HR Today Nr. 4/2021: Inklusion – Online-Analyseinstrument

Chancengleichheit für alle

Schweizer Unternehmen sind zu wenig divers, konstatiert Susanne Preisig, Leiterin Diversity and Inclusion bei «MindStep». Um die Situation zu verbessern, entwickelte das Unternehmen mit der Universität St. Gallen ein Online-Analyseinstrument zur Erhebung und Steuerung von «Diversity and Inclusion» in Unternehmen.

Was bedeutet Diversität für Sie persönlich?

Susanne Preisig: Diversität bedeutet für mich, dass alle Menschen einzigartig sind. Nicht alle sind gleich, aber alle gleich besonders.

Wann ist eine Firma «divers»?

Viele Unternehmen arbeiten mit einer beschränkten Auswahl an Diversitätsmerkmalen. Dazu gehören häufig Alter, Geschlecht, Gesundheit und Nationalität. Das greift aber zu kurz. Deshalb haben wir mit der Universität St. Gallen ein umfassendes Wirkungsmodell zur Diversität und Inklusion in Unternehmen entwickelt: den St. Gallen Inclusion Index. Mit diesem Modell beschreiben wir Diversität in acht Dimensionen. Neben den vorweg erwähnten gehören auch Geschlechtsidentität und sexuelle Orientierung, Bildung und Erfahrungen, Lebens­situation, Werte und Überzeugungen sowie Merkmale der Persönlichkeit dazu. Diversität sagt per se jedoch nichts darüber aus, ob sie für alle gewinnbringend genutzt wird. Damit diese zu mehr Innovation führt, muss sich ein Unternehmen auch mit Inklusion auseinandersetzen. Das bezieht sich vor allem darauf, wie Teams zusammenarbeiten, ob verschiedene Perspektiven und Ideen Platz finden und ob unter den Mitarbeitenden Chancengleichheit besteht.

Inwiefern greift diese Datenbeschaffung in die ­Privatsphäre der Mitarbeitenden ein, unter anderem durch Fragen zur sexuellen Orientierung?

Mitarbeitende geniessen bei der Befragung Daten- und Persönlichkeitsschutz. Die Daten werden anonym erhoben und bei weniger als zehn Mitarbeitenden findet keine Auswertungen statt. Deshalb sind Rückschlüsse auf Einzelpersonen nicht möglich. Die Teilnahme an der Befragung ist zudem freiwillig und Fragen, die jemand nicht beantworten möchte, können übersprungen werden. Um beim gewählten Beispiel der sexuellen Orientierung zu bleiben: Ein Unternehmen muss nicht wissen, welche sexuelle Orientierung oder Geschlechts­identität Mitarbeitende haben. Hingegen ist es relevant, ob diese Gruppe im Unternehmen diskriminiert wird oder sich wenig inkludiert fühlt. Mitarbeitende können mit ihrer Befragungsteilnahme die eigene Arbeitssituation verbessern und dazu beitragen, dass sich ihr Unternehmen positiv entwickelt.

Wie divers sind Schweizer Unternehmen im Vergleich zum Ausland?

In der Schweiz existieren keine breit angelegten Studien, welche die Vielfalt der Belegschaften von Schweizer Firmen messen. Deshalb ist auch ein internationaler Vergleich schwierig. Für einen repräsentativen Benchmark müssten mehr Daten vorliegen. In meiner Wahrnehmung sind Schweizer Firmen sehr unterschiedlich aufgestellt. Das bedeutet auch, dass bei der Diversität eine grosse Heterogenität besteht.

Müsste Diversität gesetzlich geregelt werden?

Unabhängig von der Gesetzeslage ist es im Interesse jedes Unternehmens, Diskriminierungsfreiheit und Chancengleichheit sicherzustellen. Eine unternehmensspezifische interne Quote kann somit als Fördermassnahme zur Erreichung von Diversity-Zielen sinnvoll sein. So zwingt diese, andere Denkmuster anzunehmen und Bisheriges zu überdenken: beispielsweise Stelleninserate künftig anders zu gestalten, um andere Zielgruppen zu erreichen. Dennoch sollte sich das Diversity Management einer Firma nicht ausschliesslich mit einzelnen Zielgruppen beschäftigen, sondern eine ganzheitliche Sichtweise einnehmen. Dazu gehören, Chancengleichheit zu schaffen und eine inklusive Unternehmens- und Führungskultur zu pflegen. Mit Quoten allein ist es nicht getan. Ebenso wenig ist eine vielfältige Belegschaft ein Garant für den Unternehmenserfolg. Erst mit einer gelebten Inklusion kann ein Unternehmen die Chancen der Vielfalt nutzen. Hat ein Unternehmen die Vorteile einer inklusiven Kultur erkannt, ist das meist die Motivation, noch diverser zu werden.

