HR Today Nr. 5/2016: Arbeit und Recht

Die Arbeitspause bei 
flexibler Arbeitszeit

Wer flexible Arbeitszeit gestaltet, muss den Arbeitspausen besondere Aufmerksamkeit widmen. 
Es gilt, Denksportaufgaben auf olympischem Niveau zu lösen. Ideal wäre, wenn der Verfasser des
Arbeitszeitreglements weiss, was das Arbeitszeiterfassungssystem leisten kann. Und wenn bei der
Parametrierung des Arbeitszeiterfassungssystems bekannt ist, welche Daten das System – gemäss 
Arbeitszeitreglement – ausweisen muss.

Lassen Sie mich die Problematik am Beispiel von Arbeitsverhältnissen schildern, die dem Eidgenössischen Arbeitsgesetz(1) unterstellt sind. Hier stehen für den Praktiker folgende drei Quellen im Zentrum seiner Überlegungen:

  1. 
Die Pausenregelung in Art. 15 des Arbeitsgesetzes (ArG)
  2. 
Die Pausenregelung in Art. 18 der Verordnung 1 zum 
Arbeitsgesetz (ArGV1)
  3. 
Die online verfügbaren Wegleitungen des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) zu diesen beiden Rechtsnormen.

Den Seco-Wegleitungen kommt zwar kein Gesetzescharakter zu. Dennoch setzen sich nicht nur Arbeitsrechtler, sondern auch Gerichte mit den Wegleitungen auseinander, wenn das Arbeitsgesetz zu interpretieren ist.(2)

Die Arbeitspause bei Gleitzeit

Angenommen, eine Büroangestellte arbeitet ein Vollzeitpensum in Gleitzeit, fünf Werktage die Woche. Berücksichtigt man die genannten drei Quellen, dann ergeben sich für unsere Büroangestellte folgende Pausenregeln:

  1. 
Die tägliche Arbeitszeit über fünfeinhalb Stunden muss zwingend durch eine Hauptpause unterbrochen werden.(3) In unserem Beispiel wäre das die grosse Mittagspause.
  2. 
Nebst der Hauptpause sind für Teilarbeitszeitblöcke über fünfeinhalb Stunden weitere Pausen vorzusehen.(4) Zu denken ist an die Vormittags- oder die Nachmittagsarbeit.
  3. 
Die vorgeschriebene Dauer der Pausen beträgt eine Viertelstunde bei einer Arbeitszeit von mehr als fünfeinhalb Stunden, eine halbe Stunde bei einer Arbeitszeit von mehr als sieben Stunden, eine Stunde bei einer Arbeitszeit von mehr als neun Stunden.(5)
  4. 
Je nach konkret geleisteter Arbeitszeit können sich anteilige und somit kürzere Pausenpflichten ergeben. Das Seco macht folgendes Beispiel: «Arbeitsbeginn: 6 Uhr, Arbeitsende: 13.20 Uhr, Präsenzzeit: 7 Stunden 20 Minuten. Es muss lediglich eine Mindestpause von 20 Minuten gewährt werden, da die effektive Arbeitszeit nicht mehr als 7 Stunden beträgt.»(6)
  5. 
Die Lage der Hauptpause muss um die Mitte der täglichen Arbeitszeit, die Lage der weiteren Pausen um die Mitte der Teilarbeitszeitblöcke liegen. «Pausen» am Anfang oder am Ende der Arbeitszeit sind keine «echten» Pausen im Sinne des Arbeitsgesetzes und gelten nicht als gewährt.(7)
  6. 
Bei flexiblen Arbeitsmodellen ist für die Berechnung der Dauer der Hauptpause auf die durchschnittliche tägliche Soll-Arbeitszeit abzustellen,(8) für die weiteren Pausen hingegen auf die am betreffenden Tag konkret geleistete Arbeitszeit.(9)

Sie meinen, es bis hierhin mehr oder weniger verstanden zu haben? Ich gratuliere – aber lassen Sie uns konkret werden.

Erfassung der Pausenzeit

Viele Arbeitszeiterfassungssysteme «verbuchen» Arbeitsunterbrüche generell als Pausen. Angenommen, unsere Beispiel-Angestellte arbeitet auf Basis eines durchschnittlichen täglichen Arbeits-Solls von 8,4 Stunden, entsprechend einer 42-Stundenwoche. Und angenommen, unsere Beispiel-Angestellte ist heute schon um 06.30 Uhr im Büro. Um 12.00 Uhr geht sie in die Mittagspause und kehrt um 13.30 Uhr zurück. Dann arbeitet sie bis um 20.00 Uhr durch. Welches Arbeitszeiterfassungssystem würde hier einen Regelverstoss ausweisen? Nicht jenes, bei dem lediglich hinterlegt ist, bei einer Arbeitszeit von über neun Stunden sei eine gesamte Pausenzeit von einer Stunde einzuhalten. Denn hier wurde bei einer Arbeitszeit von zehn Stunden ja sogar eine Pausenzeit von eineinhalb Stunden eingehalten.

