«Du gewinnst nur als Team»
Stefan Andexer, Chief Human Resources Officer bei Lidl Schweiz, versteht seine Funktion als Businesspartner auf Augenhöhe – mit gelebter Nähe zu den Mitarbeitenden und strategischem Weitblick.

Stefan Andexer legt Wert auf Teamplay. (Bild: Aniela Lea Schafroth)
Erst auf den zweiten Blick wird klar: Nein, wir haben uns nicht in der Adresse geirrt. Der Hauptsitz von Lidl Schweiz in Weinfelden, entworfen vom renommierten Architekturbüro Itten+Brechbühl, strahlt eine moderne Zurückhaltung aus. Zwei gläserne Obergeschosse scheinen über einem massiven Betonsockel zu schweben, dessen klare Linien eher an ein Design-Statement als an einen Verwaltungssitz erinnern. Auch das Logo überrascht: Statt in der bekannten gelb-blau-roten Farbwelt steht es in schlichter Sichtbeton-Optik vor dem Eingang.
Im Inneren setzt sich der Eindruck fort. Stefan Andexer, seit 2021 Chief Human Resources Officer (CHRO) bei Lidl Schweiz, führt durch die lichtdurchfluteten, offen gestalteten Büroflächen. Ein Innenhof bringt viel Tageslicht, die zentrale Treppe aus Eichenholz verbindet alle Etagen und dient gleichzeitig als Sitzarena. «Hier führen wir unsere Townhall-Meetings durch», erklärt Andexer. «So haben alle beste Sicht auf den CEO und die Geschäftsleitung.» Der Hauptsitz ist ein Ort der Begegnung: Grossraumbüros gehen nahtlos in Einzelarbeitsplätze über, Lounge-Zonen mit Sofas und Kaffee-ecken fördern spontane Gespräche. Die Lidl-Farben tauchen dezent auf Sitzwürfeln auf, bedruckt mit den Werten des «#teamlidl»: Leistung, Respekt, Vertrauen, Bodenständigkeit und Verbundenheit. Im Erdgeschoss gibt es eine grosszügige, von SV betriebene Kantine sowie ein modernes Fitnessstudio. Im Nebengebäude: ein Kinderhort, offen auch für Externe. «Immer wieder staunen die Besucherinnen und Besucher, wie toll es bei uns aussieht», sagt Andexer mit sichtbarem Stolz und einem Augenzwinkern: «Natürlich hilft das auch beim Rekrutieren.»
«Der coolste Job, den man haben kann»
Schon nach wenigen Sätzen wird deutlich, mit wie viel Überzeugung Stefan Andexer seine Rolle als Chief Human Resources Officer ausfüllt. «Es ist so ziemlich der coolste Job, den man haben kann», sagt er mit hörbarem Stolz. Seit 2021 ist er bei Lidl Schweiz verantwortlich dafür, gemeinsam mit seinem HR-Team die Arbeitsbedingungen für die rund 4800 Mitarbeitenden weiterzuentwickeln, das Wachstum des Unternehmens zu begleiten und Lidl als attraktiven Arbeitgeber im umkämpften Schweizer Markt zu positionieren.
«Es ist so ziemlich der coolste Job, den man haben kann.»
– Stefan Andexer
Was ihn besonders reizt, ist die Vielfalt. «Ich habe mit ganz unterschiedlichen Menschen zu tun – aus 187 Filialen, 2 Logistikzentren und der Zentrale. Die Anforderungen sind verschieden, aber das Ziel ist überall dasselbe: Unsere Kundschaft soll moderne Filialen mit frischen Produkten und freundlichen Mitarbeitenden erleben.» Andexer spricht mit grosser Wertschätzung über die Belegschaft – von der Hochschulabsolventin bis zur Teilzeitmutter, die morgens Brot aufbackt: «Das Schöne an HR ist, auf diese Lebensrealitäten eingehen zu dürfen – und zu sehen, wie alle am gleichen Ziel arbeiten.» Im Zentrum steht für ihn die Verbundenheit: «Du gewinnst nur als Team – und genau dieses Gefühl ist bei Lidl stark spürbar, vom CEO bis zu den Kolleginnen und Kollegen in den Filialen.» Ebenso wichtig ist ihm Bodenständigkeit – ein Wert, der ihn seit seiner Kindheit im Salzburger Bergtal begleitet. «Diese Prägung habe ich nie abgelegt – und vielleicht ist es genau das, was mich bei Lidl, aber auch in der Schweiz, so heimisch fühlen lässt.»
