Porträt

«Schritt für Schritt»

Vom Projektmanager zum HR-Chef: Stephan Walliser kennt das Versicherungsgeschäft aus dem Effeff. Bis vor drei Jahren hat der gelernte Kaufmann ausschliesslich in der Linie Karriere gemacht. Heute ist der Hobbytänzer HR-Chef Schweiz der Baloise und verantwortlich für rund 3500 Mitarbeitende.

Wer sich am Hauptsitz der Baloise Group durch die imposante Drehtüre schiebt, findet sich in der grosszügig angelegten Empfangshalle inmitten prominent platzierter Kunstobjekte wieder. Kunstwerken begegnet man überhaupt im ganzen Haus auf Schritt und Tritt. Während das Untergeschoss des traditionsreichen Versicherungskonzerns eine wahre Fundgrube an zeitgenössischer Kunst beherbergt, zieren einige kleinere Werke auch die Bürowände des HR-Chefs Stephan Walliser. «Wo Kunstwerke zu sehen sind, entstehen Orte der Begegnung, in denen Augenblick und Kontinuität zusammenfliessen», erläutert Stephan Walliser das Konzept. Orte, wo Gespräche stattfinden, wo zwischen unterschiedlichen Parteien vermittelt wird, wo Ideen geboren und Probleme gelöst werden – also mitten unter den Menschen –, das sind die Orte, wo sich der HR-Leiter des Konzernbereichs Schweiz besonders wohl fühlt.

Vom KV-Absolvent zum HR-Leiter

Seine berufliche Laufbahn begann mit einer kaufmänni­schen Lehre. Ohne Studium in der Versicherungsbranche Karriere zu machen, sei nicht einfach gewesen und auch heute keine Selbstverständlichkeit, erklärt Stephan Walliser. Es folgen Stationen im Underwriting sowie «ein halbes Leben» im Projektmanagement: Nach einer Anstellung als Projektmanager bei der «Zürich», fängt er im Jahr 2000 als Senior-Projektleiter bei der Baloise an, steigt fünf Jahre später zum Bereichsleiter auf und schafft 2007 dann auch den Einstieg in die Direktion. So holt sich Stephan Walliser Schritt für Schritt das Rüstzeug, das ihn 2011 für die Aufgabe als Leiter Human Resources Schweiz der Baloise profilieren wird.

Er kennt inzwischen das Geschäft des Versicherers in- und auswendig und hat als Projektleiter ein untrügliches Gespür dafür entwickelt, wer seine Fähigkeiten an welchem Ort zum Nutzen aller am besten einbringt. Eine Fähigkeit, die sehr gefragt ist, wenn es darum geht, Fehlbesetzungen zu vermeiden. Und eine Fähigkeit, die lange vor seinem Stellenantritt als HR-Leiter von anderen erkannt und in Anspruch genommen wurde: «Als Linienmanager hatte ich eine gute Hand für die Anstellung von Talenten, die man dann im Unternehmen auch weiterbringen konnte», erinnert sich Walliser. «Das hat sich herumgesprochen, sodass ich bei personellen Entscheiden auf höchster Ebene von Geschäftsleitungsmitgliedern beigezogen wurde, um meine Meinung abzugeben, ob ein Kandidat zum Unternehmen und zum Vorgesetzten passt.»

Weitere Berührungspunkte zum HR brachte die Zusammenarbeit mit der Organisations- und Personalentwicklung. Als sich am 1. Juni 2011 die Chance zum Wechsel ins HR eröffnet, sieht der damals knapp 50-Jährige seine Chance gekommen, das HR grundsätzlich neu zu positionieren.

Zur Person

Stephan Walliser (52) ist in Basel geboren und dort aufgewachsen. Seine Schulzeit verbringt er an der Rudolf Steiner Schule und absolviert anschliessend eine kaufmännische Lehre bei der Firma Weleda AG. Danach zieht es ihn zurück zur Rudolf Steiner Schule, wo er das Pädagogische Lehrerseminar abschliesst. Den Lehrerberuf übt er jedoch nie aus. Es folgen Anstellungen bei der Rhein Rückversicherung in Basel und der Zürich Versicherungsgesellschaft. Ab 2000 ist Stephan Walliser bei der Baloise zunächst als Senior-Projektleiter tätig, bevor er 2005 zum Leiter des Bereichs «Projekt- und Portfoliomanagement» ernannt wird. 2007 gelingt ihm der Sprung in die Direktion des Versicherungskonzerns und von dort Mitte 2011 ins HR, wo er seither die Funktion als Leiter HR des Konzernbereichs Schweiz innehat. Seit 2013 ist er ­zudem Stiftungsratsmitglied der Fachhochschule Nordwestschweiz und engagiert sich ausserdem in der Sozialkonferenz der Christoph-Merian-Stiftung, wo er sich mit Armut in Basel auseinandersetzt.

