Führungskräfteentwicklung

Agile Leadership: Schweizer Unternehmen kämpfen mit der neuen Führungsrolle

Der Trend zur Agilität hat auch die Schweizer Wirtschaft erfasst. Doch während Unternehmen zunehmend auf flexible Arbeitsmethoden setzen, bleibt der Wandel in der Führung oft auf der Strecke. Eine neue Studie zeigt: Die Einführung von Agile Leadership stellt viele Führungskräfte vor Herausforderungen, bietet aber auch grosse Chancen, um nachhaltigen Erfolg zu sichern.

Der Trend hin zu mehr Agilität ist auch in der Schweiz schon länger spürbar. Denn agile Arbeitsweisen versprechen schnelleres Wachstum und höheren Profit. Und so haben sich zahlreiche grosse und kleine Unternehmen auf den Weg der agilen Transformation begeben. Wie unterschiedlich sie Agilität dabei definieren, zeigt eine Befragung des Instituts für Angewandte Psychologie in Zürich.1 Die Spannbreite reicht von der unternehmerischen Fähigkeit, schnell und flexibel auf Unvorhergesehenes zu reagieren, über agile Arbeitsmethoden bis hin zur Offenheit für Neues und Veränderung. Was allerdings fehlt, ist der ganzheitliche Ansatz für einen nachhaltigen Übergang zu einem agilen Mindset.

Dafür empfiehlt sich die kritische Auseinandersetzung mit klassischen Führungstheorien. Kultur und Leadership leisten einen hohen Wertbeitrag am langfristigen Unternehmenserfolg und sind Ausgangspunkt für die Transformation. Doch gerade in diesem Bereich ist der Reifegrad der Agilität in Schweizer Unternehmen nicht besonders hoch.2 Steigern lässt er sich mit der Einführung von Agile Leadership. Der Lösungsansatz verspricht Führungskräften, die im Wandel eine entscheidende Rolle spielen, aber auch selbst von Veränderungen betroffen sind, viele Vorteile: sie werden produktiver, anpassungsfähiger und innovativer. Voraussetzung ist, dass sie bereit zur eigenen Weiterentwicklung sind und dass vor allem hierarchisch geprägte Unternehmen schrittweise und gezielt bei der Implementierung vorgehen.

Neuer Ansatz für Führung ist flexibler und fördert Eigenverantwortung

Agile Leadership ist ein Denk- und Vorgehensmodell, um die Zukunftsfähigkeit von Unternehmen in einem volatilen Umfeld zu sichern. Es schafft durch den Einsatz agiler Praktiken und durch achtsame Kommunikation einen Rahmen, innerhalb dessen Fachexperten eigenständig entscheiden dürfen. Im Gegensatz zur klassischen Führung, die auf Hierarchien und fixen Zielvorgaben beruht, fördert dieses Modell agile Netzwerkstrukturen, in denen rasche Anpassungsfähigkeit möglich ist. Das heisst nicht, dass in agilen Unternehmensbereichen keine Zielvorgaben existieren. Im Gegenteil: Agile Führungskräfte sorgen für eine inspirierende Vision und klare Ziele. Sie lassen aber ihre Mitarbeitenden die Ziel- und Strategieentwicklung mitgestalten. Indem Führungskräfte ihre Teams befähigen, mehr Verantwortung im operativen Tagesgeschäft zu übernehmen, entlasten sie nicht nur sich selbst, sondern entsprechen auch dem Wunsch talentierter Nachwuchskräfte nach Selbstverwirklichung und sinnstiftenden Aufgaben. Verständnis für agiles Führen entwickeln

Mit Agile Leadership geht eine Skill- und Verhaltenserweiterung auf persönlicher Ebene sowie eine Mitarbeiter- und Wertstromorientierung auf der Team- und Organisationsebene einher. Agile Führung sollte daher stets ganzheitlich betrachtet werden. Das AQAL-Quadrantenmodell von Ken Wilber hilft, die verschiedenen Perspektiven zu berücksichtigen: Also sowohl die nach aussen sichtbare Ebene, dazu gehören die Struktur und Prozesse sowie die Rollen und Skills in einer Organisation, als auch die unterschwellig spürbare Ebene, welche die Haltung und Einstellung von einzelnen Mitarbeitenden sowie die Kultur und Beziehungen im Kollektiv umfasst.

Die «richtige» Haltung hat dabei einen besonderen Stellenwert. Führungskräften fällt es häufig schwer, ihre bisherigen Denkmuster zu durchbrechen, bewusst umzudenken und agile Führungspraktiken in ihren Alltag zu integrieren. Durch die Arbeit mit dem Herzstück des modernen Führungsansatzes, den agilen Führungswerten, können sich Führungskräfte an Agile Leadership annähern. Die Werte orientieren sich einerseits an den Werten aus dem Scrum Framework wie Mut, Offenheit, Respekt, Commitment und Fokus. Andererseits beziehen sie aber auch die individuellen Werte jedes Einzelnen mit ein.

