Dem dauerhaften Change die Angstkomponente nehmen
Veränderungsprozesse benötigen bekanntlich eine gute begleitende Kommunikation. Und Firmen, die aus den Veränderungsprozessen nicht mehr herauskommen, brauchen eine Kommunikation, welche den Mitarbeitenden Stabilität zu geben vermag.
Ein Verkäufer im Laden eines Telekommunikationsanbieters ist ständig am Lernen: Um die Kunden kompetent beraten zu können, muss er stets über die neuen Modelle und Anwendungen auf dem Laufenden sein. In mehreren Branchen ist dieser Zustand des ständigen Lernens beziehungsweise der ständigen Veränderung in den letzten Jahren Realität geworden: in der Telekommunikation, der Computer-, der Unterhaltungsindustrie – und nicht nur dort. Der schnelllebige Markt führt zu immer neuen Produkten und damit oft auch zu ständig neuen Prozessen und Strukturen.
Das ist nicht für alle negativ. Der Organisationsentwickler und Pädagoge Volker Kiel, Dozent und Berater Leadership, Coaching und Change Management am Institut für Angewandte Psychologie der ZHAW, begegnet in Firmen immer wieder Menschen, die das Bedürfnis haben, zu gestalten. Doch für viele Berufstätige ist fehlende Stabilität ein Grund für Unzufriedenheit und Ängste. Darum sollten betroffene Unternehmen durch Kommunikation und weitere Massnahmen eine Kultur schaffen, in der die Mitarbeitenden bereit sind, die ständigen Veränderungen nicht nur zu ertragen, sondern nach Möglichkeit auch mitzugestalten.
Abgenutzte Floskeln wie «Change als Chance sehen» sind zu vermeiden
Der erste Schritt setzt bei den Begrifflichkeiten an. «Change», «Change Management» und «Veränderung» sind bei vielen negativ besetzt. Es gilt also aufzuzeigen, dass Veränderung auch positiv sein kann. Ein Unternehmen könnte zum Beispiel, so Change-Experte Volker Kiel, seine Geschichte durchleuchten und den Mitarbeitenden Erfolgsstorys aufzeigen, die durch Veränderungsprozesse ermöglicht wurden. Und es kann die heutigen Arbeitsbedingungen mit jenen der Gründungszeiten vergleichen und so positive Veränderungen für die Angestellten hervorheben.
Auch für Andreas Moser, CEO der auf Change spezialisierten Bernd Remmers Consultants AG, startet die Kommunikation mit dem passenden Wording: «Weil für viele ‹Change› negativ besetzt ist, spreche ich mit meinen Klienten über Veränderung im Sinne von Entwicklung, Weiterführung und Zukunftsgestaltung.» Und das in einfachen Worten. Denn ein Shopleiter oder ein Sachbearbeiter könne herzlich wenig anfangen mit Sätzen wie «Wir wollen eine Steigerung des EBIT durch ein professionelles Performancemanagementsystem des HR». Auch abgenutzte Floskeln wie «Change als Chance sehen» sind zu vermeiden.
Dass Change negativ besetzt ist, hat gemäss Volker Kiel auch damit zu tun, dass parallel zu den Veränderungen zu wenig auf stabilisierende Faktoren geachtet werde. Unternehmen oder Abteilungen, deren Strukturen und Prozesse in ständigem Wandel sind, können auf unterschiedlichen Ebenen für Stabilität sorgen. Kiel: «Wenn Organisationen eine Kultur schaffen, mit der sich die Mitarbeitenden identifizieren können, schaffen sie dadurch Stabilität. Zu dieser Kultur gehören Vertrauen, Respekt und Interesse am einzelnen Menschen.» Werte wie das Interesse für die Einzelperson dürfen ruhig auch handfest ausgedrückt werden. Etwa indem Getränke und vielleicht auch Früchte gratis zur Verfügung gestellt werden.
Auch Beziehungen sind stabilisierende Faktoren. «Organisationen können die Zugehörigkeit fördern, indem sie Mentoringprogramme unterstützen», so Volker Kiel, «und indem sie sicherstellen, dass jeder Mitarbeiter einen stabilen Ansprechpartner hat, mit dem er sich abteilungs- und hierarchieübergreifend austauschen kann.» Auch attraktive Aufenthaltsräume, in denen sich die Menschen gerne aufhalten, fördern den kollegialen Austausch über Abteilungsgrenzen hinweg.
