Sensirion lege die Messlatte mit gutem Grund sehr hoch: «Der Markt soll ruhig wissen, wie hoch unsere Ansprüche sind. Er soll aber auf der anderen Seite auch verstehen, dass wir in einem extremen Wachstumsgeschäft tätig sind. Wir sind seit letztem Jahr ins Mobile-Geschäft eingetreten und beliefern seither Samsung mit Feuchtigkeits- und Temperatursensoren für das Galaxy S4.» Solche Märkte seien extrem dynamisch. «Deshalb brauchen wir Menschen, die ständig ein nächstes Level erklimmen können. Wir sind ein Innovationsunternehmen. Daraus erwächst der hohe Rekrutierungsanspruch.»
Neben dem operativen Auftrag, alle offenen Stellen fürs Tagesgeschäft zu rekrutieren, gehört auch das Employer Branding zu Peter Kosels Aufgabengebiet. «Nach 17 Monaten ist unser Employer Branding noch nicht auf einem professionellen Level», zieht Kosel selbstkritisch Zwischenbilanz. «Unser Ziel ist es, Sensirion in der DACH-Region als beliebtesten Arbeitgeber in den Bereich Engineering und IT zu positionieren.» Ein ambitioniertes Ziel, welches Sensirion dieses Jahr mit dem 18. Platz im Graduate-Barometer des Berliner Forschungsinstitutes «Trendence» als steiler Aufsteiger in der Tendenz schon mal bestätigen konnte. Hat sich die Beliebtheit von Sensirion unter Ingenieur- und IT-Studierenden gemäss dieses Rankings doch innert eines Jahres verdreifacht. Unter den Top 5 figurieren, wie bei solchen Ratings üblich, Firmen mit so klingenden Namen wie Google, ABB und IBM, die im Kampf um die besten Talente für Sensirion eine starke Konkurrenz darstellen.
Stimmt das Gerücht, dass in den vergangenen Monaten Heerscharen von IBM-Mitarbeitenden zu Sensirion gewechselt haben? «Heerscharen ist übertrieben. Prozentual gesehen ist die Quote aber nicht schlecht», gibt sich Kosel bescheiden.
Wie will Sensirion im Recruiting gegen solch namhafte Konzerne bestehen? Social Media ist in Peter Kosels Strategie «ein Teil in einem vielfältigen Rekrutierungsmix, den man heute bedienen sollte». Man habe deshalb in einem ersten Schritt die Präsenz auf Linkedin ausgebaut.«Wir machen das im Rahmen von Employer-Branding-Massnahmen so, dass wir potenzielle Mitarbeiter nicht für einen konkreten Job anschreiben, sondern vielmehr über Sensirion informieren, damit diese mit uns in Kontakt bleiben. Über diesen Kanal haben wir, seit ich hier bin, vier Mitarbeitende eingestellt. Xing steht noch auf der To-do-Liste.»
Entscheidend sei jedoch das Feedback der Mitarbeitenden, das sich gerade unter jungen Toptalenten schnell herumspreche. Etwa, dass man bei Sensirion bereits als Praktikant «direkt an der Front bei relevanten Projekten dabei sein kann und der Einzelne nicht in einem grossen Apparat verschwindet», erklärt Heiko Lambach. «Wir haben eine komplett andere Kultur als andere Unternehmen», ergänzt Peter Kosel. «Beispielsweise wird bei uns der einzelne Mitarbeiter nicht hart an Zahlen gemessen – es geht vielmehr um das Gesamtprodukt eines Teams. Von daher pflegen wir nicht die angelsächsische Kultur mit harten Ratingmodellen, wo die einzelne Performance gemessen wird. Bei uns steht immer der Gedanke im Vordergrund, dass ein gesamtes Team zum Erfolg beiträgt.»
Und Heiko Lambach setzt nach: «Wir haben oft Mühe mit Leuten, die bereits in einem Bereichsdenken verhaftet sind. Diese Leute haben nicht immer diese Wendigkeit und Vifheit, einer so dynamischen Projektorganisation beitreten und zwischen verschiedenen Bereichen hin und her springen zu können. Bei uns läuft alles mit einer höheren Dynamik. Hier erhält man die Möglichkeit, sich in einem strategischen Projekt von Anfang an zu positionieren und Lösungen zu erarbeiten, die unsere Welt smart machen.»
