Checkliste

Achtung, Beschleunigungsfalle

Wenn nicht nur der Einzelne, sondern das ganze Unternehmen den Blues hat, dann sitzt die Firma in der Beschleunigungsfalle. Oft, ohne das die Verantwortlichen das wahrnehmen. Eine Checkliste zur Erkennung der Symptome und den richtigen Therapiemassnahmen.

Wenn Manager sich vom Markt unter Druck gesetzt fühlen, halsen sie dem Unternehmen häufig mehr auf, als dieses verträgt: Die Zahl der Projekte steigt, die Leistungsvorgaben werden erhöht und Innovationszyklen verkürzt. Eine Zeit lang mag das funktionieren, aber wenn das rasante Tempo zum Normalzustand wird, führt es zu chronischer Überlastung aller Beteiligter. Das Burn-out gibt es nicht nur beim einzelnen Mitarbeiter, es kann auch Teams oder ganze Organisationen erfassen. Die Folgen sind demotivierte Mitarbeitende. Zudem wird die klare Ausrichtung und Positionierung des Unternehmens verwässert, was die Kunden verwirrt und zu einer diffusen Marke führt.

Bei einer Untersuchung von 92 Unternehmen in Deutschland im Jahr 2009 hat sich gezeigt, dass die Hälfte von ihnen in die Beschleunigungsfalle geraten sind – und die meisten sich dessen gar nicht bewusst waren.

Ist Ihr Unternehmen Burn-out-gefährdet?

Bei den in der Beschleunigungsfalle gefangenen Unternehmen sagten 60 Prozent der Mitarbeitenden, dass sie nicht ausreichend Ressourcen für ihre Arbeit zur Verfügung hätten – bei «gesunden» Unternehmen sind es nur 2 Prozent. Ein ähnliches Bild ergibt sich bei Aussagen wie «Ich arbeite ständig unter erhöhtem Zeitdruck», «die Prioritäten ändern sich häufig», «ich vermisse regelmässige Erholungsphasen».

Erste Symptome des Organizational Burn-out (Nach G. Greve)

