Dem Glück auf der Spur: Regeln in Firmen können auch glücklich machen
Die Zahl schreckt auf: 40 Prozent der Schweizer Arbeitnehmer sind unglücklich. Was aber braucht es, damit die Mitarbeitenden Spass und Vergnügen an der Arbeit empfinden? Wer nun glaubt: «Keine Regeln = glückliche Menschen», der irrt. Unter gewissen Bedingungen werden auch Regeln akzeptiert, welche sonst als hinderlich betrachtet werden.
Glück scheint Mangelware an schweizerischen Arbeitsplätzen zu sein. Laut der aktuellen Gesundheitsbefragung des schweizerischen Staatssekretariats für Wirtschaft leiden besorgniserregende 40 Prozent der Befragten «unter grosser psychischer und nervlicher Belastung bei der Arbeit». Viele sehen sich zudem mit psychosozialen Risiken konfrontiert wie etwa mit Überforderung oder Mobbing am Arbeitsplatz. Fühlen sich die Mitarbeiter am Arbeitsplatz derart unwohl, kann das dramatische Konsequenzen nach sich ziehen. Ein Extrembeispiel dazu sind die jüngst gemeldeten arbeitsbedingten Suizidfälle in Frankreich bei France Telecom, Peugeot und Renault.
Glück am Arbeitsplatz kann dem entgegenwirken. Glückserlebnisse erhöhen den Eigenantrieb der Mitarbeiter, helfen, mit belastenden Situationen besser umgehen zu können, und beeinflussen die physische und psychologische Gesundheit der Mitarbeiter positiv (Fredrickson, 2001). Für Unternehmen ist es wichtig zu wissen, welche Faktoren Glück am Arbeitsplatz beeinflussen. Wichtige Einflussfaktoren sind etwa die Arbeitstätigkeit, die Beziehung zum Vorgesetzten und zu den Arbeitskollegen sowie das Arbeitsklima (Warr, 2007). Unklar ist jedoch, wie sich ein hervorstechendes Merkmal von Organisationen auf das Wohlbefinden auswirkt: die Regeldichte des Unternehmens. Dieser Zusammenhang ist gerade auch für schweizerische Unternehmen relevant, weil hierzulande ein Grossteil der Wertschöpfung in stark regulierten Branchen, etwa der Nahrungsmittel-, Pharma- und Finanzindustrie, stattfindet. Typischerweise weisen Unternehmen aus diesen Branchen aufgrund gesetzlicher Bestimmungen eine sehr hohe Regeldichte auf.
Lange war die Glücksforschung folgender Auffassung: Regeln reduzieren das Wohlbefinden am Arbeitsplatz. Solch organisatorische und technische Vorgaben wirken glücksmindernd, weil sie Handlungs- und Entscheidungsspielräume einschränken und damit dem menschlichen Bedürfnis nach Freiheit und Selbstbestimmung zuwiderlaufen. So demonstrieren die Zürcher Ökonomen Benz und Frey (2004), dass Selbständige glücklicher sind als angestellte Mitarbeiter, weil sie über einen höheren Freiheitsgrad verfügen. Allerdings zeigt die Sichtung aller empirischer Studien zu diesem Zusammenhang ein differenzierteres Bild: Regeln können sich auch positiv auf Glück auswirken. Die einfache Gleichung «Freiheit = Glück» scheint nicht immer zu gelten.
Regeln stärken das Gruppengefühl und vermitteln Sicherheit
Weil Regulierung in der Schweiz eher die Norm als die Ausnahme ist und der Zusammenhang zwischen Regeln und Glück sich so unklar präsentiert, haben wir in unserer Werkstatt die Frage aufgeworfen, ob, unter welchen Bedingungen und warum Regeln am Arbeitsplatz glücklich machen. Unter Glück verstehen wir sowohl das Empfinden von Spass, Freude und Vergnügen als auch das Streben nach Selbstverwirklichung am Arbeitsplatz. Um dem Rätsel auf die Spur zu kommen, führten wir 32 Tiefeninterviews mit ausgewählten Mitarbeitern eines stark regulierten Unternehmens durch. Wir stiessen auf zwei alternative Erklärungsansätze für die positive Wirkung von Regeln auf Glück.
Erstens stellte sich heraus, dass es aus Sicht der Befragten eine klar unterscheidbare Kategorisierung in förderliche und hinderliche Regeln gibt. Regeln sind förderlich, wenn sie entweder die erlebte Kompetenz am Arbeitsplatz steigern oder das Gefühl der sozialen Zugehörigkeit zur Gruppe erhöhen. Das Kompetenzerleben wird durch mental entlastende, eindeutige und einheitlich angewandte Regeln erhöht. Die soziale Zugehörigkeit wird durch Regeln bestärkt, die Sicherheit vermitteln oder mit Rückmeldung und Unterstützung verbunden sind. Regeln, die hingegen unverständlich, mehrdeutig, zu zeitaufwendig und nicht umsetzbar scheinen, werden von den Befragten als hinderlich eingestuft. Befragte, welche die Regeln in ihrer Abteilung mehrheitlich als förderlich erleben, sind glücklicher an ihrem Arbeitsplatz als solche, die sich nach vielen hinderlichen Regeln richten müssen.
Ein stolzer Mitarbeiter akzeptiert auch hinderliche Regeln
Zweitens spielt die Identifikation mit dem eigenen Unternehmen eine entscheidende Rolle. Interviewteilnehmer, welche sich stark mit dem eigenen Unternehmen verbunden fühlen, schätzen die Nützlichkeit von hinderlichen Regeln anders ein. Ein Mitarbeiter, der die Werte und Ziele der Organisation teilt und sich als stolzes Organisationsmitglied sieht, erachtet auch hinderliche Regeln als legitim, befolgt diese sogar gerne. Durch eine starke Identifikation wird anscheinend die negative Wirkung von hinderlichen Regeln auf das Wohlbefinden am Arbeitsplatz abgefedert.
Wir testen nun diese neuen Erklärungsansätze durch eine schriftliche Befragung, damit wir generalisierbare Aussagen über die Wirkung von Regeln auf Glück ableiten können. Eine erste, noch auf wackligen Beinen stehende Erkenntnis ist, dass die hohe Regulierung in vielen Branchen kein Hindernisgrund für Glück am Arbeitsplatz darstellen muss. Vielmehr können förderliche Regeln sogar einen positiven Beitrag leisten. Der Mangel an Glück am schweizerischen Arbeitsplatz lässt sich wohl eher auf den sich in den letzten Jahren abzeichnenden Verlust der Identifikation der Mitarbeiter mit «ihrem» Unternehmen zurückführen.
Literatur
Fredrickson, B. L. (2001). The role of positive emotions in positive psychology: The broaden-and-build theory of positive emotions. American Psychologist: Special Issue, 56( ), 218–226.
Kahneman, D., Diener, E., & Schwarz, N. (1999). Well-Being: The Foundations of Hedonic Psychology. New York: Russell Sage Foundation.
Warr, P. B. (2007). Work, Happiness, and Unhappiness. Routledge.