Porträt: Nathalie Leschot

Die Architektin des Kulturwandels bei der Suva

Nathalie Leschot ist seit 2021 Personalchefin der Suva. In einem Umfeld digitaler und organisatorischer Transformation leitet sie mehrere grosse HR-Projekte – mit Fokus auf kultureller Entwicklung und digitalem Wohlbefinden. 

Sie hetzt von Sitzung zu Sitzung und vermittelt uns trotzdem den Eindruck, alle Zeit der Welt zu haben. Nathalie Leschot gehört zum kleinen Kreis einflussreicher HR-Leitungen, die ikonische Organisationen der modernen Schweiz steuern. Die Suva, 1912 vom Bundesrat gegründet, ist die grösste Unfallversicherung des Landes und beschäftigt heute 4750 Mitarbeitende, einschliesslich ihrer beiden Rehabilitationskliniken in Bellikon (Aargau) und Sitten. Organisatorisch liegt die Suva irgendwo zwischen der Bürokratie der Bundesverwaltung und der Dynamik eines grossen privaten Unternehmens. 

Nathalie Leschot empfängt uns in ihrem Büro am Hauptsitz Fluhmatt in Luzern. Das Gebäude wirkt mit seiner bundeshausähnlichen Kuppel und klösterlichen Ausstrahlung imposant. 1918 eingeweiht, wurde es zunächst zur Versorgung von Kriegsverletzten des Ersten Weltkriegs genutzt. «Ich reise viel durchs Land, um unsere 18 Standorte zu besuchen», sagt sie. «Kein Tag gleicht dem anderen, da sich mein Arbeitsumfeld ständig ändert – ob hier am Hauptsitz in Luzern, unterwegs, in unseren Agenturen oder zu Hause», ergänzt sie und setzt sich vor ein farbenfrohes Bild, das ihr Team gestaltet hat. Diese neue Nutzung der Arbeitsräume ist Teil des kulturellen Wandels, den die Schweizer Institution durchläuft.

Systemische Herangehensweise


Nathalie Leschot sieht sich als Architektin des Wandels und betont die systemische Dimension der Veränderungen bei der Suva. Die 2019 eingeleitete digitale Transformation wirkt sich auf Organisation, Prozesse, Unternehmenskultur, Arbeitsräume, Tools und Wohlbefinden aus. «Meine Rolle ist es, die Leistungsorientierung mit dem Wohlbefinden der Mitarbeitenden zu vereinen», fasst sie zusammen. 


«Die Suva setzt heute  auf Vertrauen, Autonomie  und die Mitwirkung aller  Mitarbeitenden.»
– Nathalie Leschot

Die Entwicklung der Führungskultur steht sinnbildlich für diesen Wandel. Statt auf eine kontrollierende Hierarchie mit klaren Zielvorgaben und strikten Weisungen setzt die Suva heute auf Vertrauen, Autonomie und Mitwirkung der Mitarbeitenden. «Dieser Mentalitätswandel ist ein langfristiger Prozess. Wir müssen uns den Veränderungen der Gesellschaft anpassen», analysiert sie.


Vom schwarzen Mantel zum digitalen


Die Suva musste auch immer wieder auf wirtschaftliche Entwicklungen reagieren. Aus einer monopolistischen Position – symbolisiert durch eine starke Hierarchie und Inspektoren in langen schwarzen Ledermänteln auf den Baustellen – wurde sie in den 1980er-Jahren durch das neue Unfallversicherungsgesetz mit Marktöffnung zum Wettbewerb gezwungen. 

Nathalie Leschot von der Suva sitzt an einem runden Tisch in einem Gespräch mit zwei Personen. Sie gestikuliert während sie spricht, auf dem Tisch liegen Notizen, Wasserflaschen und Gläser. Im Hintergrund hängt ein buntes Wandbild mit abstrakten Motiven. Die Atmosphäre wirkt konzentriert und professionell.


Die finanzielle Stabilität der Suva geriet unter Druck, es folgten mehrere Restrukturierungen. Ende der 1990er-Jahre schrieb die Suva wieder schwarze Zahlen und begann, ihre Rückstellungen in Immobilien und Finanzprodukte zu investieren. Ausgehend von ihrer ursprünglichen Rolle als Unfallversicherung entwickelte sie über die Jahrzehnte zusätzliche Expertisen in Arbeitsmedizin, in der Prävention nichtberuflicher Unfälle und in der Reha – Letzteres über die beiden 1974 und 1999 eröffneten Kliniken. Die laufende digitale Transformation ist somit nur ein weiteres Kapitel in ihrer Geschichte.

