Employer Branding

265 Karriereseiten im Test

Sind Karrierewebseiten von Unternehmen so attraktiv gestaltet und so gut besucht, wie deren Urheber sich das erhoffen? Die Zürcher HR-Tech-Firma Softfactors wollte es ­genau wissen und erhob den Status quo in Wallraff-Manier. Sechs Kandidaten bewarben sich verdeckt bei 265 Schweizer Arbeitgebern. Studienleiter Reto Rüegger gibt Einblick.

Schlagworte wie War for Talent, Candidate Experience, Employer Branding und Social Media Recruiting sind zwar in aller Munde, trotzdem wird oft noch rekrutiert wie vor 50 Jahren. Namentlich beim eigentlichen Bewerbungsprozess ist es vorbei mit der angenehmen Kandidatenerfahrung. Hier dominiert oft noch die IT des letzten Jahrhunderts. Es gibt jedenfalls viele Möglichkeiten, bei den Bewerbenden einen bleibend schlechten Eindruck zu hinterlassen.

Behandeln Unternehmen ihren Arbeitgeberauftritt im Netz wirklich so stiefmütterlich und ist der Bewerbungsprozess auch heute noch eine «Candidate Experience» im schlechteren Sinn? Das wollten wir überprüfen.

So wurde untersucht

Drei Frauen und drei Männer im Alter zwischen 26 und 60 Jahren haben sich in unserem Auftrag im Februar bei rund 265 in der Schweiz ansässigen Arbeitgebern beworben. ­Jeweils zwei verschiedene Kandidaten auf einen beliebigen, ausgeschriebenen Job. Nur so war es möglich, eine qualitative Aussage über die guten und weniger guten Faktoren der Karriereseiten zu machen.

Für die Untersuchung haben wir zehn Kriterien definiert, welche die aussagekräftigsten Aspekte einer Online-Bewerbung erfassen und die Unterschiede zwischen den Job-Portalen verdeutlichen sollen. So haben wir beispielsweise die «Auffindbarkeit des Job-Portals» mit der Anzahl Klicks gemessen, die benötigt wurden, um bis zu diesem zu gelangen (Note 5 = 1 Klick, Note 1 = 5 oder mehr Klicks). Der Faktor «Kontaktangaben im Inserat» ergab sich aus Anzahl und Form der aufgeführten Kontaktmöglichkeiten. Um den «Bewerbungsaufwand» zu evaluieren, berechneten wir einerseits die Zugangszeit zum gewünschten Inserat, aber auch den Aufwand für das Ausfüllen der Bewerbung und deren Upload.

Weitere Kriterien beruhten auf der individuellen Wahrnehmung der Testkandidaten. Beispielsweise die «Einfachheit der Bedienung» oder «Look-and-feel». Klafften die Bewertungen stark auseinander, mussten die anderen Testpersonen ihr Urteil abgeben.

Die zehn Besten

Die prämierten Unternehmen brechen bereits mit einer ungewöhnlichen Einstiegsseite das Eis. Kandidaten werden hier von künftigen Kollegen oder HR-Verantwortlichen angesprochen. Unsere Untersuchungsergebnisse ergaben klar, dass die Motivation der Kandidaten stieg, sich hier zu bewerben.

Die zehn bestplatzierten Portale heben sich vor allem in drei Punkten ab. Die einfache Bedienung und die Benutzerfreundlichkeit sind vorbildlich. Es geht nicht in erster Linie um Selbstdarstellung des Unternehmens, sondern um die kundenorientierte Führung der Bewerber. Und auch in Bezug auf einen möglichst geringen Bewerbungsaufwand und einfachen Zugang können die Top-Platzierten punkten. Auch wenn hier durchaus verschiedene Methoden eingesetzt werden, waren sich unsere Bewerber einig, dass der Bewerbungsaufwand angenehm vernünftig war.

Fazit und Ausblick

Schweizer Karriereseiten sind im Durchschnitt nicht nur gut auffindbar, sondern häufig auch erfreulich schön und übersichtlich gestaltet. Verbesserungspotenzial gibt es hingegen bei vielen Firmen bei der persönlichen Ansprache der Bewerberinnen und Bewerber. Im Zeitalter von Twitter, Facebook und Konsorten sind rasche, unkomplizierte Kontaktmöglichkeiten und Einblicke ins künftige Arbeitsumfeld, beispielsweise mittels Video, wichtige Unterscheidungsmerkmale. Wichtigstes Bedürfnis aus Kandidatensicht bleibt jedoch eines: dass die Bewerbenden wertgeschätzt werden und die Möglichkeit erhalten, auf einfache Weise ihre Stärken zu präsentieren. Gerade in diesem Bereich liegen die grössten Herausforderungen bei softwaregestützten Bewerbungsprozessen.

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Reto Rüegger ist Senior Consultant und Agile Executive Coach bei Pragmatic Solutions. Davor war er bei der Swiss Life Gruppe im strategischen HR tätig. Rüegger gründete die Softfactors AG war auch deren CEO, welche 2020 an die Swisselect Gruppe verkauft wurde.

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