Als Expat in Russland
Viele Jahre hat Astrid Ohlendorf, Eigentümerin der Schweizer Relocation GmbH, Expats den Start in Zürich erleichtert und sie bei ihrem Umzug in die Schweiz unterstützt. Seit zwei Jahren führt sie selbst das Leben eines Expats, nachdem sie 2012 mit ihrer Familie nach Moskau umgezogen ist. Dort führt ihr Ehemann, Marc Ohlendorf das Swissotel Krasnye Holmy und sie leitet die Schweizer Relocation GmbH aus der Ferne. Ein Erfahrungsbericht von Astrid Ohlendorf.
Familie Ohlendorf gefällt es in Russland. Im Bild die Kathedrale St. Basilius auf dem Roten Platz in Moskau. (Bild: Keystone)
In der russischen Hauptstadt finden wir ein sehr attraktives kulturelleres Angebot. Das hohe Niveau und die Vielfalt begeistern uns. Das Publikum nimmt mit Enthusiasmus und einem hohen Verständnis an den Veranstaltungen teil; sei es in der Oper, Theater oder im Konzert. Dieses Erlebnis wird bereits in frühen Jahren vermittelt, so sind musische Fächer ein ganz wichtiger Teil der Bildung.
Expats auf der einen Seite profitieren von einer gut organisierten «International Community» mit grossem Angebot. Auf der anderen Seite ist es für die Expat-Partner aussichtslos zu arbeiten, weshalb die Teilnahme an den angebotenen Kursen sehr hoch ist. Das Angebot reicht von Museumsbesuchen, Cross Cultural Trainings, Vorträgen zur russischen Kultur über Nordic Walking bis zu Kinderspielgruppen.
Der Alltag stellt die Expats immer wieder vor neue Herausforderungen. Die Qualität der Lebensmittel variiert stark, die Preise für Bestqualität liegen über denen der Schweiz. Auch einen Handwerker zu organisieren ist knifflig, da es kein ausgebildetes Fachpersonal gibt. Die Sprache ist eine weitere Hürde im täglichen Alltag, da nur sehr wenige Leute Englisch sprechen. Dadurch ist man auf die Unterstützung von Dritten angewiesen. Dabei spürt man die grosse Hilfsbereitschaft der Russen, die weit über das Schweizer Verständnis hinausgeht.
Immer wieder stellen wir fest, welches veraltete Bild im Westen punkto Sicherheit in den Köpfen der Menschen herrscht. Wir fühlen uns sehr sicher in Moskau, etwa in der U-Bahn, aber genauso abends auf dem Nachhauseweg eines Theaterbesuchs. Nicht zu unterschätzen ist das hohe Verkehrsaufkommen, was zu langen Anfahrtswegen führt; glücklicherweise steht ein hervorragendes U-Bahn Netz zur Verfügung und mit dem strikten Einführen von Verkehrsregeln wird der Verkehr kontrollierter. Während der Winterzeit haben viele mit den kurzen Tagen und dem geringen Tageslicht zu kämpfen, was aber im Sommer dafür wieder mit herrlich langen Sonnentagen wettgemacht wird. Diese laden zum Eintauchen in die umliegenden altrussischen Klosterstädte des Goldenen Rings nordöstlich von Moskau ein. Sie hinterlassen mit ihrer ausserordentlichen Schönheit eine bleibende Erinnerung.
Mein Mann und ich erleben unsere ganz eigenen beruflichen Herausforderungen. Ich mit der Führung aus der Distanz: die direkte Einflussnahme, die Tragweite von Delegation – auf der andern Seite machen die heutigen Kommunikationsmittel und Technologien (Mitarbeitergespräche via Skype, etc.) dies wiederum möglich. Auch werde ich von meinem professionellen Team unterstützt, welches sich vollumfänglich um die Betreuung der Kunden in der Schweiz kümmert. Weiter sorgt der Blick aus der Vogelperspektive, den ich auf Grund der Distanz auf meine Firma habe, für Innovationen - hier fliessen die Bedürfnisse der Expats ein, die ich durch meine persönlichen Erlebnisse «aus erster Hand» kenne.
Mein Mann Marc erlebt das Führen eines russischen Teams als seine grösste Herausforderung. Im Vergleich zur Schweiz sind Russen viel emotionaler. Wenn im familiären Umfeld etwas passiert, wird dies auch bei der Arbeit ein gewichtiges Thema. Man gibt seinem Leid – aber auch seinem Wohlgefühl – vollen Ausdruck. Dies unabhängig von der Position. Es gibt keine «Arbeitsmaske» wie häufig bei Schweizer Mitarbeitern. Für die westliche Führungskraft bedeutet dies, dass sie mit unerwarteten Situationen, die man auf keinen Fall ignorieren darf, umgehen können muss. Sonst geht die Akzeptanz als Chef verloren.
Aus seiner Perspektive sind russische Mitarbeiter – wenn die Identifikation stimmt – sehr flexible Mitarbeiter. Mitarbeiterführung spielt sich in Russland sehr stark auf der persönlichen Ebene ab. Jeder Mitarbeiter möchte angehört werden; die Entscheidung liegt jedoch beim Chef alleine. Im Führungsstil ist sein Auftreten daher wesentlich direktiver als in der Schweiz.
Zu den Besonderheiten im Umgang mit russischen Mitarbeitern zählt vor allem der Wunsch nach Anerkennung. Nicht, dass Schweizer Mitarbeiter kein Feedback benötigten – jedoch benötigen russische mehr, zur Bestätigung, auf dem richtigen Weg zu sein. Ausserdem spielt das Monetäre eine wichtige Rolle. Eine gute Beziehung zwischen Mitarbeiter und Vorgesetzten hilft, eine Bindung herzustellen, im Gegensatz zur Schweiz weit hinein ins private Umfeld. Eine gute Beziehung bedeutet für den Russen, dass man sich und die Familie kennt. Die Mitarbeiter lassen sich gegenseitig in die Privatsphäre schauen und laden sich gerne gegenseitig auf ihre Datscha ein. Darin unterscheiden sie sich klar vom Schweizer Angestellten – wo die Bindung generell stärker dem Unternehmen gilt.
Bei politischen Themen ist es empfehlenswert, einfach zuzuhören und auf keinen Fall eine vorgefertigte Meinung zu haben. Die Russen sind stolz auf ihr Land und ihre Kultur. Spürt der Mitarbeiter/Kandidat eine negative Einstellung gegenüber Russland, wird er nur ungern für diesen Vorgesetzten arbeiten.
Und was kann man tun, um russische Mitarbeiter in der Schweiz zu halten? Das Wichtigste ist der Aufbau der oben beschriebenen Beziehung. Ausserdem ist es von Bedeutung, den Mitarbeiter und seine Familie dabei zu unterstützen, den Anschluss an ein russisches Netzwerk zu finden. Es spielt eine grosse Rolle, ob der Mitarbeiter und seine Familie bereits im Ausland gelebt haben und ob sie aus Moskau, St. Petersburg oder von einem andern Ort in Russland kommen, da die Mentalität und die Bedürfnisse je nachdem stark variieren.