Porträt

Neue Perspektiven auf die Zukunft der Arbeit

Elly Oldenbourg, Managerin, Autorin und Keynote Speakerin am HR FESTIVAL europe, setzt sich für eine zukunfts­weisendere Arbeitswelt ein, die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Herausforderungen gerecht wird. Ihr Buch «WORKSHIFT: Warum wir heute anders arbeiten müssen, um unser Morgen zu retten» ist ein leidenschaftliches Plädoyer, wie ein Wandel nicht nur möglich, sondern vor allem von Menschen mit Verantwortung jetzt und konkret gestaltbar ist. 

Klimawandel, geopolitische Spannungen, wirtschaftliche Unsicherheiten, Digitalisierung und künstliche Intelligenz (KI) stellen traditionelle Arbeitsmodelle infrage, während Unternehmen vor der Aufgabe stehen, qualifizierte Fachkräfte zu gewinnen und zu binden: Angesichts der enormen Polykrisen sei es dringend notwendig, unsere Art zu arbeiten nicht mehr nur in Filterblasen neu zu denken, sondern endlich zukunftsfähiger aufzustellen, argumentiert Elly Oldenbourg, Autorin, Dozentin, Aufsichtsrätin, ehemalige Google-Managerin und Speakerin, als die sie auch am HR FESTIVAL europe auftreten wird. 

«Mein Buch steht für die Idee, endlich den Hebel für eine bessere Welt in Bewegung zu setzen, mit der erwachsene Menschen den weit grössten Anteil ihrer wachen Zeit verbringen: Arbeit», erklärt sie. Vor allem Menschen in der grossen Privatwirtschaft, insbesondere jene in Entscheidungspositionen, hätten die Verantwortung, aber auch das Kapital und den Einfluss, aktiv Veränderungen voranzutreiben. 

Oldenbourg geht es dabei nicht nur um ethische Appelle, sondern vor allem um wirtschaftliche Logik. «Ob man das Ganze ‹nachhaltiges Wirtschaften› nennen will oder nicht, klar ist, dass Ethik und Moral immer nur untergeordnete Rollen auf dem Spielfeld der globalen Wirtschaft spielen – Logik, Kausalitäten und Business Cases aber nicht», sagt sie. «Der gedankliche Sprung von beispielsweise einem ganzheitlicheren Verständnis von Arbeit hin zur Rettung unseres Planeten ist zwar gross – in Hinblick auf die Krisen, die wir zu bewältigen haben, aber bitter nötig», sagt sie.

In ihrem Buch «WORKSHIFT: Warum wir heute anders arbeiten müssen, um unser Morgen zu retten» zeigt sie anhand von vier Wirkungsfeldern, wie Individuen sowie Unternehmen diesen Wandel konkret umsetzen können: im Umgang mit und durch die Strukturierung von (Arbeits-)Zeit; einer zugewandteren und produktiveren Form der Kollaboration – trotz und mit KI; durch das bewusste Verstehen und vorsätzliche Umsetzen von Vielfalt – trotz und gerade wegen des Anti-DEI-Zeitgeists; durch den Mut, neue Kennzahlen und Erfolgsmetriken zu nutzen. 

Vom klassischen Karriereweg zur Portfolio-Karriere 

Oldenbourg war in verschiedenen Unternehmen, Ländern und Industrien tätig, unter anderem als Managerin bei Google. Vor ein paar Jahren orientierte sie sich beruflich und privat neu und reduzierte ihren Corporate-Job auf drei Tage pro Woche, arbeitete im Jobsharing – und gewann dadurch mehr Raum für ehrenamtliches Engagement, Familie und Gesundheit. «Nach und nach machte ich mich nebentätig selbständig – was dazu geführt hat, dass ich heute das habe, was viele Portfolio-Karriere nennen», erzählt sie. Dadurch habe sie ein neues Verhältnis zu Erwerbsarbeit entwickelt und sei in ein neues Wirken, in eine andere Art von Schaffenskraft gekommen.

Heute ist Oldenbourg als Beraterin, Speakerin und Interviewpartnerin, Gastdozentin am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) sowie als Aufsichtsrätin beim World Future Council tätig. Zudem ist sie Gastgeberin eines philosophischen Cafés. Die Neugestaltung ihrer beruflichen Karriere ermöglichte es ihr, ihre vielfältigen Interessen und Kompetenzen besser zu nutzen, ihre Arbeit flexibler zu gestalten und ihre Energie gezielter einzusetzen – sodass alle Jobs ihres Lebens davon profitierten. Ihr Buch fasst all ihre Erfahrungen und Erkenntnisse zusammen. 

Produktivität statt Busyness und Vollzeitdogma 

In ihrem Buch stellt Oldenbourg infrage, dass lange Arbeitszeiten automatisch zu besseren Ergebnissen führen. «Die Gleichung ‹mehr Stunden gleich mehr Produktivität oder gar besserer Output› macht schon lange – und erst recht im Zeitalter von immer mehr Digitalisierung und KI – keinen Sinn mehr», sagt sie. Ja, das Monieren der sinkenden Produktivität in Europa sei korrekt, die Gründe dafür seien aber weitaus vielfältiger, als Politik und Medien es gern darstellen: So entkopple beispielsweise der zunehmende Einsatz von Robotern und KI die Produktivität vom Arbeitsmarkt. Auch arbeiteten immer mehr Menschen im Dienstleistungssektor, wo rechnerisch weniger Produktivität erreicht werde als in der Industrie. Und Frauen fehle wegen mangelnder Kinder- und Pflegeinfrastruktur oder Migrantinnen wegen enormer Bürokratiehürden der chancengerechte Zugang zum Arbeitsmarkt. Doch anstatt sich mit diesen strukturellen Ursachen auseinanderzusetzen, würden oft einfache Lösungen gesucht, wie die pauschale Forderung nach «Mehr Bock auf Arbeit» oder die Mobilisierung der «stillen Reserven». 

