HR und Innovation

Der Weg nach Heureka

Die Teamgrösse an einer Pizzamahlzeit messen, beim Vorstellungsgespräch seltsame Fragen stellen, für ein Problem die komplette Antilösung suchen, gescheiterte Ideen auszeichnen: 
Was Firmen sich alles einfallen lassen, um der Kreativität zu grossen Sprüngen zu verhelfen.

«Hinterfrage Autorität – besonders die Autorität deiner eigenen langjährigen Überzeugungen.» Das ist einer von 50 Tipps, welche die amerikanische Beratungsfirma Idea Champions auf ihrer Homepage auflistet, zwecks Förderung einer nachhaltigen Innovationskultur (Link siehe «Service»).

Was zu einer solchen Innovationskultur alles gehört, darüber wird viel geschrieben. Doch was wird in der Realität effektiv getan? 13 Massnahmen, Tipps und Beispiele aus der Praxis:

1. Kleine, wendige Teams oder Die Zwei-Pizza-Regel

Bei Amazon ist man der Meinung, dass grosse Teams zu viel Zeit mit Koordination verbringen. Damit Teams wendig bleiben und Zeit für kreatives Schaffen haben, gilt die «Two Pizza Rule», wie Jens-Uwe Meyer (Interview auf S. 36), Autor der Studie «Corporate Creativity», ausführt: Ein Team ist dann zu gross, wenn es mit zwei Pizzas nicht satt wird – Maximalteamgrösse seien daher sieben Personen. (Im Folgenden erwähnte Firmenbeispiele stammen ebenfalls aus Jens-Uwe Meyers Studie, sofern nicht anders bezeichnet.)

2. Statt der alten Hasen werden die Küken ans Projekt gelassen

Intel bricht manchmal bewusst die Regel, dass die erfahrensten Personen die wichtigsten Projekte betreuen; es werden auch einmal die neuesten Mitarbeiter rangelassen. Der Grund: «Das Management will den ‹Outsider Advantage›, den Vorteil, den der frische Blick von aussen gibt, bewusst nutzen», so die Studie «Corporate Creativity». Denn die «Neuen» probieren Dinge, welche die «Alten» als unmöglich einstufen.

3. Vorbilder jeden Alters

Innovationskultur darf nicht an einzelnen Personen in der Firma hängen, kann aber von Führungspersonen stark beeinflusst werden. Richard Branson (Virgin) oder Steve Jobs (Apple) sind solche – berühmte – Persönlichkeiten. «Das sind nicht mehr 30-Jährige, sondern 50-, 60-Jährige», sagt Innovationsexperte Chris Brügger, «solche Menschen zeigen den Jüngeren, dass in einer Innovationskultur das Alter keine Rolle spielt.»

4. Freiräume, in denen die Leidenschaft aufflammt

Am innovativsten sind die Menschen, wenn sie an Dingen arbeiten können, die sie persönlich interessieren, für die sie Leidenschaft empfinden. Nicht nur Google macht sich dies zunutze und lässt die Angestellten 20 Prozent ihrer Arbeitszeit für eigene Projekte verwenden. Auch Nokia veranstaltet eine Innovation Week, in der kleine Gruppen von Forschern Ideen und Konzepte zu einem selbstgewählten Thema entwickeln. Solche Freiräume sind wichtig: «Wenn Unternehmen Innovation verlangen und dies einfach aufs Tagesgeschäft draufpacken, sollten sie nicht allzu viel erwarten», so Chris Brügger. «Eine Möglichkeit ist zum Beispiel, jeden zweiten Freitagnachmittag zum kreativen Freiraum zu erklären.»

5. Institutionalisierter, aber doch flexibler Austausch

Der Austausch über Abteilungsgrenzen hinweg ist innovationsfördernd. Ein intensiver Austausch findet beim deutschen Unternehmen GKD – Gebr. Kufferath AG statt: «Die innovative, massiv wachsende Firma, die in den Bereichen technische Gewebe und Filter tätig ist, hat jeden Tag halbstündige bis stündige Roundtable-Meetings», sagt Professor 
Reinhard Prügl, Inhaber des Lehrstuhls für Innovation, Technologie & Entrepreneurship der Zeppelin Universität in Friedrichshafen. «Mitarbeiter aus allen Bereichen diskutieren, bringen neue Ideen ein, sowohl strategisch als auch operativ.» Das Ganze ist freiwillig – und vor allem auch sehr flexibel: Manche kommen in ein Projektteam rein, um kurz eine einzelne Frage zu diskutieren, und gehen zehn Minuten später wieder, nachdem sie 
ihren Input eingebracht haben.

