Politische Herausforderungen und HR

Ausländische Chefs: Verständnis für Schweizer Werte fehlt

Arbeitgeber haben politisch einen schweren Stand. Ihre 
Anliegen finden in der Gesellschaft kaum mehr Gehör. 
Das Stimmvolk verpasst der Wirtschaft an der Urne regelmässig Abfuhren. Das ist gefährlich für den Standort Schweiz. Schuld an der Wirtschaftsskepsis seien die Arbeitgeber selbst, sagt der Politgeograf Michael Hermann.

Michael Hermann, die Wirtschaft klagt über isolationistische Tendenzen in der Schweiz. Die Personalbeschaffung im Ausland wird erschwert. Trifft das aus Ihrer Sicht zu?

Michael Hermann: Das Volk hat sich letztmals 2009 in einer Abstimmung zum Thema Öffnung geäussert. Damals ging es um die Personenfreizügigkeit. Die Stimmberechtigten haben sich klar für Öffnung und gegen Isolation ausgesprochen. Die Art und Weise der öffentlichen Debatte in dieser Frage hat sich seither jedoch verändert.

Stellen Sie eine kritischere Haltung des Volks fest?

Ja, durchaus. Nachdem die Zustimmung zu den Bilateralen Verträgen, zur Personenfreizügigkeit positiv war, hat sich die Grundhaltung verändert. Die Einwanderung war massiver als erwartet, die negativen Folgen sind für den einzelnen Stimmbürger sicht- und erlebbar.

Heisst überfüllte Züge, verstopfte Strassen, kaum mehr bezahlbarer Wohnraum?

Genau. Dazu kommt, dass durch hochqualifizierte Einwanderung erstmals auch für die Eliten Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt  aufgetaucht ist. Vor der Personenfreizügigkeit sind meist wenig qualifizierte Arbeiter für die Industrie in die Schweiz gekommen. Diese Einwanderer haben Inländer auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt kaum konkurrenziert. Die Eliten waren nicht betroffen und haben sich – anders als die Büezer am Stammtisch – nicht damit auseinandergesetzt.

Wo ist diese neue Form der Einwanderung und der Auseinandersetzung besonders auffällig?

Ich denke an die Medien, die Meinungsmacher im Land. Medienschaffende stehen vermehrt mit Einwanderern zum Beispiel aus Deutschland in Konkurrenz. Nicht nur im Job, sondern auch im Wohnungsmarkt. Das wirkt auf die Journalisten existenzbedrohend. Das Thema wird öfter tendenziell negativ aufgegriffen. Art und Weise der Berichterstattung beeinflussen die Wahrnehmung in der Gesellschaft.

Die modernen Einwanderer verdienen gut, oft mehr als Schweizer. Geht es also auch um Neid?

Es geht um Konkurrenz. Diese wird als bedrohlich wahrgenommen. Eine Tendenz, die in Boomzeiten, wie wir sie im Gegensatz zum Ausland erleben, normal ist. Anders als in den 1990er-Jahren, wo sich alle einig waren, dass die Wirtschaft angekurbelt werden muss, herrscht nun Wachstumsskepsis. Dies, weil die negativen Auswirkungen des Booms für das Individuum deutlich sind. Daraus darf man aber nicht ableiten, dass Schweizer tendenziell wirtschaftskritisch und isolationistisch geworden wären. Aber: Die Losung, wenn es der Wirtschaft gut geht, es auch jedem Einzelnen im Land gut geht, glauben viele nicht mehr.

Wenn Einwanderung und Wachstum statt Vorteile  Nachteile bringen, muss man doch dagegen sein?

Zu diesem Schluss kommen nicht wenige. Sie werden in ihrer Haltung durch eine gewisse Arroganz der Wirtschaft und der Politik bestärkt. Ich denke an Steuergeschenke für reiche Ausländer, Pauschalbesteuerung. Ausserdem sind die Auswirkungen des Wachstums auf Verkehr und Wohnungsmarkt unterschätzt worden. Das Volk reagiert mit Abstimmungs-Denkzetteln wie bei der Abzocker- oder Zweitwohnungsinitiative. Die Wirtschaft hat auch zu oft Drohkulissen aufgebaut zu Abwanderung von Firmen und Arbeitsplätzen. Die Prophezeiungen sind nicht eingetroffen und haben keine Wirkung mehr. Das zeigt sich im Abstimmungsverhalten, wo den Interessen der Arbeitgeber seltener gefolgt wird. Noch vor zehn Jahren war es fast unmöglich, eine Volksinitiative zu gewinnen. Heute ist es umgekehrt. Die Stimmbürger haben erkannt, dass sie mächtig sein können.

Wachstums-Skepsis zeigt sich auch im Wahlverhalten. Wirtschaftskritische, rot-grüne Parteien boomen.

Der Eindruck täuscht. Rot-Grün verliert seit 2007 Wähler. Die Wahrnehmung ist aber eine andere, weil die SP seit der Finanzkrise mit ihrer Kapitalismuskritik grossen Einfluss auf die Debatte hat. Ein zweiter Grund für die verzerrte Wahrnehmung ist die Stärke der Linken in den Städten. Dies ist eine Folge einer Selbstsortierung der Stimmbürger. Das heisst, dass Menschen dorthin ziehen, wo sie sich wohl fühlen. Wer tiefe Steuern sucht, zieht in die Innerschweiz, wo bürgerliche Parteien dominieren. Wer urbanes Leben, Kultur, Multikulti möchte, zieht in Städte wie Zürich. Oft sind dies eher links-grün eingestellte Menschen. Durch Inlandmigration können politische Mehrheiten in diesen Hotspots kippen.

