Agile Skalierung

Agile Arbeitsweisen und -methoden werden oft als das Zaubermittel präsentiert, um Unternehmen zukunftsfit zu machen. Die betriebliche Praxis erfordert eine differenziertere Betrachtung.

Die agilen Arbeitsweisen und -methoden haben ihre Wurzeln fast alle in der Softwareentwicklung. Will ein Unternehmen diese auf Teile oder die ganze Organisation skalieren, also übertragen, sollte man sich zunächst vergegenwärtigen, was die zentralen Elemente bzw. Prinzipien einer agilen Arbeitsweise sind:

  1. Eine konsequente Ausrichtung der Projekt- und Alltagsarbeit auf die Bedürfnisse der Kunden.
  2. Eine weitgehende Übertragung der Entscheidungsbefugnisse auf die Mitarbeitenden bzw. Teams und eine entsprechende Führung.
  3. Eine bereichs- und funktionsübergreifende Zusammenarbeit z.B. in Scrum- oder Entwicklerteams, in denen alle nötigen Kompetenzen vertreten sind, um das übergeordnete Ziel zu erreichen.
  4. Eine inkrementelle Arbeitsweise, bei der komplexe Vorhaben schrittweise geplant und den Kunden im Projektverlauf regelmässig Inkremente, also Teillösungen, ausgeliefert werden, zu denen diese bereits Feedback geben.
  5. Ein iteratives Vorgehen, bei dem in den Prozess immer wieder Reflexionsschleifen eingebaut sind, um aus den zwischenzeitlich gewonnenen, neuen Erkenntnissen Schlüsse für das weitere Vorgehen zu ziehen.

Die meisten der genannten Prinzipien sind nicht neu. Organisationsentwickler haben sich auch in der Vergangenheit bereits mit ihnen auseinandergesetzt. Beispielsweise wenn es darum ging, Entscheidungsbefugnisse auf die Mitarbeitenden und Teams zu übertragen oder das schrittweise Vorgehen (iterativ) mit regelmässigen Reflexionsschleifen, um aus den gesammelten Erfahrungen Schlüsse für das weitere Vorgehen zu ziehen.

Etwas anders verhält es sich beim Prinzip einer inkrementellen Arbeitsweise, bei der den Kunden im Prozessverlauf regelmässig sogenannte Inkremente ausgeliefert werden. Bei komplexeren Vorhaben bietet sie sich durchaus an, jedoch nicht für alle Branchen und Unternehmensbereiche. Ein IT-Unternehmen kann an seine Kunden durchaus die Alpha-Version einer Software ausliefern und dank den gewonnen Daten dann die Beta-Version kreieren. Anders verhält es sich beispielsweise bei einem Autohersteller. Er kann seinen Kunden nicht zuerst den Motor zum Ausprobieren liefern, drei Monate später dann Kupplung und Bremse etc. Ähnlich verhält es sich bei fast allen industriell gefertigten Gütern.

Differenziertes Vorgehen

Unternehmen befassen sich meist erst mit der Skalierung agiler Methoden, wenn in ihrer Organisation bereits ein, zwei Bereiche – zum Beispiel IT oder Forschung – positive Erfahrungen mit dieser Arbeitsweise gesammelt haben. Der Vorteil dabei ist, dass es schon Mitarbeitende gibt, die ihren Kolleginnen erläutern können, warum diese auch für andere Bereiche oder gar die gesamte Organisation sinnvoll sein könnten.

Ein entsprechender Workshop mit den Vertretern der relevanten Bereiche hilft bei der Umsetzung:

  1. Zunächst erläutert das Management, warum sich das Unternehmen mit agiler Skalierung befasst und was es sich von einer Steigerung der Agilität verspricht.
  2. Danach erläutern Experten an Praxisbeispielen die Prinzipien einer agilen Arbeitsweise,
  3. und schliesslich berichten die Kolleginnen aus den Bereichen, die bereits agil arbeiten, über ihre Erfahrungen mit den agilen Methoden.

Ist das agile Bewusstsein da, kann mit den Vertretern ermittelt werden, inwieweit in ihren Bereichen agile Arbeitsweisen überhaupt möglich und zielführend wären. Wenn ja, worin sich die gewünschte Agilität im Arbeitsalltag zeigen würde, welche Veränderungen hierfür auf der Kultur- und Strukturebene nötig wären, und auf welches vergangene Vorgehen aufgebaut werden könnte, um das angestrebte Ziel zu erreichen. Letzteres ist wichtig, um den Mitarbeitenden die Angst zu nehmen, dass sich alles ändern muss und wird.

Bei der weitgehend automatisierten Produktion eines Massengüterherstellers kann die zentrale Erkenntnis eines solchen Workshops auch sein, dass sich die Einführung agiler Methoden nicht lohnt, weil es weitgehend darum geht, zuverlässig ein- und dasselbe Produkt zu produzieren. Stattdessen sollten diese Organisationen daran arbeiten, die Qualität der Leistung kontinuierlich zu verbessern, und Führungskräfte dahingehend schulen, dass sie die Eigenständigkeit der Mitarbeitenden kontinuierlich und verhältnismässig fördern.

Fazit

Wenn es also um agile Skalierung geht, ist es wenig sinnvoll, die Methoden mit dem Giesskannenprinzip über die gesamte Organisation auszuschütten. Vielmehr gilt es, ein abgestimmtes Gesamtkonzept zu entwerfen, das ausgehend vom übergeordneten Ziel «Wir wollen als Unternehmen agiler im Markt agieren!» die Arbeit in den einzelnen Bereichen sowie ihre Kooperation untereinander gezielt entwickelt.

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Dr. Georg Kraus ist geschäftsführender Gesellschafter der Unternehmensberatung Dr. Kraus & Partner. Er ist unter anderem Lehrbeauftragter an der Universität Karlsruhe, der IAE in Aix-en-provence, der St. Gallener Business-School und der technischen Universität Clausthal.

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