HR Today Nr. 10/2021: Debatte

Braucht es noch Geschäftsreisen?

Die Corona-Pandemie hat Reisen als Ganzes verändert. Hinzu kommen gesellschaftliche Themen wie Nachhaltigkeit und Klimawandel. Welche Auswirkungen haben diese Aspekte auf Geschäftsreisen? Drei Ansichten, die jedoch alle in eine ähnliche Richtung tendieren.

Esmir Davorovic, HR Strategies, HR Campus: «Ein Können impliziert noch kein Sollen.»

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Welches Bild sehen Sie vor Ihrem inneren Auge, wenn Sie an einen typischen Geschäftsreisenden denken? Wenn es Ihnen wie mir geht, nicht einen Monteur im Overall mit Werkzeugkasten, sondern jemanden im Anzug mit dem Smartphone in der einen und dem Laptop in der anderen Hand. Bei einer längeren Geschäftsreise trifft man diese Person nicht am Bahnsteig, sondern in der Abfertigungshalle eines Flughafens. Diese Art von Geschäftsreise ist kritisch zu hinterfragen.

Weil man es sich leisten kann, steigt parallel dazu auch die Zahl der Reisen. Ein Können impliziert aber noch kein Sollen. Wir sollten uns stattdessen fragen, ob es wirklich notwendig ist, für jede Unterschrift in die nächstgrössere Metropole zu fliegen, oder ob wir hier nicht die Vorzüge der vielgepriesenen Digitalisierung nutzen sollten. Dank dieser stehen uns nämlich mehr Kommunikationswege als je zuvor zur Verfügung. Es scheint so, als hätten wir eine antiquierte Verhaltensweise gedankenlos übernommen, die mehr Lifestyle als Notwendigkeit ist.

Wenn uns die Tage im Homeoffice etwas gelehrt haben, dann, wie schnell wir Traditionen und Gewohnheiten ausser Kraft setzen und uns mittels neuer Methoden zurechtfinden. Es stimmt schon, dass Online-Konferenzen gewisse Aspekte einer sozialen Interaktion nicht abdecken. Stimmung, Körpersprache und Soft Skills machen viel aus. Aber wer behauptet, dass die physische Anwesenheit eine hinreichende Bedingung für Flow-Momente und zwischenmenschliche Höhenflüge sei, sollte sich an die vielen Meetings vor der Pandemie erinnern, die diese Kriterien nicht erfüllten.

Es kann durchaus gute und zwingende Gründe für Geschäftsreisen geben. Sich kennenzulernen oder soziale Momente wie Vertragsunterzeichnungen besitzen emotionale Aspekte, die nur schwer ersetzbar sind. Wir sollten uns allerdings abgewöhnen, diese als Standard zu betrachten. Das spart Zeit sowie Geld und setzt ein positives Zeichen zur Bewältigung des Klimawandels.

Marc Prinz, Rechtsanwalt, Vischer AG: «Fallen ­Besprechungen mit Abendessen ganz weg, dürfte auch die Kundenbindung langfristig leiden.»

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In gewissen Berufszweigen und Funktionen gehören Geschäftsreisen zum Arbeitsalltag (oder taten dies zumindest bis zur Corona-Pandemie). Dabei entscheidet grundsätzlich der Arbeitgebende darüber, ob und in welchem Umfang ein Mitarbeitender im Rahmen seines Arbeitsverhältnisses geschäftliche Reisen zu tätigen hat.

In den vergangenen knapp eineinhalb Jahren waren geschäftliche oder private Reisen aufgrund der Corona-Pandemie praktisch nicht mehr oder zumindest nur unter erschwerten Voraussetzungen möglich. Vor diesem Hintergrund sahen sich viele Unternehmen gezwungen, Geschäftsreisen mehrheitlich einzustellen. Entsprechende Termine wurden sodann remote per Videokonferenz wahrgenommen. Am Anfang stellte das eine gewisse Herausforderung dar, mittlerweile dürften die meisten Unternehmen aber über entsprechende Kommunikationskanäle verfügen. So gehören Online-Besprechungen heute zum Alltag.