  • Unsicherheit in der Marktakzeptanz mit Umsatzrückgang: Umsatzrückgang bedeutet Unsicherheit, mit der Folge, dass die Vertriebsintensität erhöht wird ohne vorherige, vertiefte Situationsanalyse.
  • Übersteigerter Qualitätsanspruch: Wann ist gut gut genug? In Institutionen des Service-Public wird, da der Markt und damit die Preis-Absatz-Funktion fehlt, von der vorgesetzten Ebene eine immer höhere Qualität gefordert, ohne final zu bestimmen, welche Qualität überhaupt hinreichend ist.
  • Unrealistische Leistungsvorgaben: Insbesondere in Organisationen die eine steile Hierarchie haben, verstärken sich die Leistungsvorgaben.
  • Unspezifische Ziele und fehlende Konkretisierung: Nur wer sein Ziel kennt, findet den Weg (Laotse). Unpräzise Ziele und insbesondere mangelhafte Detaillierung und Messgrössen führen immer zu einer Fehlallokation der Ressourcen. Die Motivation leidet und der Energieeinsatz bleibt enttäuschend.
  • Wertearmut des Unternehmens – fehlende Sinnhaftigkeit: Der Zweck des Unternehmens kann nicht nur darin bestehen, möglichst viel Geld zu verdienen. Das Unternehmen braucht eine moralisch-ethische Antwort. Wenn Unternehmen und damit verbunden die Mitarbeitenden auf dem Ozean der Sinnlosigkeit hin und her treiben, dann fehlen ethische Zielvorgaben. Die Identifikation mit der Firma nimmt ab, ein Gefühl der Sinnlosigkeit mit der Aufgabe wird erlebt. Es entwickelt sich eine völlige Fokussierung auf das nur noch absolut Notwendige.
  • Hohe Fluktuation und wenig aktive Bewerbungen: Ausdruck davon ist, wenn die Wertschätzung gegenüber den Mitarbeitenden erst bei der Kündigung steigt und sie nur als Kostenstellen, nicht jedoch als «human capital» gesehen werden. Fehlende Initiativbewerbungen sind ein Frühindikator für Imageverlust.
  • Isolation der mittleren Führungsebene zwischen oben und unten: Von der mittleren Führungsebene wird erwartet, die Strategie des Unternehmens aktiv umzusetzen und überzeugend zu kommunizieren. Die Realität ist jedoch, dass sie in die Entwicklung der Strategie nicht einbezogen ist. Die Kultur ist geprägt durch Zynismus, hohe Fluktuation und einem nicht mehr zuhören können. Es wird aneinander vorbeigeredet. Die Berechenbarkeit des Umfeldes nimmt ab.
  • Ergebnisdruck von Kunden, Eigentümern oder der Öffentlichkeit: Bei börsenkotierten Unternehmungen besteht die Gefahr, dass unrealistische Returns-on-Equity verlangt werden. Eine Kurspflege, koste es was es wolle, mit Kosten runter und Gewinn rauf, lässt den Erwartungsdruck und die Versagensängste wachsen. Unüberlegte Hektik, Hypermotorik und Fehler sind die Folge.
  • Angst vor Verlust des Vertrauens des Kapital- und Arbeitsmarktes: Das Vertrauen zu Marken und Organisationen (intern und extern), entwickelt sich in einem langwierigen Prozess. Der Vertrauensbruch hingegen kann sich in einer einzigen Handlung vollziehen. Wenn die Grundtugenden des ehrbaren Kaufmannes zu wenig respektiert werden, setzt ein Unternehmen längerfristig das Vertrauen aufs Spiel.
  • Überlastung: Die Mitarbeitenden haben nicht mehr genügend Zeit und Ressourcen um ihre Aufgaben effektiv zu erledigen. Produktivität und Qualität der Arbeit nimmt ab. Eine Mehrfachbelastung tritt dann ein, wenn die Mitarbeitenden zu viele verschiedene Aufgaben, ohne Synergieeffekte, erledigen müssen. Die Beschäftigten wie auch das Unternehmen verlieren dabei die klare Ausrichtung. Innovationen, auch im Kleinen, finden nicht mehr statt.
  • Veränderungen im Dauerzustand:  Das Change-Management mit aussergewöhnlichen Belastungen wird zum Dauerzustand. Fehlende und nötige Erholungsphasen werden von den Mitarbeitenden kompensiert mit gedrosseltem Einsatz. Der Mitarbeitende fühlt sich wie im Hamsterrad und befindet sich in latentem Erschöpfungszustand.
  • Extreme Reaktionen: Die Organisation reagiert hektisch, oft kopflos. Strategien werden permanent geändert, Mitarbeitende und Manager ausgetauscht.
  • Erfolgsarroganz macht blind: Eine Unternehmung die über Jahre erfolgreich ist, läuft Gefahr, sich für unfehlbar zu halten und die vitalisierende Selbstregulation zu verlieren. Erfolg macht nicht nur angenehm träge, man braucht immer mehr Energie, um den gleichen Erfolg zu erzielen.

Gibt es eine Lösung?

Um ein Unternehmen aus der Falle des Organizational Burn-out herauszuführen, sind folgende Massnahmen möglich:

