Porträt: Lea Andrist

Die Betriebsame

Lea Andrist kennt keine Pausen. Die Entwicklung ihres KMU beschäftigt sie auch in der Freizeit. Wie es dazu kam und was die zweifache Mutter aus der Geschäftsgründung lernte.

Ein fröhlicher kleiner Hund wuselt um die Beine eines Mitarbeiters, als wir die Räumlichkeiten von HR Andrist im baselländischen Reinach betreten. «Das ist nur einer von dreien», sagt Lea Andrist, Geschäftsführerin und Inhaberin, welche die Vierbeiner über alles liebt und selbst einen Hund hat: «Sie verbreiten eine gute Stimmung und schweissen die Mitarbeitenden zusammen.» Beispielsweise bei einem Spaziergang über Mittag. Nicht jeder Mitarbeitende dürfe sein Tier aber «einfach so» ins Büro mitbringen: «Sie müssen mit ihrem Hund zuerst ein Coaching absolvieren.» Da nicht alle Tiere miteinander auskämen, seien nie alle gleichzeitig da. Das aus gutem Grund: «Es ist nicht von Vorteil, wenn Hunde während eines Telefonats im Hintergrund bellen.»

Gesundes Selbstvertrauen

Die 39-Jährige strahlt Ruhe und Zufriedenheit aus. Sie hat auch allen Grund dazu: Das Unternehmen ist auf Wachstumskurs und geniesst bei Kundinnen und Kunden wie auch bei Bewerbenden einen guten Ruf. Rund 30 Mitarbeitende arbeiten derzeit bei HR Andrist und auf einer Warteliste sind Kandidatinnen und Kandidaten eingetragen, die im Unternehmen arbeiten möchten. «Das hilft uns sehr. Benötigen wir mehr Ressourcen, können wir auf diese Kontakte zurückgreifen.» Mit potenziellen Mitarbeitenden bleibt sie regelmässig in Kontakt. «Sie erhalten per E-Mail Updates über unsere Aktivitäten und Pläne. Daneben halten wir uns gegenseitig auf dem Laufenden.» Innerhalb eines halben Jahres müsse man Kandidatinnen und Kandidaten jedoch eine Option bieten, «sonst sind sie weg». 

Vorausschauend rekrutieren

Um Personalengpässe zu vermeiden, entwickelte Andrist ein ausgeklügeltes System: «Wer ins HR einsteigen will, kann bei uns ein einjähriges Ausbildungsprogramm mit einem Traineeship oder einem Praktikum kombinieren.» Pro Jahr erhalten sechs Trainees oder Praktikanten diese Chance: So auch eine 55-jährige Bankerin, die im September bei HR Andrist ihr Traineeship startet: «Sie wollte unbedingt im HR arbeiten und half während einiger Monate im Personalwesen aus. Jetzt beginnt sie bei uns ihr einjähriges Ausbildungsprogramm.» In dieser Rolle wird sie zusammen mit einem Trainee eigene Firmenkunden betreuen – und unter anderem Löhne abwickeln. Mit ihren Aufträgen werden die Praktikanten und Trainees nicht alleingelassen: Eine Teamleiterin steht ihnen bei allen Fragen zur Seite. Am Ende der Ausbildung steht oft eine Anstellung: «Das hat sich bewährt.» Mitarbeitende findet Andrist aber nicht nur unter ihren selbst ausgebildeten HR-Fachkräften: «Ich habe auch schon eine pensionierte Kundin angestellt.»

Kein Wachstum um des Wachstums willens

Demnächst kommen weitere Mitarbeitende hinzu. Dann ist auch der neu im Januar bezogene Bürokomplex voll belegt. HR Andrist könnte weiter wachsen, doch das will die Geschäftsführerin nicht: «Ich möchte keine zweite Filiale eröffnen, das macht es schwieriger, die Qualität unserer Dienstleistung aufrechtzuerhalten. Man darf auch mal zufrieden sein mit dem, was man erreicht hat.» Ihr Ziel sei vielmehr, die Organisation zu festigen und zu optimieren – und: «Etwas weniger komprimiert arbeiten, mir mehr Zeit für ­Mitarbeitenden- und Führungskräftegespräche nehmen, mich stärker mit der Unternehmensstrat­egie ­auseinandersetzen und neue Ausbildungskurse entwickeln.» Derzeit sind ihre Tage vor allem mit Kundengesprächen, der Personaleinsatzplanung, Überlegungen zum Ausbau ihrer Dienstleistungen im Ausbildungszentrum, der Finanzplanung und der Budgetierung gefüllt.