Das hat den Unternehmen aufgezeigt, dass Geschäftsreisen nicht zwingend sind. Entsprechend könnten auch die mit einer Geschäftsreise anfallenden und grundsätzlich vom Arbeitgebenden zu tragenden Kosten (Reise- und Unterhaltkosten, Reisezeit etc.) eingespart werden.

Es ist daher damit zu rechnen, dass in Zukunft – sobald sich die Corona-Situation (ganz) normalisiert hat – tendenziell weniger Geschäftsreisen stattfinden. Da der Arbeitgebende grundsätzlich darüber bestimmt, ob ein Mitarbeitender geschäftlich verreist oder nicht, könnte er Geschäftsreisen auch ganz verbieten. Das dürfte aber nicht in vielen Unternehmen geschehen, da Remote-Besprechungen den persönlichen Klienten- oder Kundenkontakt nicht ersetzen. Fallen Besprechungen mit anschliessenden Abendessen beispielsweise weg, dürfte auch die Kundenbindung langfristig darunter leiden.

Wahrscheinlich kommen geschäftliche Reisen deshalb künftig zwar weniger vor, ganz auf Geschäftsreisen verzichten und diese somit verbieten werden aber die wenigsten Unternehmen.

Florian Schrodt, Leiter Personalmarketing, Verkehrsbetriebe Zürich: «Wer zufrieden, verantwortungsvoll und Sinnvoll arbeiten kann, braucht nicht zu flüchten.»

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Dienstreisen halten sicher viele für etwas eskapistisch Heilsames. Raus aus dem alltäglichen Wahnsinn, dem Hamsterrad, dem Mikro-management, den Endlosmeetings, den Dauerroutinen, dem was auch immer. Einfach mal raus. Braucht es das noch? Hoffentlich nicht. Auf uns wartet doch eine neue so oft beschworene Normalität. Aber wie soll die eigentlich aussehen? Bevor wir die Blaupausen für diese neue Realität entwerfen oder anfangen, etwas zu verändern, gehen wir zurück zum guten, alten Mikromanagen. Vielleicht kommt dann der Fluchtgedanke ganz schnell wieder.

Aber Spass beiseite. Dienstreisen sind gewissermassen eine Art Werkzeug, ein Mittel zum Zweck. Sollten wir also nicht erst einmal eine Vorstellung davon haben, was eigentlich gebaut werden soll, bevor wir die Werkzeugkiste aufmachen? Wenn wir wissen, was New Work wirklich sein soll – fernab irgendwelcher Trend-Begriffe –, kann man auch entscheiden, ob es oder wann es Dienstreisen braucht. Alles andere ist vorauseilender Aktionismus. Wenn New Work vor allem eins braucht, dann wissensbasiertes und damit selbstbestimmtes Arbeiten. Vertrauen wir doch darauf, dass die Leute der New-Work-Ära schon wissen, was sie tun. Dann ist der Wunsch nach einem Ausbrechen aus dem Alltag vielleicht nicht mehr so verheissungsvoll. Stattdessen schreiben wir uns alles Mögliche auf die Fahnen und kommen mit immer neuen, trendgeschneiderten Angeboten kaum hinterher. Für alles haben wir Massnahmen: lebenslanges Lernen, Blended Learning, Work Life Balance, Work Life Integration, Remote Office, Homeoffice. Ein wunderbarer Katalog an Möglichkeiten, um dann aber wieder mit Verboten einzugreifen? Kann man so machen, dann sollte man es aber nicht als New Work tarnen.

Wer zufrieden, verantwortungsvoll und sinnvoll arbeiten kann, braucht nicht zu flüchten. Die eine oder andere Dienstreise braucht es zukünftig immer noch. Dann aber aus gutem Grund. Nicht als Fluchtfantasie.

 

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