«Ein Büro ist nicht per se humorvoll – die Leute darin machen den Unterschied»
Der bekannte Comedian Fabian Unteregger, Keynote-Speaker am HR FESTIVAL europe, empfiehlt im Interview eine humorvolle Fehlerkultur für Unternehmen und dass sich HR-Professionals als Botschafterinnen und Botschafter ihrer Firma sehen.

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Sie setzen sich in Ihrem neuen Programm humorvoll mit dem Thema Fachkräftemangel auseinander. Wie kamen Sie auf die Idee, sich diesem gesellschaftlich brisanten Thema anzunehmen?
Fabian Unteregger: Weil es sich förmlich aufdrängt. Man muss nur die Augen öffnen und hinschauen, wohin die Schweiz sich ökonomisch entwickelt und wo die Herausforderungen liegen. In den 1970er-Jahren wurde der Bedarf an Bauarbeitern mit Gastarbeitern gedeckt, die dann wieder zurückgeschickt wurden. Heute funktioniert dieses Modell nicht mehr. Es fehlen 100 000 Fachkräfte, mehrere Hunderttausend Babyboomer gehen in Pension, die Einwanderung entspricht der Auswanderung. Die Generation Z muss also an die Säcke. Die jedoch kleben sich lieber auf die Strasse. Das ist ein strategisches und ökonomisches Problem, das sich überall zeigt.
Was sind Beispiele dafür?
Hotlines werden durch Roboter ersetzt. Spesenabrechnungen werden automatisiert. In der Gastronomie wird man von Mitarbeitenden bedient, die kaum länger im Restaurant sind als der Gast selbst, und Flugbegleiterinnen und Flugbegleiter bei Schweizer Airlines verstehen oft keine Landessprache mehr. Nicht, dass ich das diesen Menschen ankreiden möchte, aber es zeigt einfach, dass qualifiziertes Personal fehlt. Und dann kommt die Generation Z, die mit dem klassischen Arbeitsverständnis kaum etwas anfangen kann. Nach der bezahlten Weiterbildung und einer Woche im Büro – möglichst im 50-Prozent-Pensum, damit genügend Zeit bleibt, im hippen Café eine Latte zu trinken – möchte sie bereits für ein halbes Jahr ins Sabbatical – selbstverständlich ebenfalls bezahlt.
War es schwierig, das Thema humoristisch umzusetzen?
Ich habe schon ein wenig hirnen müssen. «Fachkräftemangel» ist aber eine Show, die sich jede und jeder reinziehen kann. Es ist gute Unterhaltung für die ganze Familie. Es geht um Absurditäten im Alltag und die Frage, weshalb eigentlich gerade Fachkräftemangel herrscht. Und dann das Ganze gut verpackt, um das Thema hoffentlich «cheiben» unterhaltsam zu vermitteln.
Sie haben einen reich befrachteten Lebenslauf. Warum setzen Sie heute hauptsächlich auf Comedy, was sicherlich ein nicht ganz stressfreies Business ist?
Ich habe Lebensmittelwissenschaften studiert und danach als Product Manager gearbeitet. Parallel dazu stand ich in meiner Freizeit mit Comedy auf der Bühne – und das kam immer gut an. Schliesslich wurde ich gefragt, ob ich von Anfang an Teil von «Giacobbo/Müller» sein möchte. Diese Chance ermöglichte es mir, mich im Entertainment-Bereich selbständig zu machen und gleichzeitig mein Medizinstudium zu finanzieren. Parallel habe ich mit Swiss Healthcare Startups die grösste Netzwerkorganisation für Healthcare-Start-ups mitgegründet und amte auch als Adviser oder VR. Ich mag es einfach, die Fäden selbst in der Hand zu haben und meine Entscheidungen eigenständig zu treffen – in der Hoffnung, dass dabei Vernunft im Spiel ist –, denn nur so kann ich auch voll dahinterstehen.
Natürlich bedeutet das nicht, dass ich keinen Stress habe. Aber ich empfinde ihn als positiven Eustress. Solange ich selbstbestimmt arbeite, treibt mich dieser Stress an. Distress hingegen entsteht, wenn äussere Umstände diktieren, was zu tun ist – das kann belasten und auf Dauer krank machen. Comedy ist nur einer meiner Bereiche. Ich sehe es als ein grosses Privileg, auf Tournee vor Tausenden Menschen auftreten zu können. Aber es ist auch eine Ehre, jeden Freitag live die Schweiz auf SRF 3 zu wecken – ebenso wie meine Arbeit im Start-up-Ökosystem, das ein entscheidender Bestandteil der Schweizer Wirtschaft ist. Start-ups sorgen für die Schweizer Wettbewerbsfähigkeit der Zukunft.

Sie hätten einfach auf der Comedyschiene bleiben oder als Lebensmittelwissenschaftler arbeiten können. Weshalb haben Sie so stark auf Bildung gesetzt?
