HR-Debatte

Bevölkerungswachstum begrenzen?

Mit der Ecopop-Initiative steht eine Abstimmung bevor, welche die Zuwanderung mit Quoten eindämmen will. Während Initiant Andreas Thommen die Maxime «Qualität statt Quantität» vertritt, sieht Kaspar Engeli, Direktor des Verbandes Handel Schweiz, den Wirtschaftsstandort bei einem Ja in die wirtschafliche Isolation schlittern.

Andreas Thommen

Was wollen wir? Neun oder zwölf Millionen Einwohner bis 2050? In den zehn Jahren vor der vollen Personenfreizügigkeit (1997 bis 2006), wuchs die Bevölkerung pro Jahr durchschnittlich um 0,56 Prozent. Seit die volle Personenfrei­zügigkeit gilt (2007), hat sich das jährliche Bevölkerungswachstum mit 1,2 Prozent mehr als verdoppelt.

Ohne Ecopop werden bei einer solch hohen Netto­zuwanderung bis 2050 rund zwölf Millionen Leute in der Schweiz wohnen! Mit Ecopop dürfen jährlich netto 16 000, das heisst brutto sogar über 100 000 Personen einwandern. Denn was viele nicht wissen: Rund 90 000 Personen verlassen jährlich die Schweiz. Es bleiben also genügend Kontingente für Wirtschaft, Bildung und Forschung sowie für den Familiennachzug.

Wachstum über alles oder lieber Qualität statt Quantität? Ewiges Wachstum des Bruttoinlandproduktes (BIP) ist nicht möglich. Unsere Politik, welche das BIP um jeden Preis steigern will, geht immer mehr zulasten der Menschen. Aus Sicht der hier lebenden Leute sind die Folgen negativ: So sank das jährliche reale Brutto-inlandprodukt-Wachstum pro Kopf von 1,3 Prozent (2000–2007) auf noch 0,16 Prozent (2007–2013).

Gleichzeitig stiegen die Steuerlasten, die Zubetonierung nahm zu und die Umweltqualität ab. Auch aus Sicht der Wirtschaft ist diese Entwicklung fragwürdig: Ein zentrales Mass für die langfristige Wettbewerbsstärke ist die Arbeitsproduktivität (BIP pro Arbeitsstunde). Diese stagniert jedoch seit 2007, weil der Zustrom an Billigarbeitskräften Fortschritte bei der Arbeitsproduktivität hemmt. Mit der Ecopop-Initiative kehren wir zurück zur bewährten Maxime «Qualität statt Quantität», fördern wertschöpfungsstarke Branchen und damit die langfristige Wettbewerbsstärke unserer Wirtschaft und schenken auch den nichtwirtschaftlichen Aspekten wieder mehr Beachtung.

Statt Fachkräftelücken im Arbeitsmarkt mit Spezialisten zu besetzen, wächst der Arbeitsmarkt in der Schweiz über alle Branchen hinweg in die Breite. Dabei ist der Anteil der unteren Lohngruppen überproportional vertreten, neue Stellen werden vor allem vom Staat geschaffen. So entfallen von den zwischen 2007 und 2013 zusätzlich geschaffenen 212 000 Stellen rund 171 000 auf die Bereiche Bildung, Gesundheit und Soziales sowie 17 000 auf öffentliche Verwaltung.

Die Zahlen des Bundesamtes für Migration zeigen darüber hinaus, dass nur 10 bis 15 Prozent aller Zuwandernden als Fach- oder Führungskraft mit überdurchschnittlicher Mehrwertschöpfung beispielsweise im medizinischen oder pflegenden Bereich arbeiten. Würde die Zuwanderung auf diese von der Wirtschaft tatsächlich benötigten Leute sowie auf humanitäre und soziale Bereiche fokussiert, würde die Nettozuwanderung massiv abnehmen. Das passt eini­gen Politikern und Wirtschaftsmächtigen nicht, weil Wirtschaftswachstum bequemer durch Bevölkerungswachstum sowie mit privatem und staatlichem Konsum generiert werden kann, als mit Innovation und Produktivitätsfortschritt. Mit der von Ecopop geforderten Quote kann jeder ausgewanderte Arbeitstätige ersetzt werden. Wirtschaft und Bund sind aufgefordert, vom Breitenwachstum wegzukommen und die künftige Einwanderung primär in Bereiche mit hoher Wertschöpfung zu lenken.

