Angst vor dem Machtverlust: Schwäche zeigen ist für Führungskräfte oft tabu
Menschen in leitenden Funktion müssen topfit, belastbar und verantwortungsbewusst sein. Was passiert jedoch, wenn eine schwere Erkrankung die Leistungsfähigkeit in Frage stellt? Häufig wird die Krankheit tabuisiert und nach aussen nicht richtig kommuniziert.
(Illustration: Ulrike Kobelius)
Die schwere Krankheit eines Topmanagers kann für ein Unternehmen fatale Folgen haben. In das gängige Bild eines Chefs, eines dynamischen, Werte schaffenden Machers, passt keine Krankheit, die körperlich und seelisch schwächt und den Betroffenen oft angeschlagen zurücklässt.
Eine Krankheit ist ausserdem stets auch verbunden mit vielen Fragen – beispielsweise: Wie leistungsfähig ist ein Vorstandsvorsitzender, der einen Schlaganfall erlitten hat, wie der Peugeot-Chef Christian Streiff? Hat die Öffentlichkeit das Recht zu wissen, wie es um den Gesundheitszustand des Firmenchefs steht, wie im Fall von Apple-Gründer Steve Jobs? Einige wagen den Schritt in die Öffentlichkeit und sprechen über ihre Krankheit. So etwa Franziska Tschudi, CEO der Technologiegruppe Wicor, die offen über ihren Hirnschlag spricht. Oder Rolf Dörig, Delegierter des Verwaltungsrats von SwissLife, der kein Geheimnis daraus macht, dass sein Herz kollabierte. Doch das sind Ausnahmen.
Abwägen zwischen Privatsphäre und Information der Stakeholder
Wenn eine Führungsperson in einem Unternehmen erkrankt, passiert es häufig, dass die Krankheit eher tabuisiert wird, sind sich die gefragten HR-Manager einig. Nur schon weniger gravierende Erkrankungen wie Kreislaufprobleme werden möglichst zurückhaltend kommuniziert. Die Betroffenen haben Angst vor Stellen- und auch Machtverlust, ihre Verunsicherung ist gross. Oft werden Entscheide einfach aufgeschoben, wenn die Führungskraft erkrankt ist, man wartet und weiss nicht, wann der Betroffene an die Arbeit zurückkehrt. Ein HR-Leiter, der nicht genannt werden möchte, erzählt von seinem CEO, der seine Krebserkrankung nicht kommunizieren wollte, trotz der vielen Gerüchte, die bald die Runde machten. Als HR-Verantwortlicher könne man in einer solchen Situation nichts tun. Es sei die persönliche Entscheidung jedes Einzelnen, ob er oder sie über die Erkrankung informieren möchte.
Rein rechtlich gesehen gibt es keine Pflicht, über den Gesundheitszustand zu informieren. Ulrich Thielemann, Vizedirektor am Institut für Wirtschaftethik St. Gallen, ist aber der Ansicht, dass der Schutz der Privatsphäre eines Managers gegenüber den berechtigten Informationsanliegen der Stakehoder gut abgewogen werden muss. Dieser Konflikt lässt sich gemäss Thielemann entschärfen: «Ein guter Manager sorgt dafür, dass er nicht unersetzbar ist. Wer den Fehler begeht und sich selbst zum Herren der Wertschöpfung aufschwingt, der muss mit seiner Privatsphäre dafür bezahlen.»
Unterschiedliche Reaktionen auf schwere Erkrankungen
Auch Ruth Schmutz, Leiterin HR der Galenica Gruppe, stellt eine gewisse Vorsicht im Topmanagement fest, wenn es darum geht, über eine Krankheit zu informieren. «Es ist jedoch sehr individuell, wie jemand darüber redet», sagt Schmutz. So habe sich etwa eine Person aus der Geschäftsleitung dazu entschlossen, offen über ihre Tumorerkrankung zu sprechen. «Sie hat ihre Mitarbeiter genau über die Art des Tumors informiert. Ihr Ziel war es, zu informieren, dann aber nicht mehr darüber zu reden und sich bestmöglich auf die Arbeit zu konzentrieren. Die Krankheit sollte weder ihre Leistungen überdecken noch ihren beruflichen Alltag dominieren», sagt die HR-Leiterin. Nicht alle können jedoch so professionell mit einer Erkrankung umgehen. In einem anderen Fall, erzählt Schmutz, musste eine Führungsperson, die an einer chronischen Krankheit erkrankt war, ihre Kaderfunktion abgeben und auf 20 Prozent reduzieren. «Für sie war dieser Rückschritt in der Karriere ein grosses Thema, es brauchte einige Zeit und viele Gespräche, bis sie akzeptieren konnte, dass es nicht anders geht, und sich darüber freuen konnte, überhaupt noch im Team mitarbeiten zu können.»