Viele Fachkräfte mit einigen Jahren Berufserfahrung hätten jedoch schon ihren Karrierepfad im Kopf und sich auch schon einen gewissen Status aufgebaut. «Wer statusorientiert ist, hat bei Sensirion einen schweren Stand. Wir sind hier alle per Du.» Das sei schon mal eine gute Voraussetzung dafür, dass es zu keinen Statusauswüchsen komme, lacht Peter Kosel, und Heiko Lambach ergänzt: «Es gibt bei Sensirion keine Privilegien – für niemanden. Es gibt keine Direktorenparkplätze für die Geschäftsleitung und es gibt auch keine Pensionskassen-Lösungen, die speziell für das Kader upgegradet werden.» Auch an den jährlichen Firmenwochenenden in den Bergen, an denen «viel gemeinsam gespielt und gefeiert wird, schlafen wir alle in der Massenunterkunft», ergänzt Peter Kosel. «Wir haben also nicht etwa ein Geschäftsleitungsübernachtungszimmer – nein, wir schlafen alle in 20-Bettzimmern in einer Militärunterkunft.»
Investition in die Unternehmenskultur
In seinem Ressort sei für ihn ein HR-Thema besonders relevant, erklärt Lambach: «Wie schaffen wir es, diese unkomplizierte, innovative Kultur zu erhalten, damit der hohe Gestaltungsspielraum für den Einzelnen bleibt, der so sehr geschätzt wird und dies, obwohl die Organisation ständig wächst? Bei Sensirion investieren wir ganz bewusst in die Unternehmenskultur.»
So habe man mit der «Sensi-Academy» ein Weiterbildungsprojekt mit über 100 Schulungen pro Jahr aufgebaut. Zum Teil inhouse, zum Teil extern. «Wir investieren enorm viel in die Qualifizierung unserer Mitarbeitenden.» Fast ein Monatsgehalt eines Mitarbeiters fliesse in dessen jährliche Weiterbildung. «Eigentlich gibt es ein zusätzliches Gehalt für die individuelle Weiterbildung und Qualifizierung», so Heiko Lambach.
Seit diesem Jahr führt das Sensirion-HR auch Kulturworkshops durch, die künftig jedes Jahr wiederholt werden sollen. «Eine solche Workshopserie mit allen Mitarbeitenden kostet uns eine halbe Million Franken», verrät Lambach. «Aber das muss man wohl aufbringen, wenn es nachhaltig sein soll.» Die extern, jedoch komplett in Eigenregie durchgeführten Workshops fanden während fünf Tagen statt und brachten jeden Tag rund 100 Mitarbeitende mit der gesamten zehnköpfigen Geschäftsleitung zusammen. «Jeder einzelne Mitarbeiter kommt so mit jedem GL-Mitglied in Kontakt, indem alle zehn GL-Mitglieder rotierend Gesprächsrunden moderieren und so für alle als Gesprächspartner zur Verfügung stehen», erklärt Lambach. Dabei gehe es darum, mit den Mitarbeitenden die Firmenwerte zu diskutieren und gemeinsam ein Fazit zu ziehen, wie man gerne zusammenarbeiten möchte.
Und wie lautet das Resultat? «Fair und ehrlich im Umgang miteinander, die Topleistung immer vorangestellt – und dies wachstums- und kundenorientiert. Wir wollen Chancen packen. Wir wollen nicht bürokratisch sein. Wir wollen dem Kunden schnell einen Mehrwert bieten», fasst Heiko Lambach druckreif zusammen. «Die Mitarbeitenden haben bei uns die Aufgabe, selbstverantwortlich voranzugehen und auch mal Entscheidungskompetenzen zu überschreiten, um Kunden möglichst schnell Antwort zu geben. Kurz: Wir ermuntern dazu: Geht voran, nutzt euren Handlungsspielraum voll aus! Fehler sind bei uns im Zweifelsfall ausdrücklich erlaubt. Ihr kriegt da keins auf den Deckel.»
