Das sind die familienfreundlichsten Unternehmen
Pro Familia Schweiz zeichnete am zweiten Vereinbarkeitsgipfel die beiden IT-Unternehmen Liip AG und LerNetz AG für ihre Familienfreundlichkeit mit dem Family Score Award aus. Zuvor appellierte der Dachverband der Schweizer Familienorganisationen an die hiesigen Unternehmen, sich gegenüber Teilzeitmodellen auf allen Mitarbeiterstufen zu öffnen.
Die LerNetz AG wurde als familienfreundlichstes Unternehmen ausgezeichnet. (Fotos: zVg)
Selbstbewusst betritt die adrett gekleidete Karrierefrau das Auditorium des Berner Kursaals – Hand in Hand mit ihrem Sohn. Ihr schulpflichtiges Kind hatte aufgrund einer Lehrerkonferenz schulfrei – und es liess sich kurzfristig kein Babysitter finden. Nachdem sie ihren Nachwuchs angewiesen hat, auf einem der Stühle Platz zu nehmen, hängt die berufstätige Mutter an den Lippen der Gastredner. Währenddessen holt ihr Sohn sein Kinderbuch aus dem Rucksack, um darin fast zwei Stunden lang geduldig zu lesen.
Diese Szene war Blickfang und Sinnbild zugleich für das Spannungsfeld, das die Vereinbarkeit von Beruf und Familie mit sich bringt, dem Pro Familia Schweiz zum zweiten Mal einen Vereinbarkeitsgipfel widmete. Eric Davoine von der Universität Freiburg sowie Hans C. Werner – HR-Chef des Telekommunikationskonzerns Swisscom – gingen an diesem zweiten Vereinbarkeitsgipfel des Dachverbandes der Schweizer Familienorganisationen intensiv der Frage nach, wie es Unternehmen gelingt, qualifizierte Arbeitskräfte für sich zu gewinnen, diese zu fordern und zu fördern, ihnen aber auch die richtige Balance zwischen Beruf und Privatleben zu ermöglichen.
Politische Grosswetterlage zwingt zum Umdenken
Das Fazit dieses Diskurses mit über 120 Gästen aus der ganzen Schweiz: Die junge Generation sehnt sich nach einer sinnhaften Tätigkeit und hoher Flexibilität im Arbeitsalltag – zum Wohle des eigenen Privatlebens. Darüber hinaus wünschen sie sich einen Vorgesetzten, welcher in der Rolle als Coach aufblüht. Diese Botschaft hätten einige Schweizer Unternehmen sehr wohl verstanden, wie Hans C. Werner in seinem Referat versicherte. So hätten weitsichtige Organisationen längst damit begonnen, ihre Unternehmenspolitik zu überdenken – allen voran beim Thema «Teilzeitarbeit».
Dieser Sinneswandel erfolgt jedoch nicht ganz freiwillig: Vielmehr sehen sich Schweizer Unternehmen zum Handeln gezwungen – gerade nach dem «Ja» zur Masseneinwanderungs-Initiative und dem Umstand, dass hierzulande in Zukunft über 44'000 Arbeitsplätze pro Jahr neu besetzt werden müssen. «Ich denke, dass unsere Gesellschaft aufgrund der Digitalisierung in allen Bereichen – also auch in der Güter- und Dienstleistungsproduktion – die durch die Babyboomer frei werdenden Plätze zumindest teilweise ausgleichen kann», relativiert Laurent Wehrli. Er ist Präsident von Pro Familia Schweiz und FDP-Nationalrat.
Zeit für den Wandel ist gekommen
Darüber hinaus zeigte sich Wehrli optimistisch, dass «der Anstieg der Frauenerwerbsquote und neue Karrieremöglichkeiten für Frauen» zur Lösung des Engpasses beitragen werden. Allerdings unter der Voraussetzung, dass die Arbeitsangebote die Vielfalt der Lebensentwürfe und die Erwartungen von Menschen mit familiären Verpflichtungen berücksichtigen. Will heissen: Vorgesetzte wie auch Personalverantwortliche müssten damit beginnen, die persönlichen Wünsche und Bedürfnisse der Mitarbeitenden zu respektieren und zu berücksichtigen.
Sylvie Durrer, Direktorin des Eidgenössischen Büros für Gleichstellung von Frau und Mann, unterstützte diese Äusserung, indem sie in ihrer Rede Schweizer Unternehmen dazu aufforderte, den Mitarbeitenden Teilzeitmodelle in allen Positionen und für alle Geschlechter zu ermöglichen. «Because it’s 2015», fügte sie in Anspielung auf den kanadischen Premierminister Justin Trudeau an. Dieser hatte nach seinem Amtsantritt als Premierminister vergangenen November mit der Regierungsbildung für eine Überraschung gesorgt, indem er 15 Frauen in das 30-köpfige Kabinett berief. Als sich eine Reporterin bei Trudeau erkundigte, weshalb ihm denn die Parität der Geschlechter ein Anliegen sei, antwortete dieser trocken: «Because it’s 2015».
IT-Unternehmen erhalten «Family Score Award»
Auf die intensive Debatte, mit welchen «Vereinbarkeits-Instrumenten» sich qualifiziertes Personal rekrutieren und später an die Unternehmen binden lässt, folgte der eigentliche Programmhöhepunkt: Die erstmalige Verleihung des «Family Score Awards 2015» durch Pro Familia Schweiz. Dabei wurde der Award nicht etwa von einer Jury vergeben, sondern die Mitarbeitenden selbst erhielten die Gelegenheit, das eigene Unternehmen in einer von Pro Familia Schweiz ausgearbeiteten Mitarbeiterbefragung auf dessen Familienfreundlichkeit zu testen. Das Resultat: Die LerNetz AG und die Liil AG sind die «familienfreundlichsten Unternehmen» des Landes.
Die LerNetz AG mit 27 Mitarbeitenden ist auf die didaktische Konzeption und Umsetzung von interaktiven Lernmedien und Blended Learning-Angeboten für Unternehmen, Verwaltungen, NGOs und für den Einsatz in Schulen spezialisiert.
Die Liip AG ihrerseits gehört zu den führenden Schweizer Unternehmen in der Konzeption und Umsetzung individueller Webanwendungen und Apps nach agilen Methoden. In den Räumlichkeiten in Zürich, Lausanne, Bern, Fribourg und St. Gallen arbeiten 126 Mitarbeitende – davon 39 mit Familie. Gerhard Andrey, Partner von Liip, führt die Auszeichnung im Video-Interview mit HR Today denn auch darauf zurück, dass sein Unternehmen neben dem Mutterschaftsurlaub seinen frischgebackenen Vätern einen vierwöchigen Vaterschaftsurlaub anbiete.