Eine klassische Lidl-Karriere
Der Weg von Stefan Andexer an die Spitze der Personalabteilung von Lidl Schweiz beginnt nach seinem Studium der internationalen Wirtschaft – wie so viele Karrieren bei Lidl – ganz am Anfang der Karriereleiter, in der Filiale. «Ich bin vor 17 Jahren bei Lidl Österreich eingestiegen, klassisch im Traineeship zum Verkaufsleiter – heute sagt man Regionalleiter dazu», erzählt er rückblickend. «Da lernt man wirklich alles von der Pike auf: Regale einräumen, putzen, Bestellungen machen – einfach sämtliche Filialprozesse, mit dem Ziel, später fünf bis sechs Filialen zu führen.» Für Andexer wurde dieser Anspruch schnell Realität. Fünf Jahre lang leitete er sechs Filialen – zunächst in Vorarlberg, später in Tirol. Die operative Nähe, die er heute so schätzt, hat hier ihre Wurzeln.
Doch dann folgt ein Bruch – zumindest auf den ersten Blick. «Ich hatte immer den Traum, eine Weltreise zu machen. Und ich sagte mir: Wenn ich das nicht vor dreissig mache, mache ich es wahrscheinlich nie.» Also kündigt er – trotz hoher Zufriedenheit im Unternehmen – und reist acht Monate durch die Welt. «Das war eine prägende Zeit. Und das Schöne war: Als ich zurückkam, konnte ich bei Lidl wieder einsteigen – diesmal im Headquarter von Lidl Österreich.» Dort beginnt seine zweite Laufbahn – diesmal im HR. Zunächst bringt er sein ausgeprägtes Praxiswissen in Projekte der Personalentwicklung ein, arbeitet eng mit der Personalabteilung zusammen und wechselt schliesslich ganz in diesen Bereich. «Das war der Moment, in dem ich wusste: Das ist mein Weg. Ich fühlte mich im HR richtig gut aufgehoben – und konnte gleichzeitig meine betriebliche Erfahrung einbringen.» Bald übernimmt er die Leitung der Personalentwicklung. Der nächste Karriereschritt folgt mit der interimistischen Übernahme der HR-Leitung – eine Rolle, die er 14 Monate lang ausfüllt. «Dann kam die Chance, international noch einmal etwas Neues kennenzulernen – über ein internes Entwicklungsprogramm wechselte ich zu Lidl Grossbritannien.»
«Da lernt man wirklich alles von der Pike auf: Regale einräumen, putzen, Bestellungen machen.»
– Stefan Andexer
Schliesslich folgt der Ruf aus der Schweiz. «Als ich gefragt wurde, ob ich mir die Rolle des CHRO bei Lidl Schweiz vorstellen könnte, war ich sehr erfreut. Nach sieben Monaten in London kam ich in Weinfelden an – einer etwas kleineren Stadt, aber umso schöner.» Inzwischen ist Andexer seit über dreieinhalb Jahren hier – und fühlt sich wohl, wie er sagt, beruflich wie persönlich. «Ich bin gern in der Natur und jogge oft, und auch am Wochenende zieht es mich in die Berge oder an den Bodensee.
Freiheit trotz Internationalität
Obwohl Lidl in 32 Ländern tätig ist, geniesst Stefan Andexer in seiner Rolle als CHRO von Lidl Schweiz grossen Gestaltungsspielraum. «Natürlich gibt es gewisse Standards – etwa SAP SuccessFactors für Recruiting, Talentmanagement und Learning», erklärt er. «Aber bei strategischen HR-Themen, Leadership-Programmen oder der Rekrutierung haben wir viel Eigenständigkeit. Das ist einer der Gründe, warum ich meine Rolle so schätze.» Die Balance zwischen internationalen Vorgaben und lokaler Anpassung sieht Andexer als Erfolgsfaktor. «Wir übernehmen Best Practices, passen sie aber an die Gegebenheiten des Schweizer Arbeitsmarkts an.» Besonders der regelmässige Austausch mit HR-Kolleginnen und -Kollegen aus Deutschland und Österreich bringe wertvolle Impulse.
Das Lidl-HR ist entlang des Employee Life Cycles organisiert und besteht aus drei Clustern: Recruiting & Employer Branding, Talent & Engagement sowie Services & Systeme. Recruiting zielt auf Sichtbarkeit und Besetzung, Talent & Engagement auf Führung, Bindung und Gesundheit, Services & Systeme auf Prozesse, Payroll und Reporting. «Gerade die Arbeit im Hintergrund – unsere Torwart-Funktion – ist essenziell fürs Team.»
