Komplexe Aufgaben meistern

Die Angst vor der Eigenverantwortung nehmen

Proaktive Mitarbeitende sind eine grosse Entlastung für Führungskräfte. Doch nicht alle haben das Selbstbewusstsein, Herausforderungen eigenständig anzupacken. Deshalb müssen Unternehmen ein unterstützendes Umfeld sowie eine gesunde Fehlerkultur bieten – und gezielt Kompetenzen aufbauen.

In einem sich rasch verändernden und von Krisen geprägten Umfeld benötigen Unternehmen Mitarbeitende, die neuen Aufgaben beherzt angehen – und zwar eigeninitiativ. Deshalb achten sie beim Einstellen von Mitarbeitenden darauf, wie diese als Person ticken: Ergreifen sie gerne selbst die Initiative oder arbeiten sie bevorzugt Aufgaben gemäss den Vorgaben systematisch ab? Ein Werturteil ist hiermit nicht verknüpft, denn letztlich benötigen alle Unternehmen beide Mitarbeitertypen.

Handlungsspielräume erschaffen

Doch sind die Mitarbeitende mit dem gewünschten Persönlichkeitsprofil an Bord, ist nicht garantiert, dass diese im Alltag das gewünschte Verhalten zeigen, denn neben dem «Wollen» ist hierfür auch das «Können» und «Dürfen» wichtig.

Also müssen die Unternehmen für die erforderlichen Rahmenbedingungen für ein eigenständiges Arbeiten sorgen. Hierzu zählt es, den Mitarbeitenden die nötigen Entscheidungs- und Handlungsspielräume einzuräumen. Ausserdem muss in der Organisation eine Kultur bestehen, in der das Machen von Fehlern erlaubt ist. Sammeln Mitarbeitende die Erfahrung, dass sie bei Fehlversuchen sofort am Pranger stehen, versuchen sie die nächste schwierige Aufgabe erst gar nicht selbst zu lösen. Das führt zu einer Mehrbelastung der Führungskräfte. Also liegt es in ihrem Interesse, eine Kultur zu schaffen, die ihre Mitarbeitende zu einem eigenverantwortlichen Handeln motiviert.

Mitarbeitende befähigen

Genügend Handlungsspielraum nützt nichts, wenn Kompetenzen fehlen. Bei der Meisterung von neuen, komplexen Aufgaben gilt es bei Unsicherheiten Mitarbeitende zu unterstützen. Das setzt eine Kultur des Vertrauens und der Wertschätzung voraus, denn nur dann trauen sich die Mitarbeitende zu sagen, wenn sie an ihre Grenzen stossen.

Ziel der Unterstützung durch die Führungskraft sollte sein, dass Mitarbeitenden dank gesammelter Erfahrung selbstbewusst an komplexe Aufgaben herangehen. Das setzt ein bestimmtes Handeln und Selbstverständnis der Führungskraft voraus. Sie muss sich als Befähiger und Ermächtiger ihrer Mitarbeitenden verstehen.

Hierbei helfen die Untersuchungen des 2021 verstorbenen kanadischen Psychologen und Lerntheoretikers Albert Bandura. Ihm zufolge speist sich die Selbstwirksamkeit einer Person vor allem aus folgenden vier Quellen:

  1. Eigene Erfahrungen im Meistern schwieriger Situationen: Erfahrungen sind für den Ausbau der Selbstwirksamkeit wichtig. Denn wer schon wiederholt die Erfahrung gesammelt hat «Ich kann schwierige Aufgaben lösen», traut sich dies auch künftig zu.
     
  2. Lernen an Modellen und von Vorbildern: Beobachtet eine Person eine andere beim Lösen einer schwierigen Aufgabe, dann kann dies ihr Selbstvertrauen stärken – getreu der Maxime: «Wenn der oder die das kann, dann kann ich das auch!» Eine Voraussetzung hierfür ist: Zwischen den beiden Personen muss eine gewisse Ähnlichkeit bestehen, zum Beispiel biografisch.
     