Brühwarme Kommunikation
Je stärker eine Organisation wachse, desto mehr neige sie zu einer Angstkultur, weil der einzelne Entscheidungsträger immer weniger sichtbar werde, so die Einschätzung von Heiko Lambach. Das führe zwangsläufig dazu, dass zum Beispiel in einer Firma mit 2000 Mitarbeitenden der CEO nicht mehr jeden Mitarbeitenden persönlich kennen könne. «Hier und jetzt schaffen wir das noch. Aber mit weiterem Wachstum wird auch bei uns das Problem der Visibilität der Geschäftsleitung zunehmen.»
Stichwort Visibilität: Wie kommuniziert das Sensirion-HR mit der Belegschaft? Heiko Lambach: «Ich moderiere alle zwei Wochen zusammen mit den CEOs die sogenannten «Sensi-Meetings», die bei uns für alle Mitarbeitenden in der Kantine stattfinden. Da informiere ich über Themen aus dem HR und der Geschäftsleitung, stelle die neuen Mitarbeitenden vor und aus dem Bereich Research & Development hält jeweils jemand ein Referat über eine Produktinnovation. Dort geben wir auch brühwarm die Resultate aus den Halbjahresgesprächen bekannt.» Und Peter Kosel ergänzt: «Dabei sprechen wir ganz explizit auch über Schwächen.» Konkret? «Durch das Wachstum und die daraus folgende geografische Trennung des Produktionsgebäudes und des Hauptsitzes, wo das Ressort Research & Development untergebracht ist, gibt es auch einen gewissen Kultur- und Distanzsplit.»
Von Rutschen und Kantinen
Dabei würden sich die Mitarbeitenden aus der Forschungsabteilung etwas mehr Nähe zur Produktion wünschen. «Deshalb ist der Wunsch aufgekommen, das berühmte Freitagsbier, das bisher im Hauptsitz auf der Dachterrasse oder in der Kantine stattfand, in die Produktion zu verlegen», so Lambach. – Apropos Kantine: Google besetzt in Beliebtheitsumfragen von Hochschulabgängern regelmässig den 1. Rang. Was kann Sensirion von Google lernen? Überlegt man sich vielleicht, in Stäfa demnächst die doch eher nüchterne Kantine mit einer Rutschbahn aufzurüsten? Dazu Peter Kosel: «Google macht extrem viel und hat einen wahnsinnigen Reifegrad. Ob ich am Schluss eine Rutsche brauche, um die Leute langfristig glücklich zu machen, wage ich zu bezweifeln. Wir müssen unserem Weg treu bleiben. Es ist alles da. Und es ist echt und ehrlich. Die Zukunft wird zeigen, ob künftig auch Google-Mitarbeiter zu uns kommen. Ich werde von gewissen Mitarbeitern jedenfalls bereits heute – auch über Linkedin – aktiv angeschrieben. Insofern glaube ich, dass wir inzwischen auch bei gewissen Googlianern auf dem Radar sind. So viel darf ich sagen.»
Und Heiko Lambach doppelt nach: «Wir wollen uns nicht ‹vergoogeln›. Aber wir müssen natürlich schauen, wie der Zeitgeist läuft. Und wenn 200 Leute eine Rutsche haben wollen – ja, dann sollen sie eine Rutsche bekommen. Aber das wird vermutlich bei einer Umfrage nicht herauskommen. Es ist schön, was Google macht. Auch als Vorbild. Wir wollen jedoch unsere eigene Kultur erhalten und entwickeln. Und die ist genauso attraktiv.»
Sensirion
1998 von Moritz Lechner und Felix Meier als ETH-Spin-off gegründet, ist Sensirion mit Sitz in Stäfa (ZH) heute der weltweit führende Hersteller von Sensorlösungen zur Messung und Steuerung von Gas- und Flüssigkeitsdurchflüssen. Die Sensoren werden weltweit millionenfach eingesetzt. Unter anderem in der Medizinaltechnik, in der Automobilindustrie oder in Konsumgütern. Dank eines Grossauftrags von Samsung finden sich beispielsweise in allen Galaxy-S4-Modellen Feuchtigkeits- und Temperatursensoren aus Stäfa, was der Firma jüngst einen enormen Wachstumsschub beschert hat. Sensirion beschäftigt heute 600 Mitarbeitende unter anderem in den USA, in Südkorea, Japan, China, Taiwan und Deutschland. Geforscht, entwickelt und produziert wird am Hauptsitz in Stäfa.