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Agile Leadership Cynefinmodell

Agile Leadership als Führungsmodell in komplexen Systemen (CynefinModell). Bild: MHP

Für jede Situation eine neue Rolle

Für agile Führungskräfte sind verschiedene Rollen von besonderer Bedeutung, die sie je nach Situation einnehmen. Dazu gehört beispielsweise die Rolle als Unternehmer, Coach und Kommunikatorin. In diesen Rollen wird von ihnen erwartet, frühzeitig den Transformationsbedarf von Prozessen, Strukturen und ganzen Geschäftsmodellen zu erkennen.

Sie sollten sich dabei bewusst sein, dass jede Änderung bei sich selbst beginnt und sie massgeblich dafür verantwortlich sind, ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter durch die Veränderungsprozesse zu führen. Agile Leader zeichnen sich demnach durch ein grundlegendes Verständnis von Change-Management aus.

Zudem wird erwartet, dass sie sowohl ihre Bedürfnisse als auch die der Mitarbeitenden im Blick behalten. Ein achtsamer Umgang mit den eigenen Ressourcen, die bewusste Selbstreflexion und ein empathischer Umgang mit dem Team rücken immer stärker in den Fokus. Der Ansatz der psychologischen Sicherheit der Professorin Amy Edmondson gewinnt dabei an Bedeutung. Die agile Führungskraft lebt es vor, über Fehler zu sprechen und sorgt damit für gegenseitiges Vertrauen. Durch Reflexion, zum Beispiel in Form von Retrospektiven, wird eine nachhaltige Lernkultur gefördert.

Ganzheitliche Standortbestimmung vornehmen

Bevor Entwicklungsmassnahmen für Führungskräfte umgesetzt werden, ist es wichtig zu verstehen, in welchem Kontext die Führungskraft agiert, wie agil die Organisation aufgestellt ist und welches Führungsverständnis bereits vorhanden ist. Neben dem AQAL-Quantenmodell von Ken Wilber sind Interviews, Assessments, Retrospektiven oder «Gemba Walks» mögliche Formate zur Bestimmung des Ist-Stands der sichtbaren und spürbaren Dimension einer Organisation. Sind Strukturen cross-funktional oder hierarchisch, herrscht im Unternehmen eine Angst- oder Vertrauenskultur; was ist der Führungskraft persönlich wichtig und werden Leadership-Rollen gelebt sind Fragen, die eine ganzheitliche Standortbestimmung beantwortet. Dabei kann auch herauskommen, dass Führung in agilen Unternehmensbereichen auf mehrere Schultern verteilt werden könnte: in eine fachliche und eine disziplinarische Verantwortung oder eine Mischform.

Auf diesen Ergebnissen basierend wird ein Zielbild für die zukünftige Führungsrolle entwickelt. Davon abgeleitet werden modulartige Lernprogramme für die Führungskräftebefähigung aufgesetzt, wobei sich eine Kombination aus personalisierten Entwicklungsmassnahmen und bewährten Methoden empfiehlt. Dazu gehören Trainings zu agilen Grundlagen, Workshops und Simulationen zur Teamentwicklung sowie Coachings und Mentorings zur Reflexion des Führungsverhaltens, welche die Kompetenzen der Führungskraft umfassend erweitern.

Einzelne Methoden wohlüberlegt ergänzen

Ein ganzheitlicher Ansatz beim Thema Agilität ist für den Erfolg entscheidend und konkret der Agile Leadership-Ansatz bietet Führungskräften und Organisationen im Transformationsprozess viele Vorteile. Trotz allem ist es wichtig, diesen Ansatz nicht als den alleinigen «Königsweg» zu sehen. Nach wie vor muss das bestehende Geschäft mit bewährten Führungspraktiken gesichert werden. In komplexen Arbeitsumfeldern mit hohen Abhängigkeiten, wie in den Bereichen digitale Produktentwicklung und Innovationen in der Automobilbranche, ist agiles Arbeiten und Führen jedoch sinnvoll. Einzelne Methoden sollten hier wohlüberlegt ergänzt und Führungskräfte eng begleitet und unterstützt werden.

Wie sich ein agiles Führungsverständnis entwickeln lässt, fasst das MHP Whitepaper Agile Leadership zusammen.

Quellen

1 Agile Arbeits- und Organisationsformen in der Schweiz, Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, IAP, 2019

Studie «Agilität in KMU», Futurum Organisations Management GmbH 2020

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Katja Koch

Als Senior Manager für Organisationsentwicklung bei MHP fokussiert sich die Beratungstätigkeit von Katja Koch auf Agile Transformation, Teamentwicklung und Führungskräfteberatung. Ihre langjährige Erfahrung teilt sie unter anderem als Speaker auf Konferenzen. Website | Linkedin

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Katharina Vollus

Als Associated Partner bei MHP berät Katharina Vollus Kunden im Rahmen der digitalen Transformation in den Bereichen Organisationsdesign und -betrieb. Außerdem engagiert sie sich für flexible Arbeitsmodelle und experimentierte als Mutter einer Tochter und Führungskraft eines 30-köpfigen Teams mit einer Dreitagewoche in Teilzeit – für ihre Leistung wurde sie mehrfach ausgezeichnet. Website | Linkedin

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