Aufzeigen, was sich ändert und was beim Alten bleibt
Andreas Moser kennt solche «Stabilitätszonen in turbulenten Zeiten» aus seiner Zeit in der Telekommunikationsindustrie: «Wir haben den Leuten regelmässig aufgezeigt, welche Veränderungen zu welchen Erfolgen führten. Gleichzeitig haben wir aber auch die Dinge hervorgehoben, die wir nicht ändern, weil sie gut sind. Das waren Ankerpunkte, an denen sich die Menschen orientieren konnten.» Diese Informationsveranstaltung wurde zu einem Ritual, das alle drei Monate stattfand, das auch eine gewisse Ruhe brachte. Formale Stabilität bei inhaltlicher Instabilität nennt der Change-Fachmann Moser dieses Prinzip. Er erlebte aber auch das Gegenteil, nämlich wenn ein solcher Anlass verschoben wurde: «Das war tödlich, das löste sogleich Irritationen aus.»
Gute Erfahrungen mit einer kommunikativen Massnahme machte das Farbtechnologieunternehmen X-Rite/Pantone. Nach drei turbulenten Jahren – Merger 2006, Zukauf mit Fremdfinanzierung und anschliessender Reorganisation 2008, Finanzkrise, Bonuskürzungen – war die Stimmung am Tiefpunkt. Das international aufgestellte Unternehmen mit 150 Mitarbeitenden in Regensdorf hatte bereits vor 2010 einige Anläufe unternommen, seinen Strategieplan intern zu kommunizieren. Aufgrund von Marktänderungen wurde der Plan allerdings mehrfach modifiziert und schlussendlich nicht konsequent kommuniziert. Anfang 2010 jedoch setzten sich die Verantwortlichen intensiv mit dem Strategieplan auseinander, ein 100-seitiges Paper wurde erstellt, darauf allen Mitarbeitenden eine kürzere Fassung präsentiert: «Es gab Präsentationen, Calls mit dem CEO, Videos mit dem Management und weitere begleitende Massnahmen», sagt Hanspeter Simmer, HR-Leiter bei X-Rite. Und seither folgt alle drei bis vier Monate ein Update, wo man gerade stehe.
Diese Kommunikationsmassnahme habe, neben der inzwischen wieder positiven wirtschaftlichen Situation, die Stimmung im Unternehmen spürbar verbessert. «Wir haben transparent, ehrlich und auf mehreren Kanälen kommuniziert», so Simmer. Zwar sei es für manche Leute immer noch schwierig zu akzeptieren, dass immer mehr ihrer Produkte in China produziert werden. Aber dank der Kommunikation sei nun für alle besser nachvollziehbar, warum. «Und dank dem Strategieplan wissen alle, dass eben nicht nur Produkte ausgelagert werden, sondern dass wir zum Standort Schweiz stehen und hier neues Know-how aufbauen.»
Wer nur beruhigen will, verliert die Glaubwürdigkeit
Wenn die Mitarbeitenden den Sinn hinter Veränderungen sehen, können sie diese nachvollziehen und sind, laut Volker Kiel, «bereit, viel zu leisten». Dieser Sinn soll ehrlich kommuniziert werden. Kiel: «Wenn es darum geht, die Kapitalgeber zu halten und damit das Überleben der Firma zu sichern, dann ist eben das der Sinn – etwas anderes zu kommunizieren wäre unglaubwürdig.»
Während mit regelmässiger Kommunikation viel erreicht werden kann, führen gewisse Kommunikationsfehler zu Veränderungsresistenz. Insbesondere Versprechungen, die sich unter Umständen nicht erfüllen: Nach dieser Veränderung kehrt Ruhe ein; nach dieser Veränderung wirst du wahrscheinlich zum Teamleiter befördert; wir bauen keine Arbeitsplätze ab. Solche Sätze sollten die Menschen beruhigen, führen aber letztlich oft zu einem Glaubwürdigkeitsverlust.