«Gerade die Arbeit im Hintergrund – unsere Torwart-Funktion – ist essenziell fürs Team.»
– Stefan Andexer
Als CHRO ist Andexer Teil der Geschäftsleitung von Lidl Schweiz. «So bin ich in alle strategischen Themen eingebunden und kann die HR-Strategie entsprechend anpassen», betont er. «Beides muss Hand in Hand gehen – das tun wir hier bei Lidl sehr konsequent.» Die starke Stellung von HR sei nicht nur organisatorisch, sondern auch kulturell verankert: «Ich glaube, dass man bei uns im Unternehmen spürt, welchen hohen Stellenwert HR hat.» Weiter liegen auch Arbeitsrecht und Compliance in Andexers Verantwortung.
Dezentral organisiertes HR für mehr Nähe
Trotz seiner Rolle in der Geschäftsleitung ist Stefan Andexer nah dran an der operativen Realität. «Wir arbeiten dezentral mit klaren HR-Strukturen in den Regionen», erklärt er. «In jeder unserer Regionalgesellschaften gibt es einen eigenen HR-Leiter oder eine HR-Leiterin, mit denen ich im regelmässigen Austausch stehe.» Es sei kein Reporting-Verhältnis im klassischen Sinn, sondern ein partnerschaftlicher Dialog – geprägt von gegenseitigem Vertrauen und operativer Nähe. Zudem nehme er sich bewusst Zeit, regelmässig selbst in die Filialen und Verteilzentren zu fahren.
«Aber die wichtigste Rolle spielen unsere HR-Teams vor Ort – sie sind die Brückenbauer zwischen Zentrale und Fläche», betont Andexer. Diese regionale HR-Verankerung sei entscheidend für eine wirksame Personalstrategie: «Wir haben Aus- und Weiterbildungsangebote direkt vor Ort, Vertrauenspersonen, die nah an den Teams sind, und eigene Recruiterinnen und Recruiter, die sich in den lokalen Arbeitsmärkten auskennen.» Besonderes Augenmerk legt Lidl Schweiz auf die sprachliche und kulturelle Nähe in den Landesregionen. «Gerade in der Romandie und im Tessin ist es wichtig, dass wir HR-Mitarbeitende haben, die nicht nur die Sprache sprechen, sondern auch mit den kulturellen Eigenheiten vertraut sind. Nur so können wir ein echtes Näheverhältnis zu den Mitarbeitenden aufbauen – unabhängig davon, wo sie arbeiten.»
Führung über Empowerment
Diese gelebte Nähe spiegelt sich in Andexers Führungsstil wider. «Empowerment ist mir enorm wichtig», sagt er. «Alle im Team sollen die Kompetenz haben, im jeweiligen Verantwortungsbereich selbständig zu handeln, Entscheidungen zu treffen und Lösungen zu entwickeln.» Eine Organisation, die nur funktioniert, wenn der Chef anwesend ist, sei aus seiner Sicht nicht zukunftsfähig. «Ich verstehe mich eher als Sparringspartner meines Teams – jemand, der unterstützt, reflektiert, aber nicht alles vorgibt.» Sein Führungsverständnis ist klar stärkenorientiert. «Ich bin ein grosser Fan von Positive Leadership», erklärt er. «Mich interessiert: Wo liegen die Stärken eines Menschen? Und wie können wir diese bestmöglich ins Team einbringen?» Das sei nicht nur motivierend für die Einzelnen, sondern auch effizient für die Organisation. «Wenn jemand seine Stärken leben darf, ist die Performance besser – und das Betriebsklima gleich mit.»
Attraktivste Anstellungsbedingungen bieten
Fünfmal in Folge wurde Lidl Schweiz als «Top Employer» ausgezeichnet – eine Anerkennung, die Stefan Andexer mit Stolz, aber ohne Überhöhung entgegennimmt. «Das freut uns natürlich sehr», sagt er. «Wichtiger ist aber, dass wir uns als Arbeitgeber laufend weiterentwickeln – und das gelingt nur mit einem starken, motivierten HR-Team.»