Auf einmal wird alles anders

Dass sich das HR von administrativen Tätigkeiten zum Business Partner entwickeln soll, ist keine neue Forderung und aus der Sicht der Führungskraft auch verständlich: «Wie wollen Sie mit jemandem über Führung diskutieren, der dieses Wort nur aus der Theorie kennt und nie selbst Menschen geführt hat?», fragt Stephan Walliser rhetorisch.

Dass im HR der Wandel von verwaltenden zu gestaltenden Tätigkeiten nicht reibungslos vonstatten ging, gibt Stephan Walliser unumwunden zu: «Alle HR-Kader haben im Rahmen der Neuausrichtung des HR ein Assessment absolviert. Obwohl zahlreiche Kandidaten – auch interne Mitarbeitende –ein solches standardmässig durchlaufen, war es für das HR selbst völliges Neuland.» Es habe sich jedoch rasch herauskris­tallisiert, wer dazu bereit sei, die Neuausrichtung mitzutragen. Dabei kam es auch zu einigen Trennungen: «Früher habe ich mit den Leuten gelebt, die da waren. Das hat sich verändert. Wenn es nicht passt, dann ist es einfach nicht zielführend für beide Seiten und besser, einen Schlussstrich zu ziehen.» 

Seit der Neuorganisation hat sich im HR-Team jedenfalls einiges geändert: So holte «Talentmanager» Stephan Walliser vermehrt Quereinsteiger mit Führungserfahrung und spezifischen Branchenkenntnissen an Bord, um zusammen mit Akademikern ein breitgefächertes Portfolio an Praxis und Theorie zusammenzubringen. Zusätzlich wurden den HR Business Partnern Mitarbeitende unterstellt, damit auch das HR-Kader Führungserfahrung sammeln kann.

Für die Zukunft wünscht sich Stephan Walliser, das HR nachhaltig als strategischen Partner zu positionieren, denn die Alternativen dazu sind nicht sehr attraktiv: Reduktion auf Administratives oder gar das Outsourcing der HR-Abteilung.

Schritt für Schritt zum Ziel

Von der Persönlichkeit her ist Stephan Walliser kein Mann der grossen Sprünge. Lieber gelangt er Schritt für Schritt und breit abgestützt zum Ziel. Gleichzeitig legt er Wert auf eine pragmatische Vorgehensweise. Seine Stärken? «Überzeugungskraft, Konstanz und Unbeirrtheit.» So versucht er seine Themen mit Hartnäckigkeit nachhaltig voranzutreiben. Eine Eigenschaft, die ihm auch bei strategischen HR-Themen zugute kommt, weil diese eine langfristige Sichtweise und eine sorgfältige Abstimmung verlangen.

Als Beispiel für ein solches strategisches HR-Thema führt Walliser das Diversity Management an. Dabei handle es sich für ihn nicht nur um Fragen von Mann und Frau, Alt und Jung und unterschiedlichen Bildungswegen. Auch die soziale Dimension des Diversity Managements sei wichtig, betont Walliser: So gehe es der Baloise darum, als Grossunternehmen proaktiv einen gesellschaftlichen Beitrag zu leisten und Schwächeren den Wiedereinstieg in den ersten Arbeitsmarkt zu ermöglichen. – Keine leeren Worte: In Zusammenarbeit mit der IV stellt die Baloise acht Wiedereingliederungsplätze zur Verfügung und bietet Menschen, die aus dem ersten Arbeitsmarkt «herausgefallen» sind, ein halbjähriges Training an, damit diese Arbeitserfahrungen sammeln können und für den ersten Arbeitsmarkt fit werden. Die Integration von Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen zahle sich für die Baloise gleich mehrfach aus: «Die Mitarbeitenden haben Freude daran, ihr Wissen weiterzugeben und andere zu befähigen, während damit gleichzeitig auch das Arbeitsklima positiv beeinflusst wird.»

Und auch die Feedback-Kultur der Baloise wurde unter der HR-Regie von Stephan Walliser angepasst: Demnach sollen nicht nur Vorgesetzte ihre Mitarbeitenden, sondern diese auch ihre Vorgesetzten beurteilen. Basierend auf diesem «Entwicklungsdialog» setzt sich der Vorgesetzte im Austausch mit seinen Mitarbeitenden jährlich ein bis zwei Ziele. Dabei geht die Führungsriege mit gutem Beispiel voran. So hat sich im Rahmen dieses Pilotprojekts auch der CEO der Beurteilung seiner Mitarbeitenden gestellt. Für Stephan Walliser eine Selbstverständlichkeit: «Die Vorbildfunktion der Führung ist für den ­Erfolg eines solchen Projekts absolut entscheidend.»

Allen gerecht werden

Apropos Führungskultur: Wie führt Stephan Walliser sein Team? «Ich bin ja nicht vom Fach und masse mir deshalb auch nicht an, alles zu wissen.» Seinen Mitarbeitenden schenke er deshalb viel Vertrauen und lasse ihnen grossen Handlungsspielraum. Und was bringt ihn so richtig auf die Palme? «Es braucht viel, bis ich die Fassung verliere.» Je komplexer und verworrener die Lage, desto mehr reize es ihn, eine Lösung auszuarbeiten, die allen Beteiligten gerecht werde. Eine Herausforderung, die für den ehemaligen Projektmanager vertrautes Terrain ist.

Baloise Group

Die Baloise Group mit Sitz in Basel ist ein europäischer ­An­bieter von Ver­sicherungs- und Vorsorgelösungen. Das Unternehmen mit über 150-jähriger ­Firmengeschichte agiert in der Schweiz als ­Finanzdienstleister, einer Kombination von Versicherung und Bank. Das Unter­nehmen ist neben der Schweiz in Deutschland, Belgien und Luxemburg tätig und beschäftigt rund 8000 Mitarbeitende.

Mission Imagekorrektur

Als Quereinsteiger liegen Stephan Walliser Aus- und Weiterbildungsfragen sehr am Herzen. So hat er jüngst ein Engagement als Stiftungsratsmitglied der Fachhochschule Nordwestschweiz übernommen. Nicht ganz uneigennützig: An der FHNW versucht er zum Beispiel im Rahmen der sogenannten «CEO-Talks» den Studierenden die Baloise und die Berufsbilder der Versicherung näherzubringen und sein Unternehmen auch als Arbeitgebermarke bekannter zu machen: «Versicherungen gelten nun mal nicht als sexy. Dabei wissen die Studenten oft nicht, welche vielfältigen Tätigkeiten wir bieten.»

Genussmensch ohne Kochambitionen

Privat ist Stephan Walliser seit kurzem im Exekutivrat der Sozialkonferenz der Christoph-Merian-Stiftung tätig. Diese setzt sich mit dem Thema «Armut in Basel» auseinander und bringt Armutsbetroffene, Politiker sowie Vertreter der Wirtschaft und der nichtprofitorientierten Organisationen zusammen, um gemeinsam Projekte auszuarbeiten und das Bewusstsein für die Problematik zu schärfen. Zuhören, sich mit ver­schiedenen Menschen auseinandersetzen und manchmal vermittelnd wirken – das sind gefragte Qualitäten, die Walliser auch in diesem Kontext einbringen kann.

Während sein Berufsleben auf Jahre hinaus viel Planung abverlangt, geht es Stephan Walliser privat etwas «verspielter» an. Etwa indem er sich hin und wieder ans Klavier setzt. Musik begleitet ihn auch beim Tanz, einem Hobby, das ihn mit seiner Ehepartnerin verbindet, die er vor dreissig Jahren in einem Tanzkurs kennen gelernt hat.

Entspannung findet er zudem beim Mountainbiken oder bei Bergwanderungen im Ober­engadin in St. Moritz oder Pontresina. Obwohl er sich selbst als Genussmensch bezeichnet, gesteht Stephan Walliser: «Wenn ich gebeten werde, etwas zu kochen, gehen wir am Schluss alle auswärts essen.» In der Küche packt ihn für einmal der Ehrgeiz nicht: «Auch wenn dies meine Frau gerne sehen würde.»

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Chefredaktorin, HR Today. cp@hrtoday.ch

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