Das braucht es zur Selbstorganisation
Mitarbeitende und Teams, die sich selbst organisieren, fallen nicht vom Himmel. Sie müssen sich entwickeln. 5 Punkte, wie Unternehmen eine Kultur schaffen, in der Selbstorganisation gedeiht.
Wenn Mitarbeitende eigenständig entscheiden dürfen und können, entlastet das Führungskräfte. (Bild: 123RF)
Wer bereitet Führungskräften weniger Arbeit? Mitarbeitende, die sie permanent anleiten müssen – oder Mitarbeitende, die sich und ihre Arbeit weitgehend selbst organisieren? Natürlich der zweite Mitarbeitende-Typ. Das Gleiche gilt für Teams.
Doch Mitarbeitende und Teams, die sich und ihre Arbeit selbst organisieren können, fallen nicht vom Himmel: Sie entwickeln sich allmählich. Zumindest, wenn das Ziel lautet: Die Mitarbeitende und Teams sollen nicht nur Routinearbeiten eigenverantwortlich erfüllen, sondern auch neue Aufgaben, die sie nicht nach Schema F abarbeiten können.
Genau solche Mitarbeitende und Teams brauchen Unternehmen zunehmend in einer komplexen Welt, die sich schnell verändert. Zumindest, wenn sie ...
- ... schnell und flexibel auf Marktveränderungen und veränderte Kundenwünsche reagieren möchten – Stichwort Agilität.
- ... ihre Innovationskraft und -geschwindigkeit steigern möchten.
Selbstorganisation gezielt einsetzen
Ist Selbstorganisation für alle Aufgaben sinnvoll? Nein! In jedem Unternehmen gibt es Aufgaben, die nach definierten Standards erledigt werden müssen. So zum Beispiel, damit das Unternehmen gesetzliche Vorgaben einhalten oder den Kunden zeit- und ortsunabhängig stets die gewünschte Qualität gewährleisten kann.
Unternehmen, die beispielsweise ihre Agilität erhöhen möchten, um zukunftsfit zu bleiben, müssen zunächst folgendes analysieren:
- In welchen Bereichen unserer Organisation brauchen wir eine höhere Agilität?
- Zum Erfüllen welcher Aufgaben brauchen wir eine höhere Agilität?
- In welchen Bereichen müssen unsere Mitarbeiterinnen und Teams deshalb über eine hohe Kompetenz zur Selbstorganisation und Selbstführung verfügen?
Reif für Selbstorganisation?
Sind diese Fragen beantwortet, sollte ein Unternehmen, bezogen auf die betreffenden Bereiche, sich die Frage stellen: Wie reif ist der Bereich für eine Selbstorganisation? Denn damit sich Mitarbeitende und Teams weitgehend selbstständig führen und organisieren, müssen gewisse Voraussetzungen erfüllt sein.
Voraussetzung 1: Die Mitarbeitende sind bereit.
Die Mitarbeitende und Teams müssen dazu bereit und fähig sein, Verbesserungschancen eigenständig wahrzunehmen und zu nutzen. Das Gleiche gilt für Probleme: Auch diese müssen sie in der Lage sein zu erkennen, zu analysieren und zu lösen. Sonst überfordert sie die Aufforderung zur Selbstorganisation – insbesondere, wenn ihnen ihr Arbeitgeber nicht die nötigen Ressourcen zur Verfügung stellt.
Voraussetzung 2: Es herrscht eine Kultur des Vertrauens.
In dem Bereich muss eine Vertrauenskultur bestehen – und zwar hierarchie- und funktionsübergreifend. So müssen die Führungskräfte etwa das Vertrauen haben, dass die Mitarbeitende und Teams über die Kompetenz verfügen, die ihnen übertragenen Aufgaben den angestrebten Zielen gemäss zu erfüllen. Sonst übertragen sie ihnen weder die Entscheidungs-, noch Handlungsbefugnisse, die sie für ein eigenständiges Handeln brauchen. Zudem müssen die Mitarbeitende darauf vertrauen, dass ihre (Team-)Kollegen und Kolleginnen die ihnen übertragenen (Teil-)Aufgaben wie vereinbart ausführen. Sonst sind Konflikte vorprogrammiert.
Zugleich müssen jedoch die Mitarbeitende und Teams darauf vertrauen, dass ihre Vorgesetzten hinter ihnen stehen – und sie zum Beispiel, wenn sie beim Lösen eines Problems oder einer Aufgabe begründet vom gewohnten Vorgehen abweichen und scheitern, nicht sofort am Pranger stehen. Fehlt dieses Vertrauen, werden sie beim Lösen herausfordernder Aufgaben selten neue Wege gehen; oder sie stehen beim kleinsten Problem bei ihrer Führungskraft auf der Matte und fragen «Dürfen wir...?» oder «Sollen wir...?». So verändert sich in der Organisation nichts.