Die Nähe zu den Mitarbeitenden liegt Andrist am Herzen und ist ein weiterer Grund, weshalb sie nicht endlos expandieren will: «Wenn wir als HR nahe beim Menschen sind, uns um Nähe bemühen und Vertrauen schaffen, können wir besser erklären, weshalb wir etwas tun oder etwas nicht umsetzen können.» Das führe seitens der Mitarbeitenden zu mehr Verständnis. «Dann staut sich keine Unzufriedenheit auf.» Viele Menschen trügen ihre Probleme jedoch mit sich herum. «Sie haben verlernt, darüber zu kommunizieren.» Komme es nicht zur Klärung, erfolge oft eine innere Kündigung. Das habe sie schon selbst erlebt: «Einer Mitarbeiterin wurde ein neues Aufgabengebiet zugewiesen. Sie nahm es zwar an, sagte aber nie, dass sie lieber am alten Einsatzort geblieben wäre, und kündigte deshalb.» 

Personalknappheit bei Kunden

Während Andrist Mitarbeitende quasi «zufliegen», leiden viele ihrer Kundinnen und Kunden unter grossen Rekrutierungsengpässen: «Wir erhalten oft Anrufe von verzweifelten Unternehmen, die beispielsweise niemanden finden, der ihre Löhne abrechnet.» Meist meldeten sie sich viel zu spät. «Etwa im dritten Kündigungsmonat, wenn sich abzeichnet, dass die Nachfolgerin der Stelleninhaberin nicht rechtzeitig da ist.» Diese Misere sei selbst verschuldet, denn viele HR-Fachpersonen hätten keine Stellvertretung. «Das kann fatal sein», sagt Andrist und nennt als Beispiel einen Todesfall im HR eines Kunden: «Niemand ausser dieser Person wusste, wie die Lohnabrechnung funktionierte.» Andrist hilft ihren Kunden, kurzfristige Ausfälle zu überbrücken, wo immer sie kann. Das gehe aber nicht immer: «Zwei- bis dreimal im Monat lehnen wir Notfalleinsätze ab, weil wir bereits ausgebucht sind.»

Lea AndristKurz und bündig

Pop oder Klassik?
Klassik. Wenn ich Zeit habe, spiele ich Klavier und nehme auch Stunden. Das motiviert mich weiterzumachen.

Hierarchie oder Holacracy?
Flache Hierarchien, weil es immer Entscheidungen gibt,
die hierarchisch gefällt werden müssen.

Genuss oder Askese?
Ich koche sehr gern und probiere zusammen mit den Kindern immer wieder neue Rezepte aus. 

Fleisch oder Vegi?
Fleisch, aber bewusst und nur sehr wenig.

Unverhofft zum eigenen Unternehmen

Dass Lea Andrist dereinst ein eigenes Unternehmen leiten würde, war nicht von vornherein klar. «Ich hätte ebenso gut auf dem Bauernhof meiner Grosseltern in Yverdon Wein produzieren oder im Restaurant Heyer arbeiten können, das meinen Urgrosseltern in Biel-Benken gehörte.» Bauernhof, Restaurant und Rebberge sind immer noch im Familienbesitz, als Andrist statt einer landwirtschaftlichen Ausbildung bei der Therwiler Firma Gaba das KV macht. Während ihrer Ausbildung zur Kauffrau wechselt sie von Abteilung zu Abteilung und kommt erstmals mit HR-Fragen in Berührung. Nach Lehrabschluss folgt 2005 eine befristete Anstellung als Personalassistentin bei Elektra Baselland in Liestal, bevor sie im Oktober desselben Jahres zum Personalvermittler AAB Personalservice in Basel wechselt. Das bringt ein Wechselbad der Gefühle mit sich: «Ich vermittelte Mitarbeitende im Bau- und Nebengewerbe. Es war dort sehr hektisch. Im Sommer brummte das Geschäft: «Ich stellte einen Vertrag nach dem anderen aus.» In den Wintermonaten führte sie stattdessen täglich 200 Telefonate mit potenziellen Arbeitgebenden. «Es war wie im Call Center.»

