Corporate Health

«Ein ausgeschlafenes Unternehmen ist ein erfolgreicheres Unternehmen»

Schlafmangel und -störungen haben gravierende Folgen für Gesundheit und Wirtschaft. Albrecht Vorster vom Swiss Sleep House Bern (Inselspital Bern) zeigt im Interview auf, wie Unternehmen durch gezielte Massnahmen die Schlafqualität ihrer Mitarbeitenden verbessern und so Produktivität sowie Wohlbefinden nachhaltig steigern können.

Welche Problematiken bezüglich Schlaf stellen sich bei Schichtarbeit? 

Albrecht Vorster: Schichtarbeitende haben gleich vier Schlaf-Risikofaktoren: Sie schlafen sehr unregelmässig, zu kurz, aufgrund der Nachtarbeit oft zur falschen Zeit und arbeiten dann, wenn ihr Körper eigentlich auf Schlaf eingestellt ist. Dadurch sinkt die Schlafqualität und damit die Erholung. Diese wäre dringend nötig, da Nachtarbeit eine mindestens 30 Prozent höhere Belastung für den Körper bedeutet. Diese Effekte sind gut beschrieben, sodass sie einen eigenen medizinischen Begriff haben: Schichtarbeitersyndrom. 

Wir haben also eine Krankheit, die nach ihrer Arbeitsform benannt ist. Und das, obwohl Arbeit per Gesetz nicht krank machen darf. Die körperlichen Symptome sind dabei vielfältig: Verdauungsbeschwerden, Übergewicht und ein gesteigertes Risiko für Diabetes Typ 2, Kreislaufschwierigkeiten und ein erhöhtes Risiko für Bluthochdruck, Schlaganfall und Herzinfarkte. Ebenso liegen das Depressionsrisiko und die Scheidungsrate von Schichtarbeitenden etwa doppelt so hoch wie bei Tagarbeitenden, weil auch das Sozialleben leidet. Es ist sogar messbar, dass Kinder von Schichtarbeitenden schlechtere Schulnoten haben. Schliesslich sterben Schichtarbeitende einige Jahre früher als Menschen, die geregelte Arbeitszeiten am Tag haben. 

Welche Folgen haben chronische Schlafprobleme für Mitarbeitende und für Unternehmen? 

Auch Mitarbeitende, die nicht im Schichtdienst arbeiten, sind häufig von Schlafstörungen betroffen. Etwa 20 bis 30 Prozent der Mitarbeitenden jedes Unternehmens leiden unter einer behandlungsbedürftigen Schlafstörung. Die drei häufigsten sind Schnarchen mit Atemaussetzern (Schlafapnoe), was häufig mit exzessiver Tagesschläfrigkeit und einem erhöhten Unfallrisiko einhergeht. An zweiter Stelle stehen die Ein- und Durchschlafstörungen und an dritter Stelle das Syndrom der ruhelosen Beine (Restless-Legs-Syndrom), das aufgrund eines abendlichen Bewegungsdrangs mit Missempfindungen in den Beinen das Einschlafen erschwert. 

Die jährlichen Kosten pro Mitarbeitender beziehungsweise Mitarbeitendem mit Schlafstörungen und pro Jahr belaufen sich für Unternehmen auf etwa 2500 Franken aufgrund von Fehlzeiten und Produktivi­täts­ausfall. Studien beziffern die wirtschaftlichen Schäden aufgrund von unbehandelten Schlafstörungen in Höhe von 1 bis 2 Prozent des BIP. Schlafstörungen sind einer der wichtigsten Risikofaktoren für Depressionen und gehen diesen in der Hälfte der Fälle voraus.  

Wie gross ist Ihrer Erfahrung nach das Bewusstsein für die Problematik? 

Es steckt noch in den Kinderschuhen. Schlaf wird häufig als Privatsache angesehen, obwohl der Arbeitgeber massgeblich darüber entscheidet, wann Mitarbeitende während der Arbeitswoche aufstehen und zu Bett gehen können – nicht nur bei Schichtarbeitenden. Auch deshalb haben wir am Wochenende andere Schlafenszeiten als unter der Woche. Dies führt zum bekannten Phänomen des sozialen Jetlags. An den Wochenenden sind unsere Aktivitätszeit und Schlafenszeit um ein bis zwei Stunden nach hinten verschoben. Dieser Wechsel zwischen sozialen Zeitzonen ist ungesund. 