Voraussetzung 3: Die Mitarbeitende haben alle Infos, die sie brauchen.
Eine weitere Grundvoraussetzung für Selbstorganisation: Mitarbeitern beziehungsweise Teams stehen alle Informationen zur Verfügung, die sie für eigenständiges Entscheiden brauchen. Dies bezieht sich nicht nur auf die nötigen Fach-, Markt- und Kundeninfos, sondern auch auf die Zielsetzungen des Unternehmens sowie seine strategische Marschrichtung.
Fehlen den Mitarbeitenden und Teams diese Infos, fehlt ihnen die Orientierung. Sie können nicht entscheiden, was es zu tun gilt, um die übergeordneten Ziele zu erreichen. Sie wissen auch nicht: Bei welchen Problemen und Entscheidungen sollten wir Rücksprache mit unseren Chefs halten, weil diese eventuell mit den Zielsetzungen und der Strategie des Unternehmens kollidieren?
Selbstorganisation braucht die passende Kultur
Obige Ausführung zeigen: Wollen Unternehmen Selbstführung und -organisation forcieren, gehört dazu in der Regel ein Kulturwandel. Es genügt also nicht, die Prozesse zu verändern und Werkzeuge wie Scrum einzuführen. Vielmehr muss sich das Mindset aller Betroffenen und ihre Art, miteinander zu kommunizieren und zusammenzuarbeiten, ändern.
Ein solcher Change erfordert Zeit. Zudem gilt es, wie bei allen Change-Prozessen, das berühmte Tal der Tränen zu durchschreiten, bei dem scheinbar alles schlechter als früher funktioniert, weil die Betroffenen oder Beteiligten noch keine Routine haben in der neuen Art der Zusammenarbeit.
Solche Changeprozesse brauchen nicht nur starke Promotoren auf der obersten Führungsebene von Unternehmen: Die operativen Führungskräfte sind es in der Regel, die den Mitarbeitenden und Teams im Arbeitsalltag die nötige Orientierung geben und sie immer wieder für die neue Form der Zusammenarbeit motivieren müssen – unter anderem, indem sie ihnen immer wieder ...
- ... vermitteln, warum sich ein Engagement für das Ziel «mehr Selbstführung und Selbstorganisation» für die Mitarbeiter und das Unternehmen lohnt, und
- ... zeigen, welche scheinbar kleinen, jedoch sichtbaren Erfolge sie auf dem Weg zum grossen Ziel bereits erzielt haben.
Arbeiten am System statt im System
Dies ist keine leichte Aufgabe – denn auch das Selbstverständnis der Führungskräfte und ihr Führungsverhalten muss sich ändern. Noch sehen viele Führungskräfte ihre Kernaufgabe darin, Mitarbeitende anzuleiten, zu steuern und die fachliche Qualität ihrer Arbeit zu kontrollieren. Entsprechend gross ist ihre Arbeitsbelastung im Betriebsalltag.
Diese Führungsarbeit gilt es zu minimieren, indem die Führungskräfte statt im System sozusagen am System arbeiten. Hierbei hat Führung vor allem folgende Funktionen:
- Die Rahmenbedingungen für Selbstorganisation und für selbstgesteuertes Arbeiten schaffen.
- Den Mitarbeitern vermitteln, warum ein solches Arbeiten sinnvoll ist.
- Sie beim eigenverantwortlichen Handeln coachend unterstützen und begleiten.
- Ihnen die hierfür erforderlichen Infos bereit und zur Verfügung stellen.
- Ihnen, abgeleitet aus den Strategien sowie den übergeordneten Zielsetzungen des Unternehmens, die Bedeutung ihres Tuns für den Unternehmenserfolg aufzeigen.
Selbstorganisation entlastet Führungskräfte
Für diese veränderten Führungsaufgaben müssen auch die Führungskräfte qualifiziert werden. Zudem sollten auch sie, solange bei ihnen noch nicht die erforderliche Verhaltenssicherheit besteht, beim Wahrnehmen dieser Aufgaben gecoacht werden.
Für Führungskräfte bedeutet der Change-Prozess in Richtung sich selbstorganisierender und -steuernder Mitarbeiter und Teams zunächst eine Mehrbelastung. Zumindest so lange, wie sie und ihre Mitarbeitende noch keine Routine in dieser Arbeitsform haben und noch am Experimentieren sind.
Wenn die gewünschte Verhaltenssicherheit entsteht, führt sie jedoch zu einer Entlastung. Denn je stärker ihre Mitarbeitende das eigenverantwortliche Arbeiten verinnerlicht haben und je stärker sie in der Lage sind, sich selbst zu führen und organisieren, umso komplexere Aufgaben können Führungskräfte ihnen übertragen. Und umso seltener müssen sie als «Troubleshooter» korrigierend eingreifen.