Diese Weiterentwicklung zeigt sich besonders bei den Rahmenbedingungen. «Wir bieten das attraktivste Gesamtpaket im Detailhandel», sagt Andexer – mit einem Mindestlohn von 4600 Franken für Ungelernte, einer 41-Stunden-Woche und überdurchschnittlichen Sozialleistungen. Besonders betont er die Vorsorge: «Wir verzichten bewusst auf den Koordinationsabzug – jeder Lohnfranken ist BVG-versichert.» Er nennt ein Beispiel: Für eine Mitarbeitende im 70-Prozent-Pensum bedeutet das rund 1850 Franken mehr pro Jahr in der Pensionskasse im Vergleich zur gesetzlichen Lösung. Auch der eigene Gesamtarbeitsvertrag sei Ausdruck der Überzeugung, dass sich faire Bedingungen lohnen – in Form von hoher Loyalität und wenig Fluktuation.
Kultur gezielt stärken
Doch nicht nur das Materielle macht den Unterschied. «Wie wir zusammenarbeiten, wie Führung gelebt wird – das ist mindestens so wichtig wie Lohn und Leistungen.» 2024 initiierte Lidl einen konzernweiten Kulturentwicklungsprozess. Herzstück sind die Werteschmieden: Workshops in allen Teams, in denen reflektiert wird, wie die Lidl-Werte konkret gelebt werden – und wohin die Reise geht. «Wenn wir Kultur nicht aktiv gestalten, gestaltet sie sich selbst.»
Auch das Thema Weiterbildung hat bei Lidl Schweiz einen hohen Stellenwert. Das Angebot reicht von Programmen für Lager- und Filialteams bis zur Zentrale. Hervorzuheben ist die neu geschaffene Leadership Academy, mit einer klaren Entwicklungslinie von der Filialassistentin oder dem Filialassistenten bis zur Filialleitung. Ergänzt wird das durch ein unternehmensweites Mentoringprogramm – informell, vertraulich und mit aktiver Beteiligung der Geschäftsleitung.
«Jeder Lohnfranken ist BVG-versichert.»
– Stefan Andexer
Das gelebte Arbeitsumfeld nach aussen zu tragen, ist ebenfalls Teil der Strategie. «Wir setzen beim Employer Branding stark auf Storytelling und unsere eigenen Mitarbeitenden.» Ein Highlight war 2024 die neu gestaltete Lernendenkampagne: mit frischem Layout, besseren Benefits – etwa einem SBB-Generalabonnement und einem Handyabo – und einem kreativen Highlight: dem Musikvideo «BIG», produziert gemeinsam mit den Schweizer Musikern L Loko und Drini. In den Hauptrollen: die Lidl-Lernenden selbst. «So bringen wir Botschaften wie ‹Big Boss›, ‹Big Future› oder ‹Big Chance› direkt und glaubwürdig zur jungen Zielgruppe.» Ein besonderer Höhepunkt für die Lernenden ist zudem die Projektwoche, in der Drittlehrjahr-Lernende für mehrere Tage eigenständig eine Filiale leiten.
Ein weiteres wichtiges Thema sei das betriebliche Gesundheitsmanagement (BGM) – beispielsweise ist Lidl Schweiz mit dem Label «Friendly Work Space» von Gesundheitsförderung Schweiz ausgezeichnet. «Wir wollen unser BGM strukturiert und langfristig angehen – einerseits für unsere Mitarbeitenden, andererseits aus wirtschaftlicher Sicht.» Dazu gehören Gesundheitstage wie der Stolperparcours im Lager, individuelle Gesundheitsberatungen und psychologische Unterstützung. Lidl beschäftigt drei ausgebildete Psychologinnen als interne Vertrauenspersonen. Ergänzend werden über eine Partnerschaft mit Instahelp mehrsprachige psychologische Online-Beratungen angeboten. «Beides wird gut genutzt, aber die Nähe zu unseren Vertrauenspersonen macht sie besonders gefragt.»
Langweilig wird es nicht
Auch für die kommenden Jahre sieht Stefan Andexer im HR von Lidl Schweiz viele Handlungsfelder. Neben dem Ausbau digitaler HR-Tools und der weiteren Stärkung der Arbeitgebermarke stehen kulturelle und strukturelle Themen im Fokus. «Wir wollen weiterhin positiv überraschen – mit fairen Arbeitsbedingungen, echter Teamorientierung und gezielten Entwicklungswegen für alle unsere Mitarbeitenden.» Der Anspruch sei hoch, doch die Motivation im Team ebenso gross. «Ich sehe so viel Potenzial – im Unternehmen und in den Menschen. Und genau das macht meinen Job aus: die richtigen Rahmenbedingungen zu schaffen, damit sich dieses Potenzial entfalten kann.».