HR-Debatte

Whistleblower-Gesetz ausweiten?

Zora Ledergerber von Transparency International will den Schutz von Whistleblowern gesetzlich ausbauen. Während ihr die geplante OR-Revision jedoch zu wenig weit geht, lehnt Gewerbeverbanddirektor Hans-Ulrich Bigler eine Ausweitung des Gesetzes aus anderen Gründen ab.

Zora Ledergerber

Missstände und Delikte gehören aufgedeckt. Darüber sind sich wohl alle einig. Aber wie Unrecht zutage gefördert werden soll und vor allem ob Hinweisgeber geschützt werden sollen, darüber wird heftig diskutiert. Dies erstaunt, wenn man bedenkt, wie teuer unentdeckte Missstände Unternehmen zu stehen kommen. Ganze fünf Prozent des Jahresumsatzes verliert eine durchschnittliche Firma durch Betrug, Korruption, Unterschlagung und ähnliche Delikte, so eine Studie der Association of Certified Fraud Examiners (ACFE). Bei einem Jahresumsatz von 100 Millionen Franken bedeutet dies einen Verlust von einer Million Franken pro Jahr. Hinweisgeber könnten diesen Verlust bedeutend reduzieren, da gemäss derselben Studie 40 Prozent aller Wirtschaftsdelikte dank Tipps von Hinweisgebenden ans Tageslicht kommen, vorausgesetzt, es existiert ein gutes internes Meldesystem.

Auch in Staatsbetrieben spielen Whistleblower eine wichtige Rolle: Dies zeigt nicht nur die kürzlich bekannt gewordene Korruptionsaffäre im Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco). Obwohl einige Personen innerhalb des Seco Kenntnis von verschiedenen alarmierenden Umständen besassen, kam die Aufdeckung erst durch einen ano­nymen Tipp an eine Zeitung ins Rollen. Trotz des Nutzens, den Hinweisgeber der Gesamtwirtschaft bringen, gab es bisher in der Schweiz keine speziellen Regelungen zu Whistleblowing und damit auch keinen besonderen Schutz für Hinweisgebende. Mit der Botschaft des Bundesrates zur Revision des Obligationenrechts «Schutz bei Meldung von Unregelmässigkeiten am Arbeitsplatz» soll sich dies nun ändern.

Leider sieht es danach aus, dass die Schweiz die Chance, Whistleblower hierzulande effektiv zu schützen, verpasst. Zu gross ist die Angst, Denunziantentum oder missbräuchliche Meldungen zu begünstigen, obwohl Erfahrungen aus dem Ausland zeigen, dass auch bei einem besseren Schutz keine dieser Befürchtungen eintritt. Immerhin als positiv zu bewerten ist, dass die laufende Revision neu einen Anreiz für Firmen schafft, interne Meldesysteme einzuführen. Dies erleichtert den Mitarbeitenden die firmeninterne Meldung, welche im Gegensatz zu Hinweisen an die Behörde oder an die Medien für alle Beteiligten die vorteilhafteste Lösung darstellt.

Allerdings hat die vorgeschlagene Neuerung zwei schwerwiegende Mängel: Eine Meldung an die Medien und Öffentlichkeit würde unter dem vorgeschlagenen Melderahmen praktisch verunmöglicht, unabhängig von der Schwere und dem Ausmass des Delikts. Dies hätte weitreichende Konsequenzen, nicht zuletzt für die Medien, dürften diese doch keine Hinweise mehr entgegennehmen, egal, ob der Inhalt der Meldung wahr ist und die Aufdeckung im öffentlichen Interesse liegt oder nicht. Als Konsequenz blieben auch schwerwiegende Delikte unaufgedeckt, was nicht im Sinne der Öffentlichkeit und des Gesetzgebers sein kann. Ebensowenig würde die Neuerung einen Whistleblower vor Kündigung schützen oder ihm eine angemessene Entschädigung zusprechen, auch wenn seine Meldung wahr und gerechtfertigt war. Die Frage, ob Whistleblower besser geschützt werden sollen, bleibt obsolet, da der Gesetzesentwurf keinen besseren Schutz für Whistleblower vorsieht. Unter dem Strich stellen die geplanten Neuerungen eine Verschlechterung der Situation dar.