Für Oldenbourg liegt eine Lösung in flexiblen Arbeitszeitmodellen – aller Art. «Flexible Modelle setzen den Fokus aufs Wesentliche: Statt möglichst sichtbar möglichst viele Arbeitsstunden lang ‹busy› zu sein, geht es darum, möglichst effizient, auch in Kombination mit KI, zu den gewünschten Ergebnissen zu kommen.»  

Potenzial der Kollaboration  

Foto: Xenia Bluhm
Foto: Xenia Bluhm

«Der zunehmende Einsatz von KI führt zu höherer Komplexität, was zu mehr Spezialisierung, mehr Spezialistinnen und Spezialisten, und damit in vielen Fällen auch zu mehr Silos in den Unternehmen führen wird.» Es brauche daher Brückenbauerinnen und Brückenbauer, die die Silos respektive die verschiedenen Expertisen darin zusammenführen. «Aufgrund von KI werden wir in Zukunft nicht weniger, sondern mehr voneinander abhängig sein.» Das erfordere enorme Kollaborationsfähigkeit aller Beteiligten. Insbesondere im Jobsharing sieht Oldenbourg ein vielversprechendes Modell für eine zukünftige Arbeitswelt. 

Mit einem Tandem-Modell liessen sich die Skills, die eine vermehrte und engere Zusammenarbeit in den Organisationen erfordert, etwa Reflexions- und Empathievermögen oder auch ständiger Lernwille und Agilität, konkret, on the Job trainieren, sagt sie. Für sie hängt der Erfolg von künstlicher Intelligenz untrennbar mit der Förderung emotionaler Intelligenz von Menschen zusammen. Oldenbourg fordert daher: «Personalabteilungen und -verantwortliche sollten soziale und Führungskompetenzen nicht nur fördern, sondern auch eindeutig incentivieren und vorleben.»   

Diversität als Erfolgsfaktor 

Die Autorin betont auch die Bedeutung von Vielfalt und Chancengerechtigkeit in der Wirtschaft. Dass sich derzeit Unternehmen wie Meta von ihren Diversitätsprogrammen verabschieden – «ein Kniefall vor der neuen US-Regierung», wie sie sagt –, hält sie für haltungslos wie wirtschaftlich fahrlässig. Teams mit unterschiedlichen Hintergründen und Perspektiven seien oft innovativer und leistungsfähiger, sagt sie. Unternehmen, die auf vielfältige Belegschaft setzen, profitierten langfristig von besseren Entscheidungen und einer stärkeren Marktposition, das bestätigten laut Oldenbourg zahlreiche Studien, die belegen, dass die Wahrscheinlichkeit besserer Lösungen, grösserer Innovationen und sogar höherer Renditen mit heterogenen Teams erreicht werden kann. 

«Die Idee, dass die immer gleichen Menschen mit den immer gleichen CVs in den immer gleichen Gremien bessere, kreativere, wirtschaftlich interessantere Lösungen für eine immer diverser werdende Welt entwickeln können, ist für mich ein Irrglaube.» Eine inklusive Unternehmenskultur sei dabei essenziell, um das Potenzial diverser Teams voll auszuschöpfen und um Märkten, die immer vielfältiger werden, gerecht zu werden. 

Kennzahlen neu denken 

Der vierte und tiefgreifendste Aspekt von Oldenbourgs Thesen betrifft die Art und Weise, wie Unternehmen, Wirtschaft und Nationen Leistung und Erfolg messen. Klassische Kennzahlen wie Umsatz oder Gewinn reichten ihrer Ansicht nach nicht mehr aus, um die Zukunft nachhaltig zu gestalten. «Die derzeitigen Metriken sind zu einseitig, denn es werden Kontexte und Kausalitäten ausgeblendet, und Kollateralschäden wie zum Beispiel in der Natur oder beim Menschen werden betriebswirtschaftlich nicht eingepreist», sagt sie. «Wenn die Wirtschaft sich wirklich ernsthaft zukunftsfähig für den Arbeitsmarkt, den Planeten, aber auch ihre eigene Wertschöpfung aufstellen will – damit wir künftig überhaupt noch Menschen haben, die Werte schöpfen können –, müssen wir die gängigen Kennzahlen updaten.» 

Das bedeute, Anreize, Metriken und Incentivierungen zu verändern, nach denen sich Unternehmen richten, nach denen Menschen ihr Verhalten ausrichten und Volkswirtschaften ihre BIPs berechnen und vergleichen. Sie plädiert dafür, dass im Hinblick auf einen gesunden Planeten mit friedvollen Menschen darauf wirtschaftliche Kennzahlen um solche mit sozialen und ökologischen Aspekten erweitert werden müssen, wie es viele Zukunfts-Initiativen und Post-Wachstums-Modelle bereits seit Jahren vorschlagen.  

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Jelena Martinelli hat als Abteilungsleiterin für SwissRe und Swisscom gearbeitet. Heute ist sie selbstständige Texterin, freie Journalistin und Autorin, und berät KMU zu Kommunikationsfragen. www.martinellitext.com

Jelena Martinelli hat als Abteilungsleiterin für SwissRe und Swisscom gearbeitet. Heute ist sie selbstständige Texterin, freie Journalistin und Autorin, und berät KMU zu Kommunikationsfragen. www.martinellitext.com

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