HR-Debatte

Bedingungsloses Grundeinkommen

Jeder Mensch, der in der Schweiz lebt, erhält ein Einkommen, das seine Existenz sichert. Was Fabian Schnell von Economiesuisse für das Ende des Schweizer Wohlstands hält, bedeutet für ­Initianten-Vertreter Daniel Straub die Befreiung der Menschen von sinnentleerten Tätigkeiten.

Daniel Straub

Als ich das erste Mal vom bedingungslosen Grundeinkommen hörte, hielt ich die Idee für verrückt und für unmöglich umsetzbar. Jeder Mensch, der rechtmässig in der Schweiz lebt, soll bedingungslos das Existenzminimum erhalten, egal ob er erwerbstätig ist oder nicht.

Was sind aber die Auswirkungen, wenn wir einen Drittel des Volkseinkommens ohne Bedingungen untereinander verteilen? Das Grundeinkommen führt in die Diskussion, welches Bruttoinlandprodukt wir überhaupt wollen. In dieser Debatte spielt die Befürchtung, das Grundeinkommen führe zu einem Verlust des Wohlstandes, eine bedeutende Rolle. Dahinter steht die Behauptung, durch die Reduktion der externen Anreize für Arbeitnehmende nehme die Wertschöpfung der Volkswirtschaft ab. Dabei wird jedoch die Bedeutung des inneren Antriebs vernachlässigt. Bereits heute wird in der Schweiz mehr unbezahlte als bezahlte Arbeit geleistet. Mit der Einkommenssicherheit könnten sich die Menschen der Entfaltung dieses inneren Antriebs stärker widmen. Das würde einerseits zu Identitätskrisen führen, andererseits aber auch zu mehr Leidenschaft und Innovation.

Diese Entwicklung ist kohärent mit dem Wunsch vieler Arbeitnehmenden,  mehr Sinn in ihrer Tätigkeit zu finden. Wenn in der Gesellschaft die Bedeutung des inneren Antriebs zunimmt, werden die Aufgaben des HR-Bereichs in Unternehmen anspruchsvoller und wichtiger. Die Rolle des Arbeitnehmenden wird sich verändern. Die  Bereitschaft der Arbeitnehmenden, sich aufzugeben, um ein Rädchen einer grossen Maschine zu sein, nimmt ab.

Das ist erfreulich, wenn man bedenkt, dass gemäss einer ETH-Studie die Mehrheit der Arbeitnehmenden in resignierter ­Zufriedenheit verharrt: Sie haben vor den Sachzwängen kapituliert. Diese Sachzwänge sind die Folge unseres Wirtschaftssystems, das eine gigantische Erfolgsgeschichte ist.

Wir haben es zu einer unglaublichen Produktivität gebracht, sind aber nicht in der Lage, diesen Erfolg in ein gutes Leben umzuwandeln. Die Gleichung quantitatives Wirtschaftswachstum gleich mehr Wohlbefinden stimmt heute für die meisten Menschen nicht mehr. Deshalb ist es verrückt, dass wir uns diesen Sachzwängen weiterhin unterordnen und Alter­nativen vernachläs­sigen. Der Sozialwissenschaftler Meinhard Miegel bringt es auf den Punkt: «Die Wirtschaft muss wachsen, damit Menschen arbeiten können. Diese Sichtweise hat sich im Laufe von Generationen bei vielen so tief verfestigt, dass sie kaum noch zu sagen vermögen, ob sie arbeiten, um ihren Wohlstand zu mehren, oder ob sie ihren Wohlstand mehren, um arbeiten zu können.»

Durch die partielle Entkoppelung von Arbeit und Einkommen leistet das bedingungslose Grundeinkommen einen Beitrag zur Weiterentwicklung unseres Wirtschaftssystems. Auf den ersten Blick scheint das bedingungslose Grundeinkommen utopisch, denn es verstösst gegen mehrere Denkgewohnheiten. Erst durch die vertiefte Auseinandersetzung mit der Idee wird klar, dass es sich in der Entwicklung unseres Zusammenlebens um einen Schritt nach vorne handelt.

