Bin ich ein guter Chef?
Die Frage, was ein guter Chef oder eine gute Chefin ist, füllt ganze Bücherregale. Je höher die Position und je komplexer die Situation ist, desto wichtiger wird es, mit widersprüchlichen Anforderungen und Erwartungen konstruktiv umzugehen. Doch auch auf Teamleitungsebene stellen sich Fragen, die jede Führungsperson für sich aufgrund ihrer Ziele, vor allem aber im Einklang mit ihren grundlegenden Werten, beantworten muss.
Was gute Führung ist, kommt auf die Unternehmenskultur an. Aber den Mitarbeitern gegenüber Respekt zu zeigen, ist sicher erstrebenswert. (Bild: 123rf).
Eine Bekannte berichtete kürzlich über ihre Chefin, welche sie sehr schätzt: «Sie lässt mich wachsen», und der Schriftsteller Kurt Tucholsky schrieb: «Wenn man einen Menschen beurteilen will, so frage man sich immer: ‚Möchtest du den zum Vorgesetzten haben?‘» In der Zeitung war zu lesen, dem neuen Chef eines Unternehmens fehle es am «Killerinstinkt» – und ein erfahrener Kollege empfindet es als anstrengend, dass sein neuer Chef es allen recht machen will.
Die Anforderungen an moderne Führungspersönlichkeiten sind enorm: Sie sollen die Mitarbeitenden wertschätzen und gleichwohl hochambitiöse Ziele verfolgen; sie sollen Vorgaben durchsetzen und die Mitarbeitenden mitgestalten lassen; sie müssen Verantwortung delegieren und gleichzeitig für alle Fehler den Kopf selbst hinhalten, und sie haben ein Commitment sowohl der Arbeit als auch der Familie gegenüber. Dabei müssen sie selbst sich an Veränderungen flexibel anpassen ohne ihre innere Stabilität zu verlieren.
Führen heisst, Menschen dahingehend zu beeinflussen, gemeinsam die Ziele eines Unternehmens zu erreichen. Was gute Führung ist, kommt auf die Unternehmenskultur, auf das Umfeld und auf die Beteiligten an. Ein Charakteristikum des modernen Führungsverständnisses ist es, dass Menschen als solche wahrgenommen und respektiert werden wollen. Wertschätzung, Respekt und Vertrauen sind die Basis eines «guten Führungsverhaltens», reichen aber noch nicht aus, um ein Unternehmen oder eine Organisationseinheit zum Erfolg zu führen.
Führung geschieht im Kontext einer Organisation, orientiert sich an den Zielen, Erwartungen und Beiträgen der verschiedenen Anspruchsgruppen und in Abhängigkeit der Fähigkeiten, Kompetenzen und Möglichkeiten. Diese stehen typischerweise nicht im Einklang miteinander, sondern sind durch widersprüchliche Anforderungen und Erwartungen geprägt und sind oft mit Unsicherheiten und Ängsten verbunden.
Der Arbeitspsychologe Oswald Neuberger zeigt auf, dass Dilemmata und Paradoxien in der Führung unausweichlich, ja geradezu charakteristisch sind. Führungskräfte fühlen sich mitunter wie Odysseus zwischen den beiden Ungeheuern Skylla und Charybdis, die beide ihre Opfer forderten. Wenngleich Dilemmata, Unsicherheiten und innewohnende Widersprüche in der Führungsarbeit als störend empfunden werden, sind sie gleichzeitig einer der wichtigsten Gründe dafür, dass es überhaupt Führung gibt. Gerade weil die Arbeitswelt nicht logisch und berechenbar ist, weil Mitarbeitende nicht nur im Interesse des Unternehmens, sondern immer auch im eigenen Interesse handeln, braucht es Führungsleute, welche die auftretenden Spannungsfelder austarieren und Erwartungen aushandeln.
Im Umgang mit Widersprüchen und Unsicherheiten gibt es kein «Rezept», das in jeder Situation anwendbar wäre. Entscheidend ist, für sich selbst einen «goldenen Mittelweg» im Umgang mit Gegensätzen und Dilemmata zu finden. Zum Beispiel zwischen Familie und Beruf, verschiedenen Berufsrollen, zwischen den eigenen Wünschen und den Anforderungen des Unternehmens oder Erwartungen von Vorgesetzten und Mitarbeitenden.
Die folgenden Fragen zu fünf Dilemmata (in Anlehnung an Neuberger 2002) fokussieren auf Spannungsfelder im Rahmen der Mitarbeiterführung:
- Fremdbestimmung und Selbstbestimmung: Wie halten Sie die Motivation Ihrer Mitarbeitenden aufrecht, so dass gleichzeitig die betrieblichen Vorgaben und Ziele erfüllt werden? Vieles ist in der Organisation reglementiert, kontrolliert und mehr oder weniger klar vorgegeben. Selbständige Mitarbeitende wünschen sich hingegen Autonomie und Handlungsfreiräume.
- Gesamtverantwortung und Einzelverantwortung: Wie zeigen Sie den Mitarbeitenden Ihr Vertrauen in ihre Fähigkeiten, und kritisieren sie so, dass Sie die Mitarbeitenden stärken? Führungskräfte können und sollen sich nicht um alles selbst kümmern. Kompetente und erfahrene Mitarbeitende sind in der Lage, verantwortlich zu handeln. Dennoch müssen Sie als Führungsperson auch für Fehler der Mitarbeitenden geradestehen und wo es nötig ist eingreifen.
- Verständnis und Zielfokussierung: Wie bringen Sie Verständnis für Mitarbeitende in schwierigen Situationen auf und verpflichten sie gleichermassen auf die Zielerreichung? Mitarbeitende wollen «menschlich» geführt werden. Gleichzeitig müssen Führungskräfte für die Erreichung der Ziele in der vorgegebenen Zeit und Qualität sorgen und eine professionelle Distanz wahren.
- Aktivierung und Zurückhaltung: Wo führen Sie unterschiedlich, wo gleich? Wo treiben Sie die Arbeiten der Mitarbeitenden aktiv voran und wo warten Sie auch unter Zeitdruck besser die Entwicklungen ab? Mitarbeitende sprechen auf unterschiedliche Führungs- und Kommunikationsstile an. Einige wollen begeistert und andere möglichst in Ruhe gelassen werden. Einzelne brauchen die Ausübung von Druck und andere müssen im Gegenteil gebremst werden – und alle erwarten eine gleichermassen faire Behandlung.
- Innen- und Aussenorientierung: Wie viel Präsenz im Team ist notwendig und sinnvoll, welche Aussenkontakte sind «Chefsache», welche werden zweckmässigerweise delegiert und welche vernachlässigt? Eine Führungsperson steht hinter den Mitarbeitenden und vertritt die Gruppeninteressen nach aussen.
In diesen Fragen zwischen sowohl als auch, weder-noch und entweder oder hilft es, für sich eigene, nicht verhandelbare Grundwerte festzulegen und in diesem Rahmen angepasst auf die Situation zu reagieren. Das gelingt längst nicht immer: Nobody is perfect – denn reibungslos funktionieren können Maschinen und Computer wesentlich besser!
Literatur:
- Neuberger, O. (2002). Führen und führen lassen. Stuttgart: Lucius & Lucius.
- Steiger, Th., Lippmann, E. (2013). Handbuch Angewandte Psychologie für Führungskräfte, Bd I und II. Heidelberg: Springer.
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