 

Hans-Ulrich Bigler

Das Arbeitsverhältnis ist ein Vertrauensverhältnis. Das ist nicht nur die legale Definition gemäss Obliga­tionenrecht. Es ist vor allem die gelebte Realität in den KMU. In über 99 Prozent der Unternehmen arbeiten Chefinnen und Angestellte Schulter an Schulter. Das Klima der Offenheit ist der Normalfall und Mitarbeitende können Personen und Prozesse frei kritisieren. Oft befürworten Vorgesetzte interne Meldungen sogar. Nun wird der Sonderfall in die Mitte gestellt. Dieser ereignet sich jedoch nicht in den KMU, sondern in Gross­unternehmen und beim Staat. Fälle von internen Missständen, die nach aussen gemeldet wurden, sind in der Schweiz im Kanton Zürich passiert – bei Angestellten des Kantons. Es ist unfair, wenn die KMU für die Fehler weniger oder sogar für die des Staats büssen müssen.

Die neue Regelung, über die derzeit im Parlament beraten wird, räumt der internen Behandlung von Meldungen Priorität ein: Demnach ist eine Meldung in der Regel nur dann zulässig, wenn sie zuerst an den Arbeitgeber, anschliessend an eine Behörde und erst als letztmöglicher Weg an die Öffentlichkeit gelangt. Dem Arbeitgeber wird damit die Möglichkeit gegeben, selbst gegen Unregelmässigkeiten vorzugehen und diese zu beseitigen. Das hört sich noch gut an.

Der Teufel steckt aber im Detail. Erstes Problem: Die Treue­pflicht der Arbeitnehmenden wird um die Treue zum «richtigen Verlauf der Dinge» erweitert. Was das genau ist, weiss niemand. Alle sind grundsätzlich einer ethischen Grund­haltung verpflichtet. Doch der Arbeitsvertrag gilt zwischen Arbeitgeberin und Arbeitnehmerin und zwischen ihnen ­gelten besondere Treue- aber auch Schutzpflichten. Die ­Ausweitung des Gesetzes mit unklaren Rechtsbegriffen führt zu weniger Rechtssicherheit für alle. Zweites Problem: Die gemeldeten Fälle müssen nicht plausibilisiert werden. Sie werden gemeldet und der Arbeitgeber hat eine Frist, um Massnahmen einzureichen. Tut er dies nicht, darf der Arbeitnehmer an eine staatliche Stelle oder gar an die Öffentlichkeit gelangen.

Was ist, wenn der Verdacht, der zur Meldung führte, nicht erhärtet werden kann? Was ist, wenn der Mit­arbeitende, der die Meldung erstattete, nicht befriedigt ist? Das sind wichtige offene Punkte, die ohne Antwort bleiben. Drittes Problem: Die Regelung verursacht Regulierungskos­ten. Denn gefordert wird ein Hinweisgeber-System, welches bestimmte Anforderungen in Bezug auf Unabhängigkeit, Regelung des Meldeverfahrens und Dokumentationspflichten erfüllt. Das sind alles neue fixe Kosten. Und fixe Kosten belasten Betriebe und Mitarbeitende.

Es ist nicht nur die vorgeschlagene Regulierung, die untauglich ist. Problematisch ist die Verallgemeinerung von Sonderfällen zu Lasten von Unbeteiligten: KMU waren in keine Whistleblowing-Skandale verwickelt. Sie sollten logischerweise auch nicht dafür bezahlen. KMU leben in einer Vertrauenskultur. Diese schafft ein flexibles, unkompliziertes und vor allem innovatives Teamgefühl. Das ist eine Stärke unserer KMU; eine Stärke, die man nicht leichtfertig gefährden sollte.

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Zora Ledergerber Ist Inhaberin und ­Geschäftsführerin der Integrity Line GmbH. Sie berät Unternehmen bei der Einrichtung von Meldesystemen von Missständen. Zudem ist sie Beirätin bei Transparency ­International.

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Hans-Ulrich Bigler ist Direktor des Schweizerischen ­Gewerbeverbands. Dieser vertritt 250 Verbände und damit gegen 300'000 ­Unter­nehmen.

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