Hans-Ulrich Bigler
Das Arbeitsverhältnis ist ein Vertrauensverhältnis. Das ist nicht nur die legale Definition gemäss Obligationenrecht. Es ist vor allem die gelebte Realität in den KMU. In über 99 Prozent der Unternehmen arbeiten Chefinnen und Angestellte Schulter an Schulter. Das Klima der Offenheit ist der Normalfall und Mitarbeitende können Personen und Prozesse frei kritisieren. Oft befürworten Vorgesetzte interne Meldungen sogar. Nun wird der Sonderfall in die Mitte gestellt. Dieser ereignet sich jedoch nicht in den KMU, sondern in Grossunternehmen und beim Staat. Fälle von internen Missständen, die nach aussen gemeldet wurden, sind in der Schweiz im Kanton Zürich passiert – bei Angestellten des Kantons. Es ist unfair, wenn die KMU für die Fehler weniger oder sogar für die des Staats büssen müssen.
Die neue Regelung, über die derzeit im Parlament beraten wird, räumt der internen Behandlung von Meldungen Priorität ein: Demnach ist eine Meldung in der Regel nur dann zulässig, wenn sie zuerst an den Arbeitgeber, anschliessend an eine Behörde und erst als letztmöglicher Weg an die Öffentlichkeit gelangt. Dem Arbeitgeber wird damit die Möglichkeit gegeben, selbst gegen Unregelmässigkeiten vorzugehen und diese zu beseitigen. Das hört sich noch gut an.
Der Teufel steckt aber im Detail. Erstes Problem: Die Treuepflicht der Arbeitnehmenden wird um die Treue zum «richtigen Verlauf der Dinge» erweitert. Was das genau ist, weiss niemand. Alle sind grundsätzlich einer ethischen Grundhaltung verpflichtet. Doch der Arbeitsvertrag gilt zwischen Arbeitgeberin und Arbeitnehmerin und zwischen ihnen gelten besondere Treue- aber auch Schutzpflichten. Die Ausweitung des Gesetzes mit unklaren Rechtsbegriffen führt zu weniger Rechtssicherheit für alle. Zweites Problem: Die gemeldeten Fälle müssen nicht plausibilisiert werden. Sie werden gemeldet und der Arbeitgeber hat eine Frist, um Massnahmen einzureichen. Tut er dies nicht, darf der Arbeitnehmer an eine staatliche Stelle oder gar an die Öffentlichkeit gelangen.
Was ist, wenn der Verdacht, der zur Meldung führte, nicht erhärtet werden kann? Was ist, wenn der Mitarbeitende, der die Meldung erstattete, nicht befriedigt ist? Das sind wichtige offene Punkte, die ohne Antwort bleiben. Drittes Problem: Die Regelung verursacht Regulierungskosten. Denn gefordert wird ein Hinweisgeber-System, welches bestimmte Anforderungen in Bezug auf Unabhängigkeit, Regelung des Meldeverfahrens und Dokumentationspflichten erfüllt. Das sind alles neue fixe Kosten. Und fixe Kosten belasten Betriebe und Mitarbeitende.
Es ist nicht nur die vorgeschlagene Regulierung, die untauglich ist. Problematisch ist die Verallgemeinerung von Sonderfällen zu Lasten von Unbeteiligten: KMU waren in keine Whistleblowing-Skandale verwickelt. Sie sollten logischerweise auch nicht dafür bezahlen. KMU leben in einer Vertrauenskultur. Diese schafft ein flexibles, unkompliziertes und vor allem innovatives Teamgefühl. Das ist eine Stärke unserer KMU; eine Stärke, die man nicht leichtfertig gefährden sollte.