Was gibt es in Sachen Diversität noch zu tun?

Die Herausforderung liegt im Umgang des Unternehmens mit dieser Vielfalt. Zum Beispiel, ob und aus welchen Gründen Diversität vom Unternehmen gewünscht ist. In diesem Zusammenhang stellen sich weitere Fragen. Etwa: Sind die Onboarding-Prozesse barriere- und diskriminierungsfrei? Wie steht es um die interne Entwicklung und die Lohngleichheit? Werden Meinung und Wissen der Mitarbeitenden gleichermassen geschätzt? Können sie ihre unterschiedlichen Perspektiven einbringen und werden diese auch berücksichtigt?

Inwiefern ist die Pandemie eine Diversitäts-Bremse?

Gar nicht. Aus meiner Sicht hat die Bedeutung von Diversität und Inklusion noch zugenommen, da die Pandemie viele Diversitäts-Zusammenhänge sichtbar macht. So hat die Krise gezeigt, dass Gleichstellungserrungenschaften plötzlich wieder auf der Kippe stehen. Etwa durch die weitgehenden Kita- und Schulschliessung und die (Neu-)Aufteilung von Betreuungsarbeit und Homeschooling zwischen den Elternteilen. Oder auch weil Home­schooling in benachteiligten Familien zu Chancenungleichheit in der Bildung führt. Wir alle waren gezwungen, uns auf eine ungewohnte Weise mit Themen wie Solidarität, Gemeinwohl und Verantwortung auseinanderzusetzen. So gesehen würde ich nicht sagen, dass Corona die Diversität ins Stocken gebracht hat, sondern uns vielmehr gezwungen hat, eine andere Sicht auf dieses Thema einzunehmen.

Wie trägt nun der St. Gallen Index zur Diversität bei?

Der Index ist in erster Linie ein Inklusionsindex, der Verbesserungspotenziale aufzeigt und Zusammenhänge sichtbar macht. So erkennt ein Unternehmen, ob bestimmte Gruppen im Unternehmen weniger Chancengleichheit erfahren, als andere – beispielsweise Frauen, Männer, jüngere oder ältere Mitarbeitende, Teilzeit- oder Vollzeitarbeitende, Arbeitskräfte mit und ohne Führungsfunktion oder in Ausbildung, Menschen mit oder ohne Beeinträchtigung. Darüber hinaus werden Zusammenhänge zur Gesundheit, Arbeitszufriedenheit oder Produktivität sichtbar. Mit diesen Informationen kann ein Unternehmen am richtigen Ort ansetzen und Verbesserungsmassnahmen einleiten.

Das Tool: St. Galler Inclusion Index

Der «St. Gallen Inclusion Index» dokumentiert vier Dimensionen der Inklusion: Zugehörigkeit, Authentizität, Perspektivenvielfalt und Chancengleichheit. Die Werte werden auf den Ebenen Gesamtunternehmen, Abteilungen und Teams ausgewiesen und können im Hinblick auf verschiedene demografische Gruppen analysiert werden. Mittels Benchmark sieht das Unternehmen zudem, wie es im Vergleich zu anderen Unternehmen dasteht. Daraus lassen sich konkrete Handlungsfelder und Massnahmen ableiten. Alle Mitarbeitenden erhalten im Abschluss an die Umfrage ein individuelles Feedback mit konkreten Ergebnissen und Tipps. Das Instrument steht allen Unternehmen zur Verfügung. Empfohlen wird dessen Nutzung ab einer Mitarbeitendenzahl von 100 Personen. Die Befragung sollte alle zwei Jahre durchgeführt werden, um festzustellen, inwieweit die bereits getroffenen Mass­nahmen eine Wirkung zeigen und wohin sich das Unternehmen entwickelt hat. Die Tool-Kosten sind abhängig von der Anzahl genutzter Module und bewegen sich zwischen 7 und 25 Franken pro Mitarbeitenden. Das Instrument wird laufend angepasst. Ein besonderes Augenmerk richtet das Team von «MindStep» und der Universität St. Gallen auch künftig auf Modularität, die einen massgeschneiderten Einsatz in Unternehmen ermöglicht. Ein weiterer Ausbauschritt ist die webbasierte «Business-Intelligence-Lösung» zur automatischen Verknüpfung von objektiven HR-Daten wie beispielsweise Produktivitäts- oder ­Innovations­kennzahlen und den subjektiven Einschätzungen der Mitarbeitenden aus der Diversity-and-Inclusion-Analyse. Die Resultate werden in einem Human Capital Cockpit in Form von Kennzahlen, Handlungsfeldern und Prognosen der Unternehmensleitung zur ­Verfügung gestellt. mindstep.swiss

 

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Christine Bachmann 1

Christine Bachmann ist Chefredaktorin von Miss Moneypenny. cb@missmoneypenny.ch

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