Was kann das HR tun, abgesehen von der Begleitung der Kommunikationsprozesse? «Ein erster Schritt ist, bei der Rekrutierung Menschen mit dem Bedürfnis nach Gestaltung zu berücksichtigen und der Fähigkeit, sich flexibel auf verändernde Bedingungen einzustellen», sagt Volker Kiel. Auch das Anbieten von (externen) Coachings für Einzelpersonen kann eine Möglichkeit sein, wie dies etwa X-Rite praktiziert.
Selbstmanagement fördert Stabilität im Beruf und Privatleben
Und schliesslich kann das HR mithelfen, eine Kultur zu fördern, welche die persönliche Stabilität – auch im Privatleben – der Angestellten unterstützt: «Die Fähigkeit zum Selbstmanagement sollte gefördert werden», so Kiel, «und wer seine Leistung erbracht hat, soll auch mal um 15 Uhr gehen dürfen, um seine persönliche Lebensbalance aufrechterhalten zu können.»
Ist Change zum Normalzustand geworden, geht es auch weiterhin darum, den Dialog zu pflegen, den Sinn der Veränderungen regelmässig zu kommunizieren. «Wenn das Dreieck Kommunikation, HR und Linie in einem Unternehmen optimal spielt», fasst Andreas Moser zusammen, «kann man Change optimal begleiten.»
Permanenter Change – und wie ihn die Swisscom bewältigt
Von permanentem Change betroffen sind Firmen, die sich in einem schnell verändernden Marktumfeld befinden. Um im Wettbewerb mithalten zu können, passen sie nicht nur Produkte/Dienstleistungen, sondern auch interne Prozesse und Strukturen immer wieder an. Es kann dabei auch zu Restrukturierungen kommen, doch geht es beim ständigen Change in der Regel um weniger radikale Eingriffe. Charakteristisch ist, dass die Menschen innerhalb des Unternehmens beziehungsweise innerhalb der betroffenen Abteilungen ständig Anpassungsleistungen erbringen. Wie diese im Detail aussehen, hängt vom jeweiligen Marktumfeld ab.
In der Telekommunikationsbranche ist eine der grossen Herausforderungen die Ungewissheit über die Entwicklung unserer Kommunikationsmittel und -gewohnheiten. «Keiner weiss genau, wie wir in fünf Jahren kommunizieren werden und welche Ansprüche an Service, Netzverfügbarkeit und Sicherheit erfüllt sein müssen», sagt Boris Billing, Head of People & Organizational Development bei der Swisscom Schweiz. «Früher hiess Change Management: ‹Wir sind bei Punkt A, und wir wollen in drei Jahren bei Punkt B sein.› Heute können wir den Punkt B nur noch annäherungsweise bestimmen – und gehen wir von Punkt A auch nur einen Schritt in Richtung B, verändert sich B sogleich.» Boris Billing spricht von einer Reise mit sich ständig änderndem Ziel.
Die grossen Fragen, die sich dabei stellen: Wie schafft es die Swisscom, dass die Mitarbeitenden diese Reise mit ungewissem Ausgang jeden Tag wieder aufs Neue in Angriff nehmen ohne Frust über die weniger vorhandene Sicherheit? Und wie können neue Zusammenarbeitsformen gefunden werden? Denn darum geht es letztlich: um die interdisziplinäre Arbeit über die Teamgrenze hinaus, die neue Perspektiven ermöglicht und damit zu Lösungen führt, die auch die Kunden von morgen zufriedenstellen. Definitive Antworten gibt es nicht. Statt dessen werden diese Fragen im Unternehmen immer wieder gestellt. «Wir reflektieren diese Themen in Workshops, in abteilungsübergreifenden Dialogveranstaltungen, in Feedbackprozessen», sagt Billing.
Stabilitätszonen zu schaffen, ist weniger ein Thema. Mehr dafür die Frage: Wenn wir ständig vorangehen und sich alles verändert, wie können wir gleichzeitig die Dinge verankern, die sich dabei entwickeln? Das sei ein riesiger Balanceakt. Um diesen zu bewältigen, so Billing, brauche es Vertrauen, und dieses wiederum werde hergestellt durch den ständigen Dialog mit den Mitarbeitern: durch Information, durch die Möglichkeit, Fragen zu stellen, häufig auch durch Partizipation. «Wir sind ein normales Unternehmen: Dieser ständige Dialog gelingt uns nicht immer», sagt Boris Billing, «doch wir arbeiten ständig daran und sind auf einem guten Weg.»