Inwiefern können über die Gestaltung der Arbeitszeiten gesunde Schlafgewohnheiten trotz Schichtarbeit gefördert werden? 

Es gibt durchaus gesündere und ungesündere Schichtmodelle. Die Forschung zeigt, dass schnell und vorwärts rotierende Schichtmodelle gesünder sind und die Krankheitsfälle senken. Wir empfehlen, maximal drei Tage in Folge dieselbe Schicht zu arbeiten und die Reihenfolge so zu gestalten, dass auf Frühschichten Spätschichten und danach Nachtschichten folgen. Rückwärts rotierende Modelle verkürzen die dringend benötigte Erholungszeit zwischen den Schichtarten. Dennoch werden diese Modelle mitunter von den Schichtarbeitenden gewünscht, da sie freizeitmaximierend sind. 

Das ist ein bisschen wie bei Sicherungsmassnahmen auf der Baustelle: Sie sind unbequem und klauen Zeit und viele Mitarbeitende würden diese gern umgehen, aber sie senken den Krankenstand und schützen uns vor Unfällen. Eine Studie konnte zudem zeigen, dass es gesünder ist, die Schichtplanung nach den körperlichen Eigenschaften der Mitarbeitenden auszurichten, insbesondere, ob diese Früh- oder Spättypen sind. Frühtypen sollten besser nicht in der Nachtschicht eingesetzt werden, Spättypen nicht in der Frühschicht. Mitarbeitende zielgenau einzusetzen, bereitet zwar mehr Arbeit in der Planung, macht aber die Mitarbeitenden gesünder und zufriedener.

Welche Rolle spielen dabei die Führungskräfte? 

Führungskräfte müssen eine entsprechende Unternehmenskultur vorleben. Es ist wie in der Erziehung: Kinder übernehmen leider nicht das, was ihnen von den Eltern gesagt wird, sondern nur das, was sie tatsächlich vorleben. Genau wie Kinder unbewusst die Ge­­wohn­heiten ihrer Eltern übernehmen, orientieren sich Mitarbeitende an den gelebten Werten und dem Verhalten ihrer Vorgesetzten.  

Was bieten die Beratungsprogramme des Swiss Sleep House Bern und wie können Unternehmen von diesen profitieren? 

Wir bieten Unternehmen die Möglichkeit, die Schlafgesundheit ihrer Mitarbeitenden umfassend zu erheben. Im Anschluss bieten wir Workshops, um zum Thema Schlaf zu sensibilisieren und geeignete Massnahmen zu erarbeiten und umzusetzen. Wir bieten Kurse zu den Themen Schichtarbeit, Ein- und Durchschlafprobleme, Umgang mit Tagesschläfrigkeit und Schnarchen sowie Vereinbarkeit von Schlaf, Arbeit und Familie. Darüber hinaus bieten wir buchbare Beratungsslots, um Mitarbeitenden mit Schlafproblemen individuell zu helfen. Die Kurse führen wir nach Wunsch digital und mittels eines Blended-Learning-Formats durch, indem wir den Teilnehmenden während der Kursdauer digitale Lerninhalte zur Verfügung stellen. Bevorzugt begleiten wir Unternehmen in einem Prozess, um die Schlafqualität der Mitarbeitenden messbar und nachhaltig zu steigern. Denn ein ausgeschlafenes Unternehmen ist ein erfolgreicheres Unternehmen.-

Albrecht Vorster

Albrecht Vorster ist Leiter Business Consulting, Prävention und Forschung des Swiss Sleep House Bern. Zudem hat er die Schlaf-App «7Schläfer» entwickelt und das Buch «Warum wir schlafen» geschrieben. Albrecht Vorster hat Biologie und Philosophie in Freiburg und La Réunion studiert und in Tübingen zu Gedächtnisbildungsprozessen im Schlaf promoviert. Er ist mehrfacher Science-Slam-Gewinner. 
sleephouse.insel.ch

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