinstimmung zu bringen.
Drei Mal so viel Temporärarbeitende
Dass Temporärarbeit immer beliebter und wichtiger wird und auch künftig eine Bedeutung haben wird, belegte swissstaffing-Direktorin Myra Fischer-Rosinger mit unzähligen Daten zur Entwicklung der Personaldienstleistungsbranche. Als Beispiel nannte sie die Verdreifachung der Zahl der Temporärarbeitenden seit 1995 und deren zunehmende höhere Qualifikation. Doch was wird das Jahr 2020 bringen?
«Personaldienstleister werden vermehrt zum Begleiter der Temporärarbeitenden», umschrieb Myra Fischer-Rosinger ihre Zukunftsvision, denn «Lebensläufe gleichen zunehmend einem Mosaik.» Perioden der Ausbildung wechselten sich mit Projektarbeiten, Auslandsaufenthalten oder Freiwilligenarbeit ab. Über die verschiedenen Lebensphasen hinweg könnten Personaldienstleister die Rolle eines Jobtrainers einnehmen, eines Jobvermittlers oder eines Coachs und Beraters. «Die Branche muss ihre Dienstleistungen aber noch weiter anpassen. Da liegt noch viel Arbeit vor uns», sagte sie abschliessend und leitete zum swisstaffingfilm über, in dem rund zwei Dutzend Menschen auf der Strasse zum Sinn der Arbeit und ihren Bedürfnissen befragt wurden.
«Existenzgrundlage», «persönliche Erfüllung», «um meine Rechnungen zu bezahlen», «um ein geregeltes Leben zu haben», sind die häufigsten Stichworte, die zum Zweck der Arbeit genannt werden. Ein Chef soll zuhören können, loben, sein Team motivieren, Vorbild sein, Respekt zeigen, delegieren oder sein Verhalten transparent machen. Für Amüsement sorgten anschliessend Jonas Raebers Comics, welcher das bisher Gesagte in adhoc gezeichneten Bildern festgehalten und damit für Lacher im Publikum sorgte.
Fit für den Arbeitnehmermarkt
«Wie machen sich Firmen fit für den Arbeitnehmermarkt?» ist das Thema der Podiumsdiskussion, zu welcher der Präsident des Schweizerischen Arbeitgeberverbands, Valentin Vogt, swissstaffing-Vorstandsmitglied Marcel Keller von Kelly Services, Amelia Räss-Fernandez, HR-Leiterin von Salt. Mobile SA sowie SGB-Gewerkschaftsvertreterin Doris Bianchi und Teilzeitmann Andy Keel antraten. Zukunftsfähige Arbeitsmodelle wie Coworking oder Home Office seien das Gebot der Stunde, erklärte Andy Keel. Das bedeute auch, die Führungskultur zu überdenken und sich zu überlegen, wie man künftig den Output pro Stunde messen wolle. Amelia Räss-Fernandez unterstrich die Bedeutung der Innovationsfähigkeit: «Nur so können wir die Standorte in der Schweiz behalten und damit auch die Jobs.» Der Arbeitsmarkt wird menschlicher, betonte Marcel Keller. «Zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer wird ein Dialog stattfinden». Für Valentin Vogt stand die Überlegung im Vordergrund, wie man ältere Menschen in die Gesellschaft einbindet: «Heute leben in der Schweiz 280'000 Menschen, die über 80 Jahre alt sind. In zehn Jahren werden es 800'000 sein. Wer kümmert sich um diese Menschen und was tun sie den ganzen Tag?», das müsse man überdenken. «Mehr Platz für Menschen mit Beeinträchtigungen», fordert hingegen Doris Bianchi. Es könne nicht sein, dass nur «Hochleister» in der Gesellschaft Anerkennung fänden, es brauche auch Platz für andere.
Mit Vorwürfen des «Regulierungswahns» konfrontiert sah sich Bruno Sauter, der Chef des Zürcher AWA (Amt für Wirtschaft und Arbeit), wogegen er sich entschieden wehrte und auf die Thematik der «Scheinselbständigen» und Lohndumping verweist. Als Verwaltungsangestellter sei er solche Klagen aber gewohnt. Er habe schliesslich breite Schultern, seine Aufgabe sei ja nicht Gesetze zu machen, sondern diese praktikabel umzusetzen.
Das Schlusswort hatte wieder swissstaffing-Präsident Georg Staub. Er wies nochmals darauf hin, dass die Digitalisierung vieles, was uns zur Gewohnheit geworden sei, über den Haufen werfen werde. So auch das Konzept des Nationalstaates, das er als Auslaufmodell des 20. Jahrhunderts sieht. Das bedeute eine grosse Herausforderung für die ganze Gesellschaft.