Dieter Kissling
Gemäss einer 2014 publizierten Studie von Kuoni lesen 78 Prozent der Studienteilnehmer in den Ferien ihre E-Mails und 74 Prozent beantworten diese Nachrichten auch. 41 Prozent der Ferienreisenden telefonieren geschäftlich während der Ferien, obwohl 51 Prozent sich daran stören, dann arbeiten zu müssen. Über ein Viertel arbeitet in den Ferien, weil es der Chef so will.
Eine deutsche Untersuchung zeigt jedoch auf, dass 66 Prozent der Angestellten, die in der Freizeit arbeiten, dies von sich aus tun und nicht, weil es ihr Arbeitgeber verlangt. Neun von zehn Personen stört das nicht. Im Gegensatz zu dieser Aussage meinen 35 Prozent der gleichen Kohorte, dass ihnen die ständige Erreichbarkeit den Schlaf raubt. Bei Arbeitnehmenden scheint somit offenbar eine Diskrepanz zwischen ihrer subjektiven Wahrnehmung und den Folgen der ständigen Erreichbarkeit zu bestehen. Die neuen Technologien ermöglichen es jedenfalls, jederzeit und von überall aus zu arbeiten. Wer in der Freizeit jedoch häufig E-Mails beantwortet, leidet vermehrt an psychischen Störungen und an Depressionen, was durch neuere deutsche Studien belegt wird. Diese Fakten sind noch kaum bekannt.
Die Trennung von Freizeit und Arbeitszeit wird immer schwieriger, die Grenzen verwischen. Die Hauptgründe der ständigen Erreichbarkeit und des Arbeitens in der Freizeit sind also vornehmlich selbst gewählt. An erster Stelle steht die Aussage «Ich liebe meine Arbeit» vor «Es ist praktisch, immer erreichbar zu sein» und «Es ist mir wichtig, immer über Aktuelles informiert zu sein». Dass drei Viertel aller Ferienreisenden während der Ferien arbeiten, ist die neue Realität und wohl kaum rückgängig zu machen. Anstelle von Verboten und Einschränkungen sollten Arbeitgeber ihre Angestellten befähigen, mit den Möglichkeiten der ständigen Erreichbarkeit umzugehen, damit sie keinen gesundheitlichen Schaden nehmen. Das macht auch deshalb Sinn, weil Unternehmen, die das Thema psychische Gesundheit aufnehmen, deutlich weniger Ausfälle wegen psychischer Erkrankungen erleiden.
Die ständige Erreichbarkeit beinhaltet neben den Gesundheitsrisiken auch arbeitsrechtliche Risiken für den Arbeitgeber. Wird vom Arbeitnehmer während der Ferien eine ständige Erreichbarkeit oder Verfügbarkeit erwartet, vereitelt dies unter Umständen den Ferienzweck. Der Arbeitnehmer kann sich darauf berufen, dass diese Zeit nicht als Ferienbezug angerechnet wird. Erfolgt die ständige Erreichbarkeit jedoch aus freien Stücken des Mitarbeiters, zum Beispiel wenn dieser täglich seine E-Mails checkt, obwohl der Arbeitgeber dies nicht fordert, besteht kein Anspruch auf Nachbezug der Ferien. Somit sollten Arbeitgeber klar deklarieren, dass sie die ständige Erreichbarkeit während der Ferien nicht erwarten und dies auch durch Stellvertretungen sicherstellen. Arbeitnehmende sollen lernen, damit umzugehen, nicht dauernd erreichbar zu sein. Eine Möglichkeit besteht darin, die E-Mails während der Ferien nur zu einer bestimmten Zeit zu checken und – falls es die Arbeit verlangt – nur zu vorgängig vereinbarten Zeiten erreichbar zu sein.