 

Kaspar Engeli

Die Ecopop-Initiative vereinigt Isolation und Schulmeis­terei. Beides geht aus meiner Sicht gar nicht und ist entschieden abzulehnen. Warum? Der Handel beschäftigt 680 000 Menschen und ist damit der grösste private Arbeit­geber der Schweiz und darauf angewiesen, flexibel agieren zu können, beispielsweise in der Beschaffung, Lagerung und im Verkauf. Sich schnell auf veränderte Bedingungen einzustellen, jederzeit handlungsfähig zu bleiben, Bedürfnisse zu erkennen und zu befriedigen, sind Eigenschaften, die es in diesem Umfeld braucht. Die Schweiz ist innovativ, modern und leis­tungsfähig. Bei der Ausbildung, Forschung und Wettbewerbsfähigkeit gehört sie zur Welt­spitze. Dies ist  jedoch nicht selbstverständlich, sondern muss immer wieder verteidigt werden.

Wie? Indem wir uns auf das besinnen, was uns stark gemacht hat. Dazu zählen beispielsweise der soziale Frieden, die Ausbildung, die offene Gesellschaft, die Vernetzung in der Welt und die gute Infrastruktur. Es sind diese Rahmenbedingungen, welche den Nährboden für den schweizerischen Erfolg bilden, um den wir zu Recht beneidet werden.

Isolation ist das Allerletzte, was die Schweiz als offener und liberaler Wirtschaftsstandort braucht. Deshalb ist der Kampf gegen den Protektionismus so wichtig. Was bedeutete es, wenn die ständige Wohnbevölkerung um maximal 0,2 Prozent pro Jahr wachsen dürfte? Was, wenn die Ecopop-Initiative angenommen würde?

Zur Erinnerung: Nach dem EWR-Nein im Dezember 1992 stagnierte die Schweizer Volkswirtschaft während fast zehn Jahren. Erst die bilateralen Abkommen I und II verliehen Schub und erlösten uns aus einer selbst gewählten Starre. Ähnliches droht heute nach der Annahme der Massen­einwanderungsinitiative. Wer will das? Bestimmt nicht die im Handel Beschäftigten und keiner, der sich innovative, gut bezahlte und vielseitige Arbeitsplätze in der Schweiz wünscht.

Es braucht also wenig Fantasie, um sich auszumalen, was bei der Annahme der Ecopop-Initiative auf die Schweiz zu­käme: ein Imageschaden für das gesamte Land sowie eine steigende Zahl an Grenzgängern. Damit würden die anvisierten Ziele der Ecopop-Initiative ganz bestimmt nicht erreicht.

Weitere Nebeneffekte: die zunehmende Isolation in Europa sowie die Gefährdung sämtlicher Abkommen mit der EU. In allen Berufsgruppen vom Gesundheits­wesen bis zur Spitzenforschung wäre mit der Annahme der Initia­tive zudem mit einer akuten Verknappung von Arbeitskräften zu rechnen. Die geforderte Einwanderungsquote von 0,2 Prozent pro Jahr verschärfte die Überalterung der Bevölkerung und überlastete die Sozialwerke massiv. Arbeitsintensive Wirtschaftsbranchen würden wegfallen, Geschäftstätigkeiten ins Ausland verlagert und Firmen wegziehen, die ihren Mitarbeitern das zunehmend angespannte Klima in der Schweiz nicht mehr zumuten könnten oder wollten.

Handel Schweiz hofft deshalb auf eine Niederlage der Ecopop-Initiative. Dies als klares Zeichen dafür, dass die Schweiz eine moderne und offene – und deshalb erfolgreiche – Volkswirtschaft ist und bleibt.

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Andreas Thommen ist Sekretär des Vereins Ecopop, ­einer parteiunabhängigen Umweltorganisation, welche die ­Lebensgrundlagen in der Schweiz schützen und für künftige Generationen erhalten will.

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Kaspar Engeli ist Direktor des ­Verbandes Handel Schweiz, dem 32 Branchenverbände mit insgesamt 3500 Unternehmen ­angehören.

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