  3. Soziale und emotionale Unterstützung: Durch Ermutigung gewinnen Menschen Vertrauen in ihre Fähigkeiten – jedoch nur, wenn sie der Person, die sie anspornt, die Kompetenz zum Beurteilen ihres Könnens zuschreiben. Ebenfalls positiv auf die Selbstwirksamkeit wirkt sich das Wissen aus: «Wenn es eng wird, habe ich Unterstützung» – fachliche und emotionale.
     
  4. Emotionale Zustände und Reaktionen: Verspürt man Herzrasen, wenn man vor einer Aufgabe steht, dann stellt sich unmittelbar das Gefühl von «Ich kann das nicht» ein, bevor die Machbarkeit überhaupt geprüft wurde. Deshalb ist es wichtig, die Ursachen der eigenen Emotionen analysieren zu können. Ist die Reaktion der Aufgabe angemessen oder handelt es sich um eine erste Schreckreaktion?

Die Mitarbeitende im Arbeitsalltag coachen

Die Kenntnis der Quellen der Selbstwirksamkeit ermöglicht es Führungskräften, im Arbeitsalltag eine passende Lernumgebung zu kreieren. Das heisst auch, Herausforderungen zu stellen, bei denen man zunächst vermutet: «Diese Aufgabe könnte mich überfordern». Denn an solchen Aufgaben wachsen wir.

Es ist sinnvoll, komplexe Aufgaben als gemeinsames Projekt anzugehen. Zunächst wird die Gesamtaufgabe in Teilaufgaben geteilt. Danach muss die Führungskraft ermitteln, ob den Mitarbeitenden die Gesamtaufgabe oder nur Teilaufgaben vor ihr erschauern lässt und was die genauen Gründe dafür sind. Fehlen Ressourcen und Kenntnisse? Mangelt es an Erfahrung? Könnten beim Lösen der Aufgabe Konflikte mit anderen Personen entstehen?

Ist dies ermittelt, können im Dialog mit den Mitarbeitenden ein Aktionsplan erstellt und aus den Teilaufgaben Teilziele abgeleitet werden, die es auf dem Weg zum grossen Ziel zu erreichen gilt. Zudem kann die nötige Unterstützung organisiert werden. Wichtig ist, dass die Führungskraft mit ihren Mitarbeitenden Lernfelder definiert, in denen sie Kompetenzen erhöhen möchten. Ausserdem sollten die Kriterien vereinbart werden, woran das Erreichen der Lernziele gemessen wird.

Sich in eine Lernspirale begeben

Die Teil- und Lernziele haben unterschiedliche Funktionen. Das Definieren von Teilaufgaben und -zielen soll den Mitarbeitenden helfen, einen Aktionsplan zu erstellen. Wird das Projektziel nicht erreicht, dann ermöglichen die Teilziele zu analysieren: Welche Teilaufgaben wurden mit Bravour gelöst und wo traten Schwierigkeiten auf? Das heisst, Mitarbeitende können ihr «Scheitern» relativieren. Das ist wichtig für das Selbstvertrauen.

Das Definieren von Lernzielen hat die Funktion, dass ermittelt werden kann, welche neuen Kompetenzen die Mitarbeitende erworben haben und welche vergleichbaren Aufgaben sie künftig meistern können. Ausserdem kann der noch bestehenden Entwicklungsbedarf ermittelt werden.

Unterstützen Führungskräfte ihre Mitarbeitende so beim Bewältigen herausfordernder Aufgaben, begeben diese sich in eine Lernspirale. Das führt zu einem systematischen Ausbau ihrer Kompetenz. Also steigen auch ihre Fähigkeit und ihr Selbstvertrauen, neue Herausforderungen beherzt anzugehen und zu meistern.

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Joachim Simon, Braunschweig, ist als Führungskräftetrainer und Vortragsredner auf das Thema (Self-)Leadership spezialisiert (www.joachimsimon.info). Er ist Autor des Buchs „Selbstverantwortung im Unternehmen“ und Co-Founder der (Self-)Leadership-Coaching-App Mindshine (www.mindshine.app).

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