Eine erfreuliche Fürsorglichkeit konnte die HR-Leiterin jedoch auch feststellen, wenn es um erkrankte Personen geht. «Es wird dafür gesorgt, dass sie nicht benachteiligt werden und man ihnen, so gut es geht, helfen kann.» Dass dabei auch das HRM durchaus über die bestehenden Reglemente hinausgeht, erwähnt die HR-Leiterin fast nebenbei. Etwa als das Krankentaggeld eines Familienvaters mit vier Kindern zu Ende ging und man sich daher für Zusatzzahlungen entschied.
Lücken im Lebenslauf verraten längere Auszeiten
Eine vorbildliche Rolle attestiert auch ein 54-jähriger ehemaliger Stabsschef dem HRM seines ehemaligen Grossbetriebs. «Als ich mit Gedächtnisverlust zusammenbrach und mit der Diagnose Burnout krankgeschrieben wurde, erkundigte sich das HRM nicht nur laufend bei mir, sondern suchte auch nach Möglichkeiten, mich wieder in das Unternehmen zu integrieren.» Dass er nicht mehr in seine alte Funktion mit grosser Führungsverantwortung zurückkehren konnte, war ihm klar. Doch es fand sich auch keine andere Lösung für ihn.
Er hat dafür Verständnis. «Ich würde auch zögern, jemanden einzustellen, bei dem gewisse Unsicherheiten bezüglich seiner Belastbarkeit bestehen. Mir haftete eben meine Krankheit an und da die entsprechenden Führungsleute in meinem ehemaligen Unternehmen alle davon wussten, wurde ich nicht mehr objektiv beurteilt.» Das Unternehmen bot ihm dann ein Coaching für eine berufliche Neuorientierung an. Diese Massnahme hatte den positiven Nebeneffekt, dass er offiziell während seiner Rekonvaleszenz bei dem Unternehmen in einem Programm war und so keine Lücke in seinem Lebenslauf entstand. Denn gerade Lücken sind verräterisch und auf ihnen liegt daher das besondere Augenmerk von Executive-Search-Beratern.
Schwierige Vermittlung von «angeschlagenen» Führungskräften
«Rein arbeitsrechtlich dürfen wir niemanden auf Krankheiten ansprechen», sagt André Jolidon, CEO der Freestar-People AG, die sich auf die Beratung und Vermittlung von Führungs- und Fachpersonen spezialisiert hat. Wenn aber ein Bewerber schon sehr krank aussehe, würden die Berater das thematisieren. Auch Lücken im Dossier werden angesprochen oder so genannte Sabbaticals, die sich dann durchaus als eine Rekonvaleszenzphase herausstellen können. «Ich bin für die grösstmögliche Transparenz», erklärt Jolidon. «Da ich gegenüber den Kandidaten wie auch unseren Kunden eine Verpflichtung habe, möchte ich nicht, dass es auf einer Seite zu negativen Überraschungen kommt.» Heikle Fälle wie Krankheiten würde er daher immer zuerst mit dem Kandidaten besprechen und nur mit seinem Einverständnis auch den Kunden mitteilen. «Ich bin mir jedoch bewusst, dass eine Offenlegung durchaus Nachteile haben kann. Heute müssen Führungspersonen und Arbeitnehmende generell sehr belastbar sein. Gibt es da eine kleine Unsicherheit, kann es schon vorkommen, dass der Personalverantwortliche das Dossier beiseite legt.»
Wie heikel das Thema «Führungsleute und Krankheit» ist, bezeugt nicht nur die Zurückhaltung vieler HR-Leute, darüber zu sprechen, als HR Today nachfragte. Auch ein Executive-Search-Berater möchte dazu nicht öffentlich Stellung nehmen. Er erklärt aber: «Unsere Aufgabe ist es, den besten Bewerber für eine Stelle zu finden. Es ist wie beim Fussball: Wenn jemand nicht topfit ist, kann er nicht in der Mannschaft spielen und landet auf der Reservebank. Wir können keine Leute für die Reservebank vermitteln.» Zwar gebe es in zunehmendem Masse Leute, die nicht mehr die geforderte Arbeitsleistung erbringen können, aber sie würden schon in der Firma kaum dazu stehen, geschweige denn sich extern outen.