Den Menschen auch intern ins Zentrum rücken


Als Nathalie Leschot 2021 die HR-Leitung übernimmt, sind die technologischen und organisatorischen Dimensionen des Wandels bereits im Gange. Die Fallbearbeitung ist digitalisiert, die Kundenberatung überarbeitet, die Agenturen in den Regionen mit neuen Rollen und Verantwortlichkeiten organisiert. Am 1. Januar 2022 geht es vom Papier in die Alltagspraxis. «Diese Transformation war notwendig, jedoch wurde die menschliche Dimension unterschätzt. 


«Die Transformation war notwendig, aber die menschliche Dimension wurde unterschätzt.»
– Nathalie Leschot

Entsprechend war es meine Aufgabe, den kulturellen Wandel zu benennen und unsere Personalpolitik anzupassen. Von einer teilweise noch auf die drei «K» ausgerichteten Führungskultur – Kommandieren, Kontrollieren, Korrigieren – bewegen wir uns hin zu einer Kultur des Vertrauens, basierend auf dem ECOS-Modell (Environment, Cultural Cohesion, Organisation, Societal)», erklärt Leschot. Konkret: mehr Feedback und Dialog, besseres Change Management, Förderung des kontinuierlichen Lernens, Fehlerkultur und Vertrauen.

Puls-Checks und Roadshows


Bei der Neudefinierung der Leadership-Kultur bezieht Nathalie Leschot die Führungskräfte mit ein. «Wenn wir beim kulturellen Wandel mehr Mitwirkung der Basis wünschen, müssen wir die Mitarbeitenden einbinden.» Sie führt deshalb einmal pro Jahr Puls-Checks durch (Online-Minibefragung von 20 Minuten), um zu erfahren, wie die Veränderungen vor Ort wahrgenommen werden – mit rund 70 Prozent Teilnahmequote. Alle vier Jahre folgt eine umfassende Zufriedenheitsumfrage. 

Chronologisch wurde zuerst operativ und organisatorisch transformiert, die Verankerung in der Personalpolitik folgte darauf. Seit Januar 2022 packt Leschot dieses Thema an und hat parallel ein HR-Transformationsprojekt hin zu einer bimodalen Organisation gestartet – einerseits mit HR-Kompetenzzentren wie Services und IT, HR-Beratung, Rekrutierung, Entwicklung und Kultur; andererseits mit einem Bereich zur Umsetzung der Personalstrategie und fürs Controlling. Sie setzt zudem ein Roadshow-Format ein, um die Vision und Strategie der Personalpolitik schweizweit zu erklären.

Von der Unternehmensstrategie ausgehen


Was rät Nathalie Leschot rückblickend für eine erfolgreiche Transformation? «Die Unternehmensstrategie gut verstehen. Wenn man die Bedürfnisse interner und externer Kundinnen und Kunden nicht kennt, wird man sie kaum gut begleiten können. 

Nathalie Leschot von der Suva steht auf einer Terrasse mit Blick auf die Stadt Luzern. Im Hintergrund sind der Vierwaldstättersee, historische Gebäude und die Alpen zu sehen. Sie schaut selbstbewusst in die Kamera und hält sich mit beiden Händen am Geländer fest.


Danach braucht es einen Rahmen – verkörpert durch eine Personalstrategie und einen Aktionsplan. Diese Etappe ist essenziell. Der Rahmen muss kulturelle Aspekte enthalten, etwa Vertrauenskultur, Entwicklung, Performance und Wohlbefinden in Bezug auf Gesundheit/Sicherheit, aber auch Digitalisierung. Jede Person sollte unter gleichen Bedingungen ihr berufliches und persönliches Wohl entfalten können.»

Nicht alles gleichzeitig verändern


Ein Fehler, den es zu vermeiden gilt? «Wir haben alle Veränderungen parallel initiiert. Das war vielleicht etwas ambitioniert. Beim nächsten Mal würde ich eher eine schrittweise Herangehensweise wählen», sagt sie mit einem Lächeln. Die organisatorische und kulturelle Transformation sei für manche Führungskräfte nicht einfach gewesen. «Die Agenturleiter mussten gewisse Aufgaben an den Hauptsitz abgeben, um mehr Zeit für die Kundenbeziehungen zu haben. Einige Personen sind in dieser Zeit in den Vorruhestand gegangen.» Ihr Rat: «Ins Change Management investieren. So viele Informationen wie möglich geben und immer wieder erklären, warum die Veränderungen notwendig sind. Eine gute Kommunikation im Vorfeld, wiederholt und über verschiedene Kanäle, lohnt sich sehr.

