Die Farce der Führungsentwicklung
Talent ist ein knapper Faktor. Daher sollten Führungskräfte eine aktive Rolle in der Führungsentwicklung übernehmen. Und die klassische Personalentwicklung muss über die Bücher.
(Bild: RFArt)
Nicht mehr Boden und Kapital, sondern Wissen und entsprechend die Mitarbeiter als Wissensträger sind die kritischen Erfolgsfaktoren von heute. Das gilt insbesondere für die Schweiz. Die Führung wird damit zu einem strategischen Erfolgsfaktor und die Führungsentwicklung für HR-Manager zu einer der grössten Prioritäten.
Das Thema Führungsentwicklung wirft grundsätzlich zwei Fragen auf. Erstens: Was ist gute Führung? Nicht das beobachtbare Führungsverhalten ist primär entscheidend. Obwohl in vielen Führungstrainings die optimalen Verhaltensweisen gelehrt werden, entscheiden sie nicht über den Erfolg der Führungsarbeit. Es ist leicht festzustellen, dass völlig unterschiedliche Führungsverhalten zum Erfolg führen können. Gleichzeitig kann durchaus der gleiche Führungsansatz zu unterschiedlichen Resultaten führen.
Letztlich ist die Authentizität der Führungsperson in ihrem Verhalten entscheidend. Die Trainingsrezepte funktionieren nur dann, wenn die Verhaltensprinzipien mit der inneren Haltung, den Werthaltungen und der Persönlichkeitsstruktur der Führungskraft übereinstimmen. Glaubwürdigkeit und Vertrauen werden zu Schlüsselwörtern. Menschen gern haben, positives Denken, Sensibilität, sich selber begeistern, Energie haben und übertragen, Selbstbewusstsein, visionär denken, spontane Herzlichkeit, Konfliktfähigkeit, Nein sagen und vieles mehr gehören zu dieser Grundprogrammierung. Doch dort setzt die Führungsentwicklung heute meistens nicht an.
Persönlicher Code der Grundwerte lässt sich schwer verändern
Diese Diskrepanz führt uns zur zweiten Frage: Wenn erfolgreiche Führung vorwiegend vom Grundprofil der Führungskraft abhängt, können wir dann überhaupt Führungskräfte gezielt entwickeln? Können sich Menschen in ihren Grundzügen bewusst verändern? – Nein. Zumindest erscheint dies mit den existierenden konventionellen Trainings- und Coachingansätzen unwahrscheinlich.
Die Bildung des grössten Teils der Werte, des Charakters und der Persönlichkeit eines Menschen findet zwischen dem ersten und fünften Lebensjahr statt. Grundwerte und Instinkte werden tief im Unbewusstsein verankert. Eine spätere bewusste Erkenntnis reicht dann nicht aus, diesen «Code» zu verändern. Deshalb sind heute die meisten Entwicklungsprogramme wenig wirkungsvoll, und die Führungsentwicklung wird in Unternehmen häufig zu einer Farce. Es ist nicht möglich, aus einem Menschen eine erfolgreiche Führungskraft zu machen, wenn dieser die relevanten Merkmale in seiner Grundprogrammierung nicht mitbringt.
Diese Erfahrung haben viele Unternehmen machen müssen. Häufig drängen Fachspezialisten in die Führungslaufbahn, weil sie als Fachexperten keine weiteren Entwicklungsmöglichkeiten sehen. Doch häufig scheitern sie als Führungspersonen oder erfüllen ihre Aufgabe höchstens mit knapper Mittelmässigkeit. Der Entwicklung von Mitarbeitern sind starke und fast unüberwindbare Grenzen gesetzt: die eigene Persönlichkeitsstruktur. Um diese zu verändern, braucht es einschneidende Erfahrungen, Schocks oder sehr emotionale Momente wie eine Geburt, grosse Überraschungen, Tod, Verlust, Trennung, Enttäuschungen oder auch wichtige Erfolge. Solche Momente bewegen uns tiefgreifend und können damit eine prägende Wirkung auf die Grundstruktur eines Menschen haben.
Auswahl von Führungskräften muss kompromissloser erfolgen
Diese Erkenntnis macht deutlich, dass die Rekrutierungsqualität und Auswahl umso bedeutender wird. Zu rasch machen wir aus politischen, operativen oder gar zeitlichen Gründen Kompromisse und rechtfertigen sie damit, dass wir die Person noch entwickeln können. Im Wissen um die stark beschränkte Entwicklungsmöglichkeit von Persönlichkeitsprofilen muss die Auswahl von Führungskräften kompromissloser und werteorientierter erfolgen.
Ausserdem hat diese Erkenntnis grosse Auswirkungen auf das Talentmanagement ganz allgemein. Häufig wird heute Karriereplanung so verstanden, dass zuerst die Entwicklungsambitionen, Zielsetzungen und die entsprechende Zielposition eines Mitarbeiters bestimmt werden. Anschliessend wird mittels Assessment bestimmt, welche Lücken mit welchen «passenden» Entwicklungsmassnahmen geschlossen werden müssen.
Häufig befördert man in solchen Fällen Führungskräfte in die nächsthöhere Position – immer in der Hoffnung, die Lücken im Profil rasch schliessen zu können. Wenn der Mensch aber grundsätzlich nicht verändert werden kann, funktioniert dieses Standardvorgehen nicht. Es ist doch sinnvoller, das Kompetenz- und Persönlichkeitsprofil eines Mitarbeiters zu akzeptieren und die geeignetste Funktion im Unternehmen für ihn zu suchen, nach dem Motto «Best Placement statt Development». Und die Mitarbeiter und Führungskräfte können ihre wirklichen Kernkompetenzen in ihre Arbeit einbringen.
Innovative Führungsentwicklung: Leaders developing leaders
Die klassische Personalentwicklung ist damit nicht gestorben, aber diese allgemein nicht besonders innovative Branche muss wirklich über die Bücher. Es gibt heute bereits wertvolle Erkenntnisse, wie die gezielte Entwicklung von Menschen und Führungskräften im Speziellen erfolgreicher gestaltet werden kann. Lee Hecht Harrison setzt sich seit vielen Jahren intensiv mit dieser Thematik auseinander und hat letztes Jahr mit dem Human Capital Institute (HCI) eine globale Studie durchgeführt.(1) Die Studie kommt zum Schluss, dass die Einbindung des Topmanagements und der besten und anerkanntesten Manager in die Verantwortung der Personal- und Führungsentwicklung deren Erfolg signifikant erhöht. Dies bedeutet, dass Entwicklung wieder vermehrt durch die Führungslinie – und nicht wie heute durch das HR – selber gesteuert und gestaltet werden muss.
Ausserdem müssen die