Einem Mensch kann man alles nehmen – Besitz, Wohnung, Geld. Nur etwas nicht: Bildung. Deshalb habe ich immer stark in diese investiert. Ich bin ein wandelnder Wissensschwamm. Die acht Sprachen, die ich mittlerweile spreche, und die drei Studienabschlüsse, die ich besitze, sind letztlich einfach das logische Ergebnis davon, wie ich ticke. Ich bin neugierig und ziemlich passioniert. Mich faszinieren komplexe Themen und ich gehe gern in die Tiefe. Herausforderungen sind für mich eine Chance, zu wachsen. Im Schritt aus der Komfortzone finde ich Erfüllung.
Warum haben Sie trotz Ihres Erfolgs mit Comedy auch noch Humanmedizin studiert?
Medizinisches Fachwissen ist unglaublich relevant. Ich muss Ihnen nicht sagen, dass mich das einfach fasziniert (lacht). In meinem Umfeld übernehme ich inzwischen oft die Funktion eines Hausarztes. Auch ist gerade das Thema «Longevity» in aller Munde – also die Idee, das Leben nicht nur zu verlängern, sondern die Lebensqualität dabei hochzuhalten. Vieles davon ist Geldmache; Marketing ohne Substanz. Deshalb habe ich begonnen, in Keynotes zu zeigen, wie Sie wirklich gesund alt werden können und was kompletter Gugus ist. Gesundheitsklinik-Abos und Supplemente zum Beispiel kosten viel und nützen kaum was.
Was wird Ihr vierter Studienabschluss?
Da gäbe es viele tolle Sachen. Economics, Elektrotechnik, Informatik – vieles ist spannend. Natürlich auch künstliche Intelligenz: Wie funktioniert sie? Welche Mathematik steckt dahinter? Wo liegen die Gefahren? Ohne ein solides technisches Fundament ist es kaum möglich, solche Fragen fundiert zu beantworten. Techies sind heute Mangelware. Dabei wären sie so wichtig. Ich liebe es, komplexe Themen verständlich zu erklären – ohne sie dabei zu stark zu simplifizieren. Diese Begeisterung für Wissen und das ungebremste, fast kindliche Staunen über neue Erkenntnisse treiben mich an. Ich bin halt einfach so «gewickelt» (lacht). Aber jetzt bleibe ich erstmal bei meinen Leisten und schaue, dass es den Leuten in der mentalen Gesundheit besser geht, via Humor oder mit Informationen, damit sie sich selbst auf die gesunde Schiene begeben können.
Sie haben Eustress und Distress angesprochen: Wie gehen Sie persönlich mit belastenden Stresssituationen um?
Das hängt ganz von der Situation ab. Wenn es jemandem in meinem Umfeld schlecht geht, lasse ich alles liegen und kümmere mich darum – da sind die Prioritäten sofort klar. Ansonsten habe ich das Privileg, meine Agenda selbst zu gestalten und Dinge zu tun, die mir von Natur aus Freude bereiten. Das hilft enorm, den Stress in einem gesunden Rahmen zu halten. Ich trinke kaum Alkohol, habe nie geraucht und mache zweimal pro Woche intensiv Sport in einem Grüppli. Das hält mich körperlich und mental ausgeglichen. Trotzdem wird es manchmal richtig streng – besonders beim Entwickeln eines neuen Bühnenprogramms. Das ist mental ziemlich herausfordernd und erfordert absolute Konzentration. In solchen Phasen muss ich gezielt darauf achten, genug Energie zu haben und nicht ausgelaugt zu sein.
Streichen Sie den Sport, wenn der Tag besonders voll ist?
Nein, nie. Mein Sportprogramm bleibt fix. Zweimal pro Woche über Mittag gibt es ein intensives Training – ohne Ausnahme. Danach steige ich in den Fluss, um mich abzukühlen. Ich gehöre zu den Menschen, die pro Training die Menge des Katzensees herausschwitzen – wenn ich die anderen anschaue, frage ich mich, was ich falsch mache [lacht]. Aber nach dem Bad im Fluss habe ich eine kindliche Freude, frische Energie und der Tag ist mein Freund – selbst wenn es ein Scheisstag war.
Übrigens zum Thema «Longevity»: Es gibt Leute, die Nicotinamidmononukleotid-Präparate (NMN) einnehmen, um mehr Energie zu haben. Wer dieses Interview liest und solche Präparate nimmt: Bitte aufhören! Es bringt nichts. Mit Sport lässt sich ein deutlich besserer Effekt erzielen, weil der Körper NMN direkt in den Muskeln produziert – genau dort, wo es gebraucht wird. Nimmt man es als Nahrungsergänzungsmittel, landet es im Blut, wo es wenig bis keinen Nutzen hat. Wer wirklich von NMN profitieren will, sollte sich also lieber bewegen, anstatt teure Pillen zu schlucken.
