HR-Debatte

Mobile Erreichbarkeit – auch in den Ferien?

Mit den neuen Techniken verschwimmt die Grenze zwischen Arbeit und Freizeit immer mehr. Doch ist die ständige Erreichbarkeit tatsächlich ein «Segen»? Während Urs Klingler als Consultant ständig auf Empfang ist, warnt Dieter Kissling, Arbeitsmediziner, vor den gesundheitlichen Folgen der ständigen Erreichbarkeit.

Urs Klingler

Für mich persönlich ist vollkommen klar – das Handy kommt als «ständiger» Begleiter immer mit, auf geschäftliche wie auch auf private Reisen. Dies ermöglicht mir uneingeschränkten Zugang zu allen meinen Kontakten und Verpflichtungen. Ich fühle mich durch mein Handy und das viel diskutierte «Immer-und-überall-erreichbar-Sein» nicht gestresst. Das Handy ist zwar ständig an, aber ich kontrolliere es in den Ferien oft nur einmal am Tag. Mit den Jahren habe ich gelernt abzuschalten, auch wenn das Handy auf Empfang ist. Dabei mache ich keinen Unterschied, ob ich am Wochenende am Joggen bin oder mich in den Ferien am Strand entspanne. Es ist sogar so, dass mir das Handy als ­ständiger Begleiter eine gewisse Sicherheit gibt.

Trotz dieser Verbindungsmöglichkeit denke ich in den Ferien nicht an die Firma oder laufende Projekte. Ich habe die Option, jederzeit Kontakt aufzunehmen oder notfalls von meinen Mit­arbeitenden kontaktiert zu werden. Das bedeutet nicht, dass ich dieselbe Handhabung und Haltung auch von meinen Mitarbeitenden erwarte. Sie können selber entscheiden, ob das Handy mit in die Ferien geht oder eben zu Hause bleibt. Das Thema «Mit dem Handy in die Ferien» war aber in unserer Firma noch nie ein Problem.

Bei Ferienabwesenheiten regeln wir die Stellvertretung so, dass Abwesende die Ferien geniessen können und nicht durch berufliche Anrufe gestört werden. Vor allem bei längeren Auslandreisen gilt es, die Stellvertretung für laufende wie anfallende Projekte verbindlich zu regeln und gegenüber den Kunden zu kommunizieren. Bei uns sind immer mehrere Mitarbeitende in einem Projekt engagiert, was die Stellvertretung vereinfacht. Wir kontaktieren abwesende Personen in ihren Ferien nur im äussersten Notfall, was sehr selten vorkommt. Die meisten Fragen können bis zur Rückkehr des Abwesenden warten oder werden zeitnah im Team besprochen und falls möglich gelöst. Der Stellver­treter entscheidet in der Zeit des abwesenden Kollegen eigenständig.

Sollte es trotz aller Vorbereitungen und Stellvertreter­regelungen notwendig werden, einen Mitarbeitenden in den Ferien anzurufen, nehme ich, wie auch meine Mitarbeitenden, das gelassen. Wir besprechen telefonisch die nächsten Schritte und planen die Umsetzung, sobald es geht und Sinn macht. Nach der Rückkehr des Mitarbeitenden wird dieser umfassend über den Status der einzelnen Projekte informiert und werden die Aufgaben neu verteilt. Unser oberstes Ziel ist immer, dass unsere Kunden die Abwesenheiten von Mitarbeitenden nicht bemerken und vereinbarte Termine fristgerecht eingehalten werden. Erholung und Freizeit sind wichtig, und es ist wichtig zu erkennen, dass man entbehrlich ist. Dabei kann gewissen Personen das ­Handy helfen.

 

Dieter Kissling

Gemäss einer 2014 publizierten Studie von Kuoni lesen 78 Prozent der Studienteilnehmer in den Ferien ihre ­E-Mails und 74 Prozent beantworten diese Nachrichten auch. 41 Prozent der Ferienreisenden telefonieren geschäftlich während der Ferien, obwohl 51 Prozent sich daran stören, dann arbeiten zu müssen. Über ein Viertel arbeitet in den Ferien, weil es der Chef so will.