Ist Rot-Grün tendenziell schlechter für die Wirtschaft?

Die grossen Städte boomen wegen oder trotz rot-grüner Regierungen. Im Vergleich zu den 1990er-Jahren sind die Zentren als Arbeits- und Wohnorte attraktiver geworden. Man muss auch sehen, dass Menschen, die in der Stadt leben, andere Ansprüche haben als jene, die zum Arbeiten hineinpendeln. Einwohner schätzen autofreie Zonen. Pendler lehnen das ab. Letztlich ist der Widerspruch keiner. Denn hohe Wohn- und Lebensqualität ist für Top-Unternehmen ein Standortfaktor. Darauf achten gerade hochqualifizierte Arbeitnehmer.

Das bedeutet, dass Links-Grün für mehr Lebensqualität und mehr Arbeitsplätze steht?

Die Linken in den Stadtregierungen, die meist sehr pragmatisch politisieren, haben nach meiner Einschätzung die Bedeutung urbaner Lebensqualität zuerst entdeckt. Nach der Finanzkrise haben verschiedene rot-grüne Stadt-regierungen allerdings zu wenig schnell auf den Rückgang der Einnahmen reagiert. Die bürgerlich regierten Städte St. Gallen und Luzern mussten dafür nach kurzer Zeit Steuersenkungen rückgängig machen. In der direkten Demokratie hat am Schluss auch das Volk ein wichtiges Wort mitzureden, ob Firmen und Arbeitskräfte zuziehen oder abwandern.

Zur Person

Michael Hermann (*1971) ist Leiter des Forschungsinstituts sotomo an der Uni Zürich. Er lehrt am Geographischen sowie am Politikwissenschaftlichen Institut der Limmatstadt. Hermann ist Miterfinder der sogenannten Spinnengrafiken zur Visualisierung sozialer und politischer Sachverhalte. Einer breiten Öffentlichkeit ist der gebürtige Berner als politischer Analyst sowie als Gastautor verschiedener Medien bekannt. (sr)

In Stadtregierungen sitzen immer weniger Wirtschaftsvertreter. Die Arbeitgebersicht fliesst da doch kaum mehr ein.

In der Wirtschaft haben Engagement und Gemeinsinn an Bedeutung verloren. Denken Sie an die Armee – vor Jahren noch ein Karrierefaktor, heute bedeutungslos. Die für das Unternehmen erbrachte Leistung steht im Zentrum. Die Miliztätigkeit ist aber auch im zivilen Leben im Niedergang. Freizeit und Familie sind heute grosse Projekte der Menschen. Da bleibt weder Lust noch Zeit für Politik.

Arbeitgeber müssten Interesse daran haben, dass Leute aus ihren Reihen neben der Arbeit auch politisch aktiv sind, oder nicht?

Natürlich müssten sie das. In der Realität sorgen sie für den Niedergang des Milizsystems. Wer Karriere machen will, muss mehr als 100 Prozent für die Firma geben. Dazu kommt, dass Führungskräfte aus dem Ausland unser Gesellschaftssystem mit seinem Fundament aus Milizarbeit nicht kennen. Internationale Kader bringen weniger Verständnis für Miliztätigkeiten der Angestellten auf. Wenn man neben dem Job keine politische Karriere mehr machen kann, dann ist die Wirtschaft selbst schuld, wenn sie auf dem politischen Parkett kein Gehör findet!

Wirtschaft und Politik funktionieren zyklisch. Lässt die Skepsis wieder nach?

Die Schweiz ist das beste Beispiel dafür, dass sich solche Zyklen regelmässig ablösen. Nach dem 2. Weltkrieg hatten wir eine Phase des Wachstums und der Zuwanderung. Das löste Skepsis aus. Grüne Bewegungen entstanden und 1970 wurde die radikale Überfremdungsinitiative, die weit über die Forderungen der aktuellen Initiativen hinausging, beinahe angenommen. Die Ölkrise beendete den Aufschwung. Jetzt sind wir von einer langen Wachstumsphase verwöhnt. Selbst die Euro-Krise ist für uns glimpflich abgelaufen. Man glaubt nun, dass nichts passieren könne.

Kann die Skepsis Krisen auslösen? Wenn die Ecopop-Initiative angenommen und die Personenfreizügigkeit abgelehnt würde?

Das Risiko, dass eine dieser Initiativen angenommen wird, besteht. Allerdings ist die Debatte sehr durch die Stimmungslage im Grossraum Zürich, wo die Medien sitzen, geprägt. Anders als Zürich hat Bern oder Chur keinen Dichtestress wegen der Einwanderung – im Gegenteil, dort ist man auf Zuwanderung aus.

Was könnte politisch schlimmstenfalls passieren?

Keine der Abstimmungen wäre das Ende der Welt, in der Summe stellen sie aber die Stärke unseres wirtschaftsfreundlichen Landes in Frage. Wichtig sind nicht nur Themen wie Mindestlohn-, 1:12-Initiative oder die Erweiterung der Personenfreizügigkeit auf Kroatien. Ein grosses Thema ist auch die Anpassung der Altersvorsorge an die veränderte Demografie. Während Länder wie Schweden hier die Hausaufgaben gemacht haben, ist die Schweiz fast nicht mehr reformfähig.

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