6. Ausschau nach Start-up-Unternehmern halten

Sollen nur visionäre Menschen eingestellt werden? Nein, auch jene sind gefragt, die neue Ideen scharf analysieren und daraus strukturiert Projekte aufbauen. «Geht es darum, etwas Neues zu entwickeln, so sind oft jene im Team sehr wichtig, die krasse Widerstände aufbauen, die – nicht gleich am Anfang, aber an der richtigen Stelle – nach dem Sinn von entwickelten Ideen fragen», so Reinhard Prügl. Sein Tipp: gescheiterte Start-up-Gründer ins Unternehmen holen. «Sie bringen ein Netzwerk und Know-how mit, sind mutig und ehrgeizig. – Natürlich sollte vor der Einstellung geprüft werden, warum sie mit ihrem Start-up gescheitert sind.»

7. Für Rekrutierung andere Leute an den Tisch holen und schräge Fragen stellen

Dass die Kandidatin beim Bewerbungsgespräch auf ihre Innovationsfreude hin ausgehorcht wird, ist klar. Sinnvoll kann zudem eine Erweiterung der üblichen Interviewsituation sein: «Lassen Sie doch einmal jemanden aus der Spedition mit der Person reden, holen Sie verschiedene Abteilungen an den Tisch», sagt Chris Brügger. Dadurch lasse sich eher abschätzen, ob die Person in die innovative Firmenkultur hineinpasst. «Um herauszufinden, wie eine Person funktioniert, kann man ungewöhnliche Fragen stellen, etwa ‹Was würden Sie verändern, wenn Sie morgen hier Chefin wären?›.»

Übrigens: Neue Mitarbeitende sind eine zentrale Quelle für Innovationen. Reinhard Prügl: «US-Studien belegen, dass bei 72 Prozent der 500 am schnellsten wachsenden amerikanischen Firmen die zentrale Geschäftsidee von einem neuen Mitarbeiter stammt. Die neue Person hatte ihre Idee bereits beim vorherigen Arbeitgeber, konnte sie aber bei diesem nicht umsetzen ...»

8. Scheitern ist nicht nur erlaubt, sondern wird sogar honoriert

Zur Innovationskultur gehört es, Risiken einzugehen. Dies zieht automatisch Fehler nach sich, und Projekte können scheitern. Mitarbeitende brauchen die Gewissheit, dass solche Misserfolge nicht zu negativen Konsequenzen führen. Eine besondere Art, diesbezüglich Vertrauen zu fördern, hat die Tata Group entwickelt: Neben den erfolgreichsten Innovationen prämiert sie auch das wagemutigste Team, «das einen ernsthaften Versuch gestartet hat, eine grosse Innovation voranzubringen, aber dabei nicht erfolgreich war», so die «Corporate Creativity»-Studie.

9. Kreativitätstechniken – alles wird auf den Kopf gestellt

Der Techniken zur Förderung der Kreativität sind viele. Zum Beispiel die Umkehrtechnik: Diskutieren Sie im Team, wie das neue Projekt möglichst schlecht herauskommen könnte. Suchen Sie alles, was man dabei falsch machen könnte. Sie werden staunen, wie viel zusammenkommt. Anschliessend drehen Sie die Negativperspektive um und fragen nach Lösungen dieser «Schwarzmalereiaspekte» (weitere Infos siehe «Service»).

10. Wille zur Innovation auf allen Ebenen – Kreativitätsworkshops auch für die Chefin

Eine innovative Atmosphäre kann dann aufgebaut werden, wenn nicht nur bei einzelnen Personen ein kreativer Geist herrscht, sondern dieser in der Unternehmenskultur verwurzelt ist. Der Innovationsberater Chris Brügger erlebt bei Workshops, die er und Jiri Scherer mit ihrer Firma Denkmotor anbieten, jedoch nicht selten, dass Vorgesetzte nur ihre Mitarbeitenden schicken, selbst aber nicht teilnehmen. «Zumindest eine Begrüssung und Einführung durch die Führungskräfte wäre wünschenswert», so Brügger. Nur so erhalten die Mitarbeitenden das Signal, dass der Wille zur Innovation da ist. Alles andere führt zum Eindruck, dass Kreativität von oben nach unten delegiert wird – also nicht wichtig ist.

11. Wer ist zuständig? Wer gibt Feedback?

Wissen die Mitarbeitenden, an wen sie sich mit einer innovativen Idee wenden können? «Es braucht unkomplizierte Ansprechpartner auf allen Ebenen, sogenannte Idea Representatives», sagt Reinhard Prügl. Diese leiten die Idee entweder weiter oder haben die Kompetenz, für die erste Entwicklung der Idee ein paar Stunden oder Tage Zeit einzuräumen. Wenn der Idee aber überhaupt keine Chance gegeben wird, muss zumindest ein Feedback drinliegen, warum dem so ist. Nichts Schlimmeres für die (aufzubauende) Innovationskultur, als wenn eingereichte Ideen ohne Rückmeldung versanden.

