Checkliste

Coaching im digitalen Zeitalter

Wie sinnvoll ist es, die moderne Informations- und Kommunikationstechnologie für unsere Coachings zu nutzen? Das fragen sich zurzeit viele Coaches – unter anderem, weil sich neben den Lebens- und Arbeitsbedingungen ihrer Klienten deren Kommunikationsgewohnheiten verändert haben.

Für die meisten berufserfahrenen Coaches gilt: Sie haben ihr Coaching-Handwerk in vielen Präsenztrainings erlernt, und in zahlreichen Coaching-Sitzungen, in denen ihnen der Coachee – also die Person, die gecoacht wurde – gegenüber sass. Hieraus erwuchs ihre innere Überzeugung: Zum Coachen bedarf es eines persönlichen Treffens und Kontakts.

Ein persönliches Sich-Begegnen und Miteinander-Sprechen ist sehr hilfreich beim Coachen, denn es ermöglicht, ein intensiveres Wahrnehmen und somit oft auch angemesseneres Reagieren auf die gecoachte Person als zum Beispiel ein Kontakt per Mail oder Telefon; zudem erleichtert es den Beziehungs- sowie Vertrauensauf- und -ausbau.

Coaching-Sitzungen lösen bei Menschen oft intensive innere Prozesse aus: Es wird etwas «bewegt». Diese innere Bewegung artikuliert sich ausser durch verbale Äusserungen unter anderem in einer veränderten Stimmlage, Sprechgeschwindigkeit und Lautstärke. Und noch deutlicher zeigt sie sich oft in der Körpersprache – zum Beispiel in einer veränderten Sitzposition/Körperhaltung, nervösen Arm- oder Beinbewegungen, Muskelanspannungen.

Solche Beobachtungen signalisieren dem Coach, welche Prozesse im Coachee ablaufen. Sie helfen ihm, den Coachee beim Finden der Lösung zu begleiten. Sie ermöglichen es ihm zudem, festzustellen, ob der Coachee sich noch in einem Problemzustand befindet oder schon in einer Lösungsphysiologie. Seine Wahrnehmungen und hieraus resultierenden Vermutungen kann der Coach dem Coachee spiegeln und so neue Impulse in das «System» des Gegenübers geben. Dies alles sind Gründe, die für eine persönliche Begegnung von Coach und Coachee sprechen.

Nachteile des klassischen Coachings

Das klassische Coaching hat jedoch auch Nachteile. So vergeht zum Beispiel nach einer Coachingsitzung stets eine mehr oder minder lange Zeit, bis sich der Coach und der Coachee erneut treffen. Treten in dieser Zeit Fragen auf, die der Coachee gerne schnell besprechen möchte, steht der Coach oft nicht zeitnah zur Verfügung. Das heisst, der Coachee muss häufig bis zum nächsten Termin warten, bis er seine Frage stellen kann – sofern er sie bis dahin nicht vergessen hat.

Hinzu kommt: Heute ist der Faktor Zeit oft der zentrale Engpassfaktor beim Coachen – nicht nur auf Seiten des Coachees, der häufig einen sehr engen Terminkalender hat und sich eine schnelle Lösung seines «Problems» wünscht. Auch beim Coach ist der Terminkalender meist der zentrale Engpass, wenn es darum geht, wie viele Coachees er begleiten und wie intensiv er diese unterstützen kann.

Die modernen Medien für das Coaching nutzen

Deshalb stellen sich die Fragen:

  • Sind heute andere Coaching-Settings sinnvoll als in der Vergangenheit?
  • Empfiehlt es sich, verstärkt auf Coaching-Designs zu setzen, die Präsenz-Coachings, bei denen sich der Coach und Coachee treffen, mit Coachingformaten verknüpfen, bei denen der Coach und der Coachee mit Hilfe der elektronischen Medien miteinander kommunizieren – ähnlich wie dies im Bereich Weiterbildung bei Blended Learning-Konzepten bereits geschieht?

Für solche Designs stellt die moderne Kommunikationstechnologie Coaches viele Möglichkeiten bereit.

Email-Coaching

Diese Form der Kommunikation praktizieren bereits viele Coaches. Das heisst, sie stellen den Coachees zwischen den Coachingsitzungen zum Beispiel per Mail den Transfer sichernde Aufgaben und beantworten Fragen, die beim Coachee auftauchen.