  • Stabilisierung durch Wachstum: Einen konsequenten Wachstumskurs gehen heisst, unnötige und Arbeits- und Projektgruppen, die nur zur Verbesserung von internen Prozessen dienen, aufzulösen und die freiwerdenden Ressourcen für Marktbearbeitung und Innovationen verwenden. Die Anzahl der Projekte muss heruntergefahren werden.
  • Projekte streichen, Innovationsinitiative aufbauen: Anstatt die Mitarbeitenden nach neuen Initiativen zu fragen, können sie eingeladen werden sich zu überlegen, welche Initiativen sie streichen würden.
  • Strategie klar kommunizieren: Das Streichkonzert erfordert vom CEO Mut, Durchsetzungsvermögen und ein Verständlich-Machen der Strategie auf allen Führungsebenen, damit die Projekte auch auf die Kongruenz zur Strategie überprüft werden können.
  • Ausleseprozess festlegen: Damit diese Überprüfung gemacht werden kann, braucht es einen systematischen Ausleseprozess mit Kriterien. Solche können sein: Erforderliche Investitionen mit ROI, das Kosten-Nutzen-Verhältnis und allenfalls auch der symbolische Wert für die Mitarbeitenden.
  • Stressphase offiziell beenden: Wenn die Beschleunigungsphase nicht allein durch zu viele Projekte, sondern vor allem durch ständige Unruhe zustande kommt, kann der CEO das Unternehmen befreien, indem er durch sein Wort der aktuellen Veränderung ein Ende setzt. Dezentrale Strukturen mit mehr Spielraum für die einzelnen Geschäftsfelder und Mitarbeitenden können auch präventiv wirken.
  • Neue Projekte filtern: Projektmanagementsysteme auch zum Filtern verwenden. Ressourcenbedarf, Projektführung klären. Projekte priorisieren und Platz schaffen.
  • Beerdigungskultur einführen: Ein Projekt einzustellen kann schmerzlich sein, insbesondere für diejenigen, die sich dafür engagiert haben und sich mit dem Projekt identifizieren. Eine Kultur aufzubauen, wo es auch dazu gehört, dass Projekte ohne Gesichtsverlust aufgegeben werden können, hilft. Eine solche Beerdigung kann auch mit einer kleinen Feier, nicht nur beim Erfolg sondern auch beim Abschied, ritualisiert werden um allfällige negative Emotionen abzubauen.
  • Eines nach dem anderen: Eine bestimmte Wachstumsphase kann dazu führen, dass im Unternehmen alle Kräfte auf die Erreichung dieses Zieles ausgerichtet werden müssen. Eine Projektsperre kann helfen, diese Aufgabe zu bewältigen.
  • Verschnaufpause einlegen: Nach Stressphasen braucht es Erholung. Wenn man jedoch Pausen als störende Unterbrechungen betrachtet, dann provoziert man die Mitarbeitenden nicht nur in ein Burn-out hinein, sondern man behindert auch Kreativität. Denn diese setzt ein gewisses Mass an Entspannung und Gelassenheit voraus.
  • Einen Gang zurückschalten: Ein regelmässiger und bewusst strukturierter Rhythmus zwischen Hochleistungs- und Erholungsphasen führt dazu, dass nicht nur aussergewöhnliche Innovationen geschafft werden, sondern auch mehr Wachstum erzielt wird als bei der Konkurrenz.
  • Erfolge geniessen: Aussergewöhnliche Anstrengungen und Erfolge verdienen Anerkennung und können im Rahmen einer kleinen Feier institutionalisiert werden.
  • Mit gutem Beispiel vorangehen: Ein Rückzug auf die grüne Wiese zum Nachdenken kann helfen, in Ruhe und ohne die täglichen Störungen Ideen durchzuarbeiten und Energien zu tanken.
  • Feedbacksystem einsetzen: Beim monatlichen Feedback zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitenden wird unter anderem auch darauf geachtet, ob sich die Mitarbeitenden ausreichend erholen, also eine Balance zwischen Anspannung und Entspannung besteht.

 

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Heinz Léon Wyssling bietet Karriere- und Business-Coaching an, ist zertifizierter Neuroimaginations-Coach und Dipl. Supervisor / Organisationsberater BSO sowie Member World Society of Motivation Professionals and Scientists, Ohio, USA.

www.hwyssling.ch

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