Richtig ist aber: Die Morgenarbeit unserer Beispiel-Angestellten dauerte unter fünfeinhalb Stunden. Arbeitsgesetzlich war also keine Pause nötig. Die Mittagspause dauerte eineinhalb Stunden. Davon war aber nur eine halbe Stunde als «arbeitsgesetzliche» Hauptpause anrechenbar, denn bei einer durchschnittlichen täglichen Soll-Arbeitszeit von 8,4 Stunden ist eine Mindesthauptpause von einer halben Stunde einzuhalten. Die restliche Stunde der eineinhalbstündigen Mittagspause war ein arbeitsgesetzlich nicht relevanter Arbeitsunterbruch. – Am Nachmittag fiel (von 13.30 Uhr bis 20.00 Uhr) ein Teilarbeitszeitblock von sechseinhalb Stunden an. Arbeitsgesetzkonform hätte um die Mitte dieses Blocks (so um 15.40 Uhr) eine viertelstündige Pause eingehalten werden müssen.

Dass die Mitarbeiterin um 13.30 Uhr vielleicht noch gar nicht wusste, dass sie heute so lange (nämlich bis 20.00 Uhr) arbeiten würde, ist ein Problem, das weder das Gesetz noch die Seco-Wegleitung löst. Persönlich würde ich es (entgegen der Haltung des Seco) für gut vertretbar und mit geltendem Recht für vereinbar halten, wenn bei flexiblen Arbeitszeitmodellen alle Pausen, und nicht nur die Hauptpause, auf Basis der durchschnittlichen täglichen Soll-Arbeitszeit berechnet würden.

Nach geltender Rechtslage müssten Arbeitszeiterfassungssysteme idealerweise also zwischen arbeitsgesetzlich relevanten Pausen und übrigen Arbeitsunterbrüchen unterscheiden können. Im besten Fall könnten die Systeme zudem die Lage der Pause erkennen, denn nur Pausen, die um die Mitte der Arbeitszeit bezogen werden, sind arbeitsgesetzlich anrechenbar. Naturgemäss ist die Wendung «um die Mitte der Arbeitszeit» ein interpretierbarer Begriff. Was noch als «Mitte der Arbeitszeit» gelten kann, könnte im Arbeitszeiterfassungssystem durch Toleranzwerte um die arithmetische Mitte der Tagesarbeit oder des Teilarbeitszeitblocks definiert werden.

Ihnen schwirrt der Kopf? – Die wahre Kunst ist nicht, die Rechtslage zu verstehen, sondern flexible Arbeitszeitreglemente zu entwerfen mit einfachen und gut verständlichen Pausenregeln – trotz der Komplexität des Arbeitsgesetzes.

In meinem nächsten Artikel zur Arbeitszeit folgen wir der Spur eines Phantoms: der bezahlten Pause. Viele Unternehmenskunden, für die ich Gleitzeitreglemente entwerfe, möchten der Belegschaft am Morgen und am Nachmittag bezahlte viertelstündige Kaffeepausen zugestehen – die in Wahrheit keine sind.

Quellen

  • 1 
Bundesgesetz über die Arbeit in Industrie, Gewerbe und Handel (Arbeitsgesetz, ArG; SR 822.11).
  • 2 
Siehe beispielsweise BGE 2C_462/2011 vom 09.05.2012 oder das Urteil des Arbeitsgerichts Zürich vom 21.08.2007 (Verfahren AN060891).
  • 3 Art. 15 Abs. 1 ArG.
  • 4 Art. 18 Abs. 2 ArGV1.
  • 5 Art. 15 Abs. 1 ArG i.V.m. Art. 18 Abs. 2 ArGV1.
  • 6 
Seco-Wegleitung zu Art. 15 Abs. 1 lit. b ArG, Stand 
November 2006.
  • 7 
Seco-Wegleitung zu Art. 15 ArG, Allgemeines, Stand 
November 2006.
  • 8 18 IV ArGV1.
  • 9 Seco-Wegleitung zu 18 IV ArGV1, Stand November 2006.
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Dr. Heinz Heller 
praktiziert als Fachanwalt SAV Arbeitsrecht. Er berät überwiegend Arbeitgeber und Manager.

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