Vorteile:

  • ermöglicht einen persönlichen Kontakt zwischen den Coaching-Treffen
  • sorgt dafür, dass das Coaching-Anliegen zwischen den Treffen nicht in Vergessenheit gerät
  • Fragen können zeitnah beantwortet werden

Nachteile:

  • Coach und Coachee sehen und hören sich hierbei nicht
  • rein schriftliche Kommunikation erschwert Wahrnehmung inner-persönlicher Prozesse beim Coachee; Fehlinterpretationen sind deshalb leicht möglich
  • ein echter Dialog findet anders als beim persönlichen Coaching nicht statt

WhatsApp-Coaching

Letztlich eine spezielle Form des Email-Coachings, bei der über Smartphones jedoch auch kurze Sprach- und Video-Nachrichten versendet werden können.

Vorteile:

  • Coachee hört zwischenzeitlich auch mal die Stimme des Coaches und sieht ihn (sowie umgekehrt); das stärkt die persönliche Beziehung
  • Sprach- und Videonachrichten transportieren auch Signale über das «Befinden» des Coachees

Nachteile:

  • eher für Kurznachrichten geeignet; ungeeignet zum Bearbeiten komplexer Probleme, Fragestellungen; auch weil kein echter Dialog erfolgt.

Video-Coaching

Coaching mit Hilfe solcher visuellen Medien wie Skype, und Facetime.

Vorteile:

  • ermöglicht ein Coachen von Einzelpersonen und Teams auf Distanz, bei dem das Gegenüber und seine Reaktionen auch akustisch und visuell wahrgenommen werden
  • Reisezeiten entfallen
  • kurzfristig planbar
  • echter Dialog, bei dem ein spontanes Reagieren auf das Gesagte und Wahrgenommene möglich ist.

Nachteile:

  • Wahrnehmung des Gegenübers ist auf das von der Kamera Aufgezeichnete beschränkt

Telefon-Coaching

Auch diese Form des Coachings wird von vielen Coaches schon selbstverständlich zum Coachen von Einzelpersonen und Teams genutzt.

Vorteile:

  • ähnlich wie beim Video-Coaching, nur dass die visuelle Wahrnehmung entfällt
  • Medium Telefon steht (fast) jederzeit zur Verfügung
  • niedrige Hemmschwelle; Coachees sind den Umgang mit dem Telefon gewohnt

Nachteile:

  • Wahrnehmung der körperlicher Reaktionen des Gegenübers entfällt weitgehend, sofern diese sich nicht über die Stimme artikulieren
  • höheres Risiko von Fehleinschätzungen als bei Video-Coaching

Apps für den Coachingprozess

Viele Menschen nutzen Apps bereits ganz selbstverständlich zum Sprachen-lernen oder als Selbst-Coaching-Instrumente – zum Beispiel, wenn es darum geht, regelmässig Sport zu treiben oder das Gewicht zu reduzieren.

Auch klassische Coachingprozesse lassen sich mit Apps zeitgemässer und dynamischer gestalten. So können zum Beispiel mit Hilfe einer App dem Coachee alle relevanten Infos über den Coachingverlauf, die getroffenen Vereinbarungen usw. zur Verfügung gestellt werden. Zudem kann der Coach dem Coachee zwischen den Sitzungen Aufgaben stellen, die dieser, wenn er hierfür Zeit und Musse hat, bearbeiten kann. Ausserdem können sich via App mehrere Coachees zu einer Gruppe zusammenschliessen und sich in einem Chat-Raum über Erfahrungen und mögliche Problemlösungen austauschen. Und der Coach kann diesen Prozess, sofern gewünscht, moderierend und Input gebend begleiten.

Coaches müssen mit der Zeit gehen

Coaches haben heute viele Möglichkeiten, Coaching-Designs zu entwerfen, die Präsenz-Coachings mit Coachingformen, die die moderne Informations- und Kommunikationstechnik nutzen, verknüpfen – ähnlich wie dies im Bereich Weiterbildung in den Blended-Learning-Konzepten bereits geschieht. Welche Verknüpfungen zielführend sind, gilt es ziel-, bedarfs- und themenabhängig sowie abhängig davon, wer die zu coachenden Personen sind, zu entscheiden.

Zum Teil macht die moderne Informations- und Kommunikationstechnik ein Coachen auch erst möglich – so zum Beispiel, wenn der Coach und der Coachee weit voneinander entfernt wohnen. Entsprechendes gilt bei Team- und Gruppen-Coachings, bei denen die Teilnehmer an unterschiedlichen Orten leben, so dass ein persönliches Treffen mit sehr hohen Reisekosten und langen Reisezeiten verbunden wäre. Deshalb sollten sich Coaches intensiv mit den Coachingmöglichkeiten befassen, die ihnen die moderne Technik bietet.

 

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Uwe Reusche ist einer der beiden Geschäftsführer des ifsm Institut für Sales & Managementberatung, das unter anderem ein «Mindful Leadership» genanntes Entwicklungsprogramm für Führungskräfte im digitalen Zeitalter anbietet.

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