Als Experte für Humor gefragt: Wo liegen dessen Grenzen am Arbeitsplatz?
Grenzen gibt es eigentlich keine. Vielmehr kommt es auf das Klima im Unternehmen an. Denn Humor kann niemandem aufgezwungen werden – er beginnt immer beim einzelnen Menschen. Ein Büro ist nicht per se humorvoll – die Leute darin machen den Unterschied. Eine Spassbremse kann nicht plötzlich lustig werden. Auch kann man Humor nicht kaufen. Wer keinen hat, verpasst meines Erachtens viel im Leben. Im Idealfall wird der Humor von der Führungsebene vorgelebt. Humor ist die Fähigkeit, schweren Situationen eine Leichtigkeit zu geben, beispielsweise indem ein Perspektivenwechsel hergestellt wird, selbst, oder insbesondere, wenn unter Druck gearbeitet wird. Das ist etwas, was jede und jeder im Alltag ausprobieren kann. Hilfreich dabei ist, wenn man sich selbst nicht zu ernst nimmt, unabhängig von der Position – ob Geschäftsführerin, Abteilungsleiter oder Bundesrätin. Wichtig ist natürlich, dass Humor-Sender und Humor-Empfänger beide wissen, dass gerade im Humor-Teich gefischt wird.
Was sollten HR-Fachleute bezüglich Humor wissen?
Wichtig ist zu wissen, dass Humor in Untertypen gegliedert ist. Zynismus ist nicht angebracht, weil er eine Form von Aggression darstellt. Was hingegen gut funktioniert und auch sehr lustig ist, ist Ironie – also das Gegenteil von dem zu sagen, was eigentlich gemeint ist. Ein einfaches Beispiel: Nach einer misslungenen Sitzung sagt die Chefin mit konsterniertem Blick: «Das habe ich jetzt aber unglaublich gut gemacht ...» Sofort ist allen klar, dass sie es nicht ernst meint. Gleichzeitig zeigt sie Selbstironie und die Mitarbeitenden verstehen: Fehler sind hier erlaubt, sie gehören zur Kultur. Eine Fehlerkultur, die auf Humor basiert, kann ein Unternehmen enorm stärken.
Inwiefern?
Eine gesunde Fehlerkultur, die auf Humor basiert, schafft eine Umgebung, in der sich Menschen wohlfühlen. Wer Fehler machen darf, arbeitet entspannter und meist auch besser. Verantwortung wird nicht zur Belastung, sondern ermöglicht Produktivität. Wenn eine Führungskraft erkennt, dass in einem Projekt etwas schiefgelaufen ist, sollte sie dazu stehen und mit Humor darauf reagieren, anstatt sofort nach Schuldigen zu suchen. Entscheidend ist nicht, Fehler zu bestrafen, sondern zu sagen: Das ging nun in die Hose, das gehört dazu, wir lernen viel daraus. Die richtige Balance zwischen Ernsthaftigkeit und Spass im Arbeitsalltag sorgt für eine tolle Unternehmenskultur.
Ich erinnere mich noch gut an meinen ersten Job als Product Manager. Die Interviewerin war humorvoll, freundlich und zugänglich – und genau das fand ich superlässig. Niemand wünscht sich im Bewerbungsgespräch einen Apparatschik gegenüber, bei dem der Rollladen schon unten ist. Ein offenes, authentisches Gegenüber sorgt nicht nur für eine angenehme Atmosphäre, sondern hinterlässt auch positive Erinnerungen. Und gerade HR-Fachleute sind das Aushängeschild eines Unternehmens – ein Fenster nach aussen. Ihr Verhalten prägt die Wahrnehmung der Firmenkultur, sei es in Vorstellungsgesprächen oder im alltäglichen Umgang mit Mitarbeitenden. Die Art und Weise, wie sie Menschen begegnen und welche Stimmung sie vermitteln, beeinflusst nicht nur das Arbeitsklima, sondern auch die Aussendarstellung der Marke. Ihr seid Botschafterinnen und Botschafter!
Was möchten Sie HR-Professionals mitgeben, die täglich mit Fachkräftemangel, Arbeitsdruck und Mitarbeiterzufriedenheit zu tun haben?
Dass ihr keine Fachkräfte herzaubern könnt – deshalb kann nicht mehr von euch erwartet werden, als der Markt hergibt. Aber ihr könnt zumindest kleine Dinge tun, um die Situation aufzulockern. Vielleicht ein Fachkräfte-Bingo im Team: Wer als Erstes eine neue Fachkraft einstellt, gewinnt ein Abendessen. Und nicht vergessen: Ein ehrliches Kompliment kann Wunder bewirken. Wenn jemand mit der Leichtigkeit einer Ballerina durch seinen Job tanzt – dann sagt ihm das! Das macht Freude und schüttet Glückshormone aus – bei den Mitarbeitenden, aber auch bei euch selbst.