Prädiktives HR und digitales Wohlbefinden


Welche HR-Herausforderungen stehen derzeit an? «Wir analysieren prädiktive HR-Modelle, um aus unseren Daten und den Puls-Checks wertvolle Erkenntnisse zu gewinnen. Auch das digitale Bewusstsein liegt uns am Herzen: Wir haben einen digitalen Codex erstellt, der unsere Erwartungen an die Kultur in und mit der Arbeit beschreibt – zum Beispiel das Recht auf Nicht-Erreichbarkeit, Anzahl von Meetings, E-Mail-Management. Zudem bieten wir Schulungen zu digitalem Stress.» Homeoffice ist zu 50 Prozent erlaubt, doch im Schnitt sind die Mitarbeitenden 60 Prozent der Zeit im Büro. 


«Wir haben einen digitalen Codex erstellt, der unsere Erwartungen an die Kultur in und mit der Arbeit beschreibt.»
– Nathalie Leschot

Virtuelle Meetings gelten als Stressfaktor – Sitzungen vor Ort sind meist angenehmer. Seit dem 1. Januar 2025 gelten auch ein neues Lohnsystem und neue Nebenleistungen: Mitarbeitende mit sieben Dienstjahren erhalten einen zweiwöchigen Sabbatical-Anspruch (kombinierbar mit sechs Wochen regulären Ferien). Sie selbst kumulierte 2024 Ferien für eine Auszeit, um mit ihrer Familie durch Australien zu reisen. «Das hat mir erlaubt, komplett abzuschalten und meine Batterien aufzuladen», sagt sie mit einem Lächeln.

Sabbatical in Australien


Geboren in Biel, studierte Nathalie Leschot auf Französisch und lernte Schweizerdeutsch mit Freundinnen und Freunden. Ihre Eltern arbeiteten im Bankwesen – ein Weg, den auch sie nach ihrer Grundausbildung bei der Berner Kantonalbank (BEKB) einschlug. Danach reist sie um die Welt (Hongkong, China, Neuseeland und Australien) und trat darauf in die UBS ein. Nach einem kurzen Abstecher ins Sozialwesen studierte sie in Bern Erziehungswissenschaft und arbeitete Teilzeit am SANU in Biel, wo sie erste HR-Verantwortung übernahm. Ihre Diplomarbeit schrieb sie bei «Rolex». 

Die Uhrenmarke betraute sie anschliessend mit der Leitung der Berufsbildung in Biel. Fünf Jahre blieb sie, unter anderem um die Arbeitswelten von «Rolex» in Genf und Biel zu harmonisieren. Nach einem Nachdiplomstudium in Unternehmensentwicklung an der FHNW in Olten wurde sie an der Eidgenössischen Hochschule für Berufsbildung (EHB) als Unternehmensberaterin angestellt und übernahm dort interimistisch die HR-Leitung. Danach ernannte Stadtpräsident Hans Stöckli sie zur HR-Leiterin der Stadt Biel. Es folgten ein EMBA an der Berner Fachhochschule – und 2021 schliesslich der Wechsel zur Suva. Als Mutter eines Jugendlichen bezeichnet Nathalie Leschot «Beruf und Familie zu vereinbaren und dabei auf ein gutes Gleichgewicht der eigenen Ressourcen zu achten» als ihren grössten Erfolg.

Suva

Die Suva (Schweizerische Unfallversicherungsanstalt) ist eine öffentlich-rechtliche Unternehmung mit Sitz in Luzern. Sie ist die grösste Trägerin der obligatorischen Unfallversicherung in der Schweiz und deckt primär Berufsunfälle, Nichtberufsunfälle sowie Berufskrankheiten ab. Neben Versicherungsleistungen erbringt die Suva auch umfassende Präventions- und Rehabilitationsdienstleistungen. Finanziert wird sie durch Prämien der versicherten Betriebe und Personen, nicht durch Steuergelder. Sie beschäftigt derzeit 4750 Mitarbeitende.

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Marc Benninger ist Chefredaktor der französischen Ausgabe von HR Today.

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