 

Fabian Schnell

Jedes Kind kennt das Märchen vom Schlaraffenland. Eine fiktive Zauberwelt, in der niemand irgendeinen Mangel erleidet. Was sich die Einwohner des Schlaraffenlandes herbeiwünschen, bekommen sie ohne weiteres Zutun, wie von Zauberhand. Die Versprechen der Initianten für ein «bedingungsloses Grundeinkommen» tönen ähnlich. Nicht nur soll sich jeder Mensch einer gesicherten Existenz erfreuen und entsprechend seinen Bedürfnissen selbst verwirk­lichen können. Auch das System von staatlichen Versicherungen und Umverteilungen soll vereinfacht, ja sogar günstiger werden.

Das Paradies auf Erden also? Leider nicht. Im Gegensatz zum Schlaraffenland entsteht in der Realität nichts von Zauberhand. Mehr noch, das Zusammenleben in unserer Gesellschaft basiert auf der impliziten Voraussetzung, dass jeder Mensch nach Möglichkeit für sein Leben selbst aufkommt und damit einen Beitrag an den Wohlstand des Landes leistet. Eine staatliche Unterstützung folgt dem Gedanken der Solidarität und kommt folglich erst nachgelagert zur Anwendung.

Mit dem geforderten bedingungslosen Grundeinkommen wird die gesamte Bevölkerung auf einen Schlag zum Bittsteller des Staates. Eigenverantwortung und Solidarität würden ausgehebelt, die Unabhängigkeit des Einzelnen faktisch untergraben. Über die volkswirtschaftlichen Kosten dieses Experiments kann nur spekuliert werden. Fest steht, dass die potentiellen Einsparungen wesentlich kleiner wären, als sich die Initianten erhoffen. In vielen Fällen übersteigen die heutigen indivi­duellen Sozialleistungen das Grundeinkommen deutlich und müssten deshalb weiterhin ausgerichtet werden.

Unter dem Strich bliebe, grob geschätzt, ein Finanzierungsbedarf von rund 140 Milliarden Schweizer Franken. Oder mit anderen Worten: rund ein Viertel der jährlichen Schweizer Wirtschaftsleistung. Dieser Betrag müsste zusätzlich umverteilt werden. Wie die Finanzierung geregelt wird, spielt dabei nur eine untergeordnete Rolle. Würde man die Mehrwertsteuer als Finanzierungsquelle heranziehen, so müsste deren Satz auf bis zu 60 Prozent angehoben werden. Ob dies überhaupt genügen würde, ist unklar. Das Lohn- und Preisgefüge würde wohl so stark durchgeschüttelt, dass zusätzliche Einnahmequellen nötig wären. Bei einer Finanzierung über die Mehrwertsteuer auch deshalb, weil damit einhergehende Preiserhöhungen auch eine Erhöhung des Grundeinkommens selbst nötig machten.

Natürlich würde auch – und dies ist von den Initianten bewusst gewollt – der Arbeitsmarkt auf den Kopf gestellt. Wer wofür und zu welchem Lohn und wie viele Stunden pro Woche überhaupt noch arbeitet, stünde in den Sternen. Sicher ist nur, dass die Schweiz nicht mehr wettbewerbsfähig wäre. Der daraus resultierende Wohlstandsverlust wäre enorm. Schon im Märchen vom Schlaraffenland kommt der Hauptprotagonist im Verlauf der Geschichte irgendwann zur Erkenntnis, dass er einer Illusion des schönen Lebens aufgesessen ist. Er sucht in der Folge das Weite. Mit dem bedingungslosen Grundeinkommen ginge es uns wohl ähnlich.

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Daniel Straub hat bei IBM, dem IKRK und einer Montessori Schule gearbeitet. Heute ist er freier ­Publizist und leitet die Volksinitiative für ein bedingungsloses Grundeinkommen. Er ist Co-Autor des Buchs «Die Befreiung der Schweiz».

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Fabian Schnell ist ­Projektleiter für all­gemeine Wirtschaftspolitik und Bildung bei Economiesuisse. Als Dachverband der Schweizer Wirtschaft vertritt Economie­suisse über 10'000 Schweizer Unter­nehmen.

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