12. Beteiligte bei Projekten: Fach-, Beziehungs- und Entscheidungskompetenz

Erfolgreiche Innovationsprojektteams zeichnen sich laut Prügl unter anderem dadurch aus, dass drei Rollen existieren: jene des Fachpromotors (zum Beispiel aus der Entwicklung), jene des Machtpromotors (er hat Entscheidungskompetenz) sowie jene des Beziehungspromotors (für Kommunikation und Kontakte zuständig). «Allerdings sind diese Rollen nicht per Job description zu vergeben. Man kann nur Bewusstsein dafür schaffen, dass es verschiedene Rollen braucht, um Innovation intern erfolgreich abzuwickeln», so Prügl.

13. Bekanntes Produkt, neuer Markt

Innovation bedeutet oft, etwas Bestehendes abzuwandeln oder in einen neuen Kontext zu transferieren. Reinhard Prügl: «Gerade Familienunternehmen können enorm profitieren, wenn sie sich fragen, wie die stärksten Kompetenzen im Unternehmen technisch weiterentwickelt, allenfalls miteinander kombiniert  werden und in neuen Märkten funktionieren könnten.» Seine ISAA-Methode, auch «Technological Competence Leveraging» genannt, 
unterstützt KMU in diesen Entwicklungsprozessen.

Atizo: Brainstorming auf der Online-Ideenplattform

Auf der Ideenbörse www.atizo.com suchen Unternehmen die zündende Idee: Sie umreissen ihre jeweilige Aufgabe, zu der anschliessend die ganze Atizo-Community mehrere hundert Ideen eingibt. Teilnehmen an dieser Community kann jede und jeder. Parallel laufen jeweils zwischen vier und sieben offene Projekte.

«Ideen finden» ist nur eine von mehreren Dienstleistungen. Das zehnköpfige Atizo-Team kann beispielsweise schon vor der Ideenfindung für den Workshop «Frage ausarbeiten» beratend beigezogen werden. Die Dienste des Ideenmarktes kosten, je nach Modulwahl, 5000 bis 30 000 Franken.

«Durch den softwaregestützten Prozess kommt der Kunde rasch voran», sagt Gründer und Geschäftsführer Christian Hirsig. Weitere Vorteile: «Wir bieten eine Art qualitative Marktforschung, die sogenannte Consumer Insight. Davon profitiert hat zum Beispiel auch die Migros-Tochter Bischofszell, die es mit dem Bio-Eistee ‹Glückstee› in nur sechs Monaten von der Atizo-Idee bis zum Produkt im Ladenregal schaffte.»

Mit Atizo, der innovationssuchenden Organisation und der Community sind drei Parteien am Werk. Was braucht es zum Erfolg? «Es ist wichtig, die Fragestellung klar und treffend zu formulieren», so Christian Hirsig. «Läuft die Ideenfindung, so sollte sich der Auftraggeber Zeit nehmen für die Moderation dieses Prozesses.» Moderieren bedeutet zum Beispiel, interessante Ideen fortlaufend auszuzeichnen oder sie mit Kommentaren zu versehen. Damit lässt sich der Ideenfindungsprozess auch lenken.  

Nach der Ideengenerierung können Firmen das Modul «Ideen auswählen» buchen: Neben der Selektion geht es hier auch darum, die ausgewählte «fremde» Idee mittels Anpassungen zur «Firmenidee» zu machen. Mit gutem Grund: «Externe Ideen setzen sich meist weniger gut durch als interne», so Hirsig.

Firmen können die Plattform auch für eine geschlossene Ideensuche nutzen, zum Beispiel nur mit den eigenen Mitarbeitenden und Kunden. Oder sie buchen eine Experten-Community, zu der Atizo beispielsweise 200 Ärzte einlädt.

 

Service

Studie «Corporate Creativity» von Jens-Uwe Meyer, Geschäftsführer «die Ideeologen»:
http://www.ideeologen.de/fileadmin/ideeologen/Medienordner/Downloads/Corporate%20Creativity%20Studie.pdf

Liste «50 Ways to Foster a Culture of Innovation» von Idea Champions:
http://www.ideachampions.com/weblogs/archives/2009/09/50_ways_to_fost_1.shtml

Ideen zu Kreativitätstechniken auf www.denkmotor.com («Tools» und «Bücher») und auf Wikipedia (Stichwort «Ideenfindung»).

 

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Franziska Meier ist Redaktorin und Produzentin mit langjähriger Erfahrung im Zeitungs- und Zeitschriftenbereich. Als Chefredaktorin des Magazins «fit im job» sowie als Fachredaktorin der Zeitschrift «HR Today» hat sie sich auf das Thema «Mensch, Arbeit & Gesundheit» spezialisiert. Zu ihren journalistischen Schwerpunkten gehören insbesondere Persönlichkeitsentwicklung, Coaching, Stressprävention und betriebliches Gesundheitsmanagement. Achtsamkeit praktiziert sie manchmal im Schneidersitz, öfter jedoch auf ihren Spaziergängen rund um den Türlersee.

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