Dennoch bleibt Andrist fast eineinhalb Jahre, bevor sie zum Möbeldesigner Vitra in Birsfelden wechselt. Dort wickelt sie die Löhne für 220 Mitarbeitende ab, verantwortet die Personaladministration wie auch die Rekrutierung. Es ist ein Sprung ins kalte Wasser: «Vieles war neu für mich und ich musste mir aufgrund von Ressourcenengpässen manches on the Job aneignen. Gleichzeitig war die Erwartungshaltung aber sehr hoch.» Das habe sie dafür sensibilisiert, Mitarbeitende einzuarbeiten und ihnen Dinge zu erklären. Die Lernkurve ist nicht nur bei der Vitra steil, denn privat bildet sie sich gleichzeitig zur eidgenössisch diplomierten Personalfachfrau weiter. 2010 folgt ein Unterbruch: Die 26-Jährige wird zum ersten Mal Mutter und kündigt.

Erste Aufträge über Kontakte

Beim Babyschwimmen kommt sie mit einer anderen Mutter ins Gespräch, die ein Unternehmen mit 20 Mitarbeitenden führt. Durch diese Bekanntschaft kommt sie zum ersten HR-Auftrag, nämlich die Löhne der Mitarbeitenden abzurechnen. Es folgen weitere Aufträge aus ihrem Bekanntenkreis – und so nimmt die Idee einer eigenen Unternehmung langsam Gestalt an. Ein Jahr später gründet Andrist die Firma HR Andrist, die sie zunächst von ihrem Zuhause in Biel-Benken aus leitet. 2012 kommt ein Sohn zu ihrer Tochter zur Welt. Andrist arbeitet, wann sie kann – wenn die Kinder mittags schlafen oder abends im Bett sind.

Lea Andrist

«Sie erhalten per E-Mail Updates über unsere Aktivitäten und Pläne»: Lea Andrist ist es wichtig, mit potenziellen Kandidaten und Kandidatinnen in Kontakt zu bleiben. (Bild: Aniela Lea Schafroth)

Bald spielt die Mund-zu-Mund-Propaganda: Es kommen immer mehr Aufträge herein: Personelle Verstärkung ist nötig. Diese kommt über einen ebenfalls unüblichen Weg: In einer Kinderspielgruppe lernt Andrist ihre erste Mitarbeiterin kennen, eine Juristin, eine zweite Mitarbeiterin über einen Personalvermittler. Andrist braucht immer mehr Platz für ihre Büroaktivitäten. 2013 bezieht sie mit ihrem Klein unternehmen deshalb die eigenen Büroräumlichkeiten in einem Sous-Parterre in einem Wohnhaus in Biel-Benken. 2014 stellt sie eine Praktikantin an: «Sie half uns enorm, den Aufschwung zu gestalten. Wir mussten keine Telefone mehr umleiten, zudem gestaltete sie erste Broschüren, Preislisten sowie Informations- und Marketingmaterial.»

Das Wachstum geht weiter. 2015 zählt HR Andrist bereits elf Mitarbeitende. Die kleine Bürogemeinschaft platzt bald aus allen Nähten. Ein erneuter Umzug ist angesagt. Dieses Mal ins nahegelegene Therwil. Mit den neuen Räumlichkeiten gibt Andrist erstmals einen Teil der Teamleitung ab und bildet erste Abteilungen. Zeitgleich ist sie nicht mehr gleich stark im Alltagsgeschäft involviert und profitiert von einer Stellvertretung. «Das hat mich als Mutter zweier kleiner Kinder sehr entlastet.» Ganz abschalten kann sie dennoch auch in ihrer Privatzeit nicht. «Bin ich mit meinem Pferd und meinem Hund unterwegs, habe ich die meisten Ideen. Dann mache ich mir oder meinen Kolleginnen und Kollegen eine kurze Sprachnachricht, um sie nicht zu vergessen.»

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Chefredaktorin, HR Today. cp@hrtoday.ch

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