Eine deutsche Untersuchung zeigt jedoch auf, dass 66 Prozent der Angestellten, die in der Freizeit arbeiten, dies von sich aus tun und nicht, weil es ihr Arbeitgeber verlangt. Neun von zehn Personen stört das nicht. Im Gegensatz zu dieser Aussage meinen 35 Prozent der gleichen Kohorte, dass ihnen die ständige Erreichbarkeit den Schlaf raubt. Bei Arbeitnehmenden scheint somit offenbar eine Diskrepanz zwischen ihrer subjektiven Wahrnehmung und den Folgen der ständigen Erreichbarkeit zu bestehen. Die neuen Technologien ermöglichen es jedenfalls, jederzeit und von überall aus zu arbeiten. Wer in der Freizeit jedoch häufig E-Mails beantwortet, leidet vermehrt an psychischen Störungen und an Depressionen, was durch neuere deutsche Studien belegt wird. Diese Fakten sind noch kaum bekannt.

Die Trennung von Freizeit und Arbeitszeit wird immer schwieriger, die Grenzen verwischen. Die Hauptgründe der ständigen Erreichbarkeit und des Arbeitens in der Freizeit sind also vornehmlich selbst gewählt. An erster Stelle steht die Aussage «Ich liebe meine Arbeit» vor «Es ist praktisch, immer erreichbar zu sein» und «Es ist mir wichtig, immer über Aktuelles informiert zu sein». Dass drei Viertel aller Ferienreisenden während der Ferien arbeiten, ist die neue Realität und wohl kaum rückgängig zu machen. Anstelle von Verboten und Einschränkungen sollten Arbeitgeber ihre Angestellten befähigen, mit den Möglichkeiten der ständigen Erreichbarkeit umzugehen, damit sie keinen gesundheitlichen Schaden nehmen. Das macht auch deshalb Sinn, weil Unternehmen, die das Thema psychische Gesundheit aufnehmen, deutlich weniger Ausfälle wegen psychischer Erkrankungen erleiden.

Die ständige Erreichbarkeit beinhaltet neben den Gesundheitsrisiken auch arbeitsrechtliche Risiken für den Arbeitgeber. Wird vom Arbeitnehmer während der Ferien eine ständige Erreichbarkeit oder Verfügbarkeit erwartet, vereitelt dies unter ­Umständen den Ferienzweck. Der Arbeitnehmer kann sich darauf berufen, dass diese Zeit nicht als Ferienbezug angerechnet wird. Erfolgt die ständige Erreichbarkeit jedoch aus freien Stücken des Mitarbeiters, zum Beispiel wenn dieser täglich seine E-Mails checkt, obwohl der Arbeitgeber dies nicht fordert, besteht kein Anspruch auf Nachbezug der Ferien. Somit sollten Arbeitgeber klar deklarieren, dass sie die ständige Erreichbarkeit während der Ferien nicht erwarten und dies auch durch Stellvertretungen sicherstellen. Arbeitnehmen­de sollen lernen, damit umzugehen, nicht dauernd erreichbar zu sein. Eine Möglichkeit besteht darin, die E-Mails während der Ferien nur zu einer bestimmten Zeit zu checken und – falls es die Arbeit verlangt – nur zu vorgängig vereinbarten Zeiten erreichbar zu sein.

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Urs Klingler ist Gründer und Managing Partner der Klingler Consultants AG. Er doziert an Universitäten und Hochschulen und ist Autor zahlreicher Bücher und Fachartikel.

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Dr. med. Dieter Kissling ist Facharzt für Allgemeinmedizin und Arbeitsmedizin. Er ist Gründer und Leiter des ifa Instituts für Arbeitsmedizin in Baden mit 100 ­Mitarbeitenden.

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