Lernen

Der neue Lehrer ist ein Avatar

E-Learning wird oft mit langweiligen, webbasierten Trainings, 
mühsamen E-Tests und einem komplizierten Lernmanagement-
System gleichgesetzt. Dabei bieten die neuen Technologien eine Vielzahl von Möglichkeiten, ohne die betriebliches Lernen – für 
Mitarbeiter und auch Kunden – kaum mehr möglich sein wird. 
Eine Auswahl an Trends, die bewegen. 

Wenn Kunden und Mitarbeitende immer mobiler und vernetzter werden, hat das auch Auswirkungen auf die Aus- und Weiterbildung. Es müssen ein neues Lernverständnis aufgebaut, neue Lernbereiche erschlossen und neue Lerntechnologien eingesetzt werden und es braucht schliesslich, darauf aufbauend, neue Lernformate, die entwickelt und umgesetzt werden.

Im Folgenden sollen diese vier Bereiche anhand exemplarischer Beispiele vorgestellt werden. Es handelt sich dabei um eine subjektive und nicht abschliessende Auswahl. Die Grafik gibt hierzu einen Überblick.

1. Neues Lernverständnis

Vom Kurs zum Erlebnis: Betriebliches Lernen wird noch zu stark durch ein Kursdenken bestimmt. Lernen wird gleichgesetzt mit einem Aneinanderreihen von Modulen, die dann als erfolgreich gelten, wenn ein abgeschlossener Status in der Lernhistorie ausgewiesen werden kann. Vor allem der ganze Bereich Compliance-Training ist durch diese Denkweise geprägt. Echtes Lernen basiert aber auf Lernerlebnissen, die nachhaltig sind und die Verhaltensänderungen herbeiführen. E-Learning bietet hier zahlreiche Möglichkeiten: vom interaktiven virtuellen Klassenzimmer über virtuelle Konferenzen bis hin zu im Team erstellten Lerninhalten, die anderen wieder verfügbar gemacht werden.

Vom formellen zum informellen Lernen: Ob wir nun tatsächlich 10 Prozent formell und 90 Prozent informell lernen, ist wissenschaftlich schwer zu belegen, aber es ist eine Tatsache, dass informelles Lernen sehr relevant ist und trotzdem kaum gefördert wird.

E-Learning kann einen Beitrag leisten, um informelles Lernen in zwei Richtungen zu unterstützen: Es können einerseits elektronische Plattformen geschaffen werden, auf denen der informelle Austausch stattfinden kann (Social Computing), und es können andererseits Bibliotheken mit E-Books aufgebaut und Suchmaschinen angeboten werden, die das konzernweite, intuitive Suchen und Selbstlernen ermöglichen. Aus organisatorischer und architektonischer Sicht müssen dazu Zeitgefässe und Räume geschaffen werden, die informelles Lernen fördern; aus pädagogischer Sicht geht es um eine «Ermöglichungsdidaktik» (Arnold 1996).

2. Neue Lernbereiche

Arbeitsplatzbezogenes Lernen: Erlebnisorientiertes und informelles Lernen führen nahtlos in neue Anwendungsbereiche hinein. Lernen und Arbeiten werden zunehmend zusammenwachsen. Arbeiten bedeutet Lernen und umgekehrt. E-Learning unterstützt diese Entwicklung mittels Electronic Performance Support Systems (EPSS) oder «Just-in-time E-Learning». Dies bedeutet, dass Lernen im Prozess der Arbeit unterstützt wird. Hierzu werden kleine Lernmodule in Form von Checklisten, Tipps und Tricks oder kurzen Filmsequenzen bereitgestellt. Hilfreich sind auch firmenweite Wikis oder Blogs, in denen das Wissen des Unternehmens durch Mitarbeitende erstellt und gepflegt wird (was jedoch langfristig aufgebaut und begleitet werden muss). Mit der Bereitstellung einer Unified Communication Infrastructure, die es ermöglicht, auf einfache Weise mit Kollegen zu chatten, sie anzurufen oder mit ihnen ad hoc ein E-Meeting zu starten, wird dieser Aspekt auch im Bereich der sozialen Interaktion gefördert.

Kundenausbildung: Nebst der Mitarbeiterausbildung rückt die Ausbildung der Kunden ins Zentrum. Wer seinen Kunden die Firmenphilosophie, ein Produkt oder eine Dienstleistung gut erklären kann, wird zum bevorzugten Dienstleister und verstärkt die Kundenbindung. Dies erfordert Lernprozesse, die damit zur Dienstleistung werden. Hier können alle E-Learning-Formate zum Einsatz kommen.

Mobiles Lernen: Ein dritter wichtiger Anwendungsbereich von E-Learning umfasst den Bereich mobiles Lernen. Lernen muss heute immer auch mobil gedacht werden. Dabei geht es nicht darum, bestehende Kurse auf das mobile Gerät zu übertragen, sondern vielmehr, soziale und kollaborative Lernprozesse zu unterstützen. Dies erfordert den mobilen Zugriff auf die (interne) Social-Computing-Plattform und die mobile Teilnahme an E-Meetings.

3. Neue Lernformate

Massive Open Online Course (MOOC): Für Massive Open Online Course hat sich noch kein deutscher Begriff gefunden. Ein MOOC ist ein soziales Lernphänomen, vergleichbar mit der Open-Source-Bewegung. Eine Gruppe von Experten/-innen und Lernenden finden sich online zusammen, um sich mit einem Thema während ein paar Wochen zu befassen. Der Übergang zwischen Experten und Lernenden ist fliessend. Der jüngste MOOC im deutschsprachigen Raum war OPCO12 (www.opco12.de) mit 1400 Teilnehmenden.

Lerngemeinschaften: Betriebliches Lernen ist oft auf den Einzelnen ausgerichtet. Mit dem Einsatz von Social Media gewinnt soziales Lernen eine neue Bedeutung. Interne Social-Computing-Plattformen ermöglichen es, Lerngemeinschaften aufzubauen, die Supportfunktionen übernehmen und als Bindeglied zwischen den einzelnen Phasen und Formen eines Lernprozesses dienen.

Virtuelles Klassenzimmer: Dort, wo eine zeitgleiche Zusammenarbeit nötig ist, kommt Web Conferencing zum Einsatz. In virtuellen Klassenzimmern können Wissen vermittelt, Gruppenarbeiten durchgeführt und Themen live diskutiert werden. Während bei webbasierten Trainings in ein gutes und interaktives Design investiert werden muss, liegt der Fokus im virtuellen Klassenzimmer auf dem gut ausgebildeten Moderator.

Lerninhalte durch Anwender: Ein Themenfeld, das noch viel zu wenig systematisch gefördert wird, ist das Erstellen von Lerninhalten durch die Anwender selbst, wie es im Umfeld von Web 2.0 schon lange zur Selbstverständlichkeit geworden ist. Es braucht hier einfache E-Learning-Werkzeuge, die es Anwendern möglich machen, ihr Wissen, ihre Sichtweisen, ihre Tipps und Tricks in einfacher Form audiovi-suell festzuhalten. Dies kann ein Filmclip, ein Podcast oder ein selbstvertontes Lernmodul sein. Die Qualität wird durch Checklisten sowie das Urteil der Lerngemeinschaft geregelt.

4. Neue Technologien

Cloud Learning: Mit Cloud Learning sind Lerninhalte und Lernstatus geräteunabhängig verfügbar, da in der «Lernwolke» gespeichert. Dieser Umstand schafft unterbruchsfreie Lernprozesse: Was im Büro begonnen wurde, kann auf dem Nachhauseweg und zu Hause beendet werden.

3D-Welten: Obschon sich schon viele nicht mehr an «Second Life» erinnern können, bieten 3-D-Welten aktuell und in Zukunft eine faszinierende Möglichkeit, Lernprozesse in einer virtuellen Umgebung zu gestalten, die man mit seinem eigenen Avatar erkunden kann. 3-D-Welten können beispielsweise für Rollenspiele, Verkaufstrainings oder virtuelle Konferenzen eingesetzt werden.

Glossar

Mobiles Lernen: Zugang zu Lernmöglichkeiten auf mobilen Endgeräten, unabhängig von Zeit und Ort.
Arbeitsplatzbezogenes Lernen (Workplace Learning): Lernen, das am Arbeitsplatz (oder zu Hause) und nicht im Seminarraum stattfindet.
3-D-Welten: Virtuelle 3-D-Räume, die mit einem Avatar (3-D-Person) erschlossen werden können und damit die Intensität des Lernerlebnisses steigern (sogenannte Immersion).
Cloud Learning: Lernprozesse, die in der «Lernwolke» gespeichert sind und damit auf mehreren Geräten synchronisiert zur Verfügung stehen.
Informelles Lernen: Nicht-formales Lernen, das kontinuierlich und zufällig stattfindet und rund 90 Prozent des persönlichen Lernens umfasst.
Virtuelles Klassenzimmer (E-Classroom oder E-Meeting): Zeitgleiches Lernen, unabhängig vom Ort, auf der Basis von Web Conferencing.
Massive Open Online Course (MOOC): Frei zugängliche Online-Kurse, in denen die Anwender sowohl Experten als auch Lernende sind.
Lerngemeinschaft (Learning Community): Gruppe von Lernenden, die sich auf einer Social-Computing-Plattform gegenseitig unterstützt und von Moderatoren  begleitet wird.

  • Swiss eLearning Conference 2013 
«Educate your customer: Kundenfokussiertes eLearning von Online Training bis Augmented Reality», 9.–10. April 2013, 
Holiday Inn, Messe Zürich, www.selc.ch

Literatur:

  • Arnold, Rolf: Weiterbildung. Ermöglichungs-didaktische Grundlagen. Vahlen 1996.
  • Dehnbostel, Peter: Lernen im Prozess der Arbeit. Münster 2007.
  • Stoller-Schai, D.: Meet peers and experts: 
Erfahrungen mit der ersten Virtuellen Konferenz der Phonak AG. In: Handbuch E-Learning. (Hrsg.) 
K. Wilbers / A. Hohenstein, 2007.
  • Stoller-Schai, D.: Educate your customer – Kundenfokussiertes E-Learning. In: Handbuch E-Learning. (Hrsg.) K. Wilbers / A. Hohenstein. Erhältlich 
ab April 2013.
     
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Daniel Stoller-Schai ist durch seine mehrjährigen Praxis davon überzeugt, dass Kollaboration der Schlüssel zum Erfolg in Netzwerkorganisationen ist. Die Strategien, Methoden und Kompetenzen dazu, entwickelt er als Change Companion der Firma Collaboration Design zusammen mit seinen Kunden. Als Manager für digitale Lern- und Arbeitstechnologien hat er bei Phonak, UBS, CREALOGIX sowie in weiteren Firmen und Startups Kundenprojekte umgesetzt und Erfahrungen mit dem globalen Einsatz internetgestützter Lern- und Arbeitsprojekten gesammelt. Diese Erfahrungen gibt er auch als Programmleiter am Institut für Kommunikation & Führung, Luzern und als Head Advisory Board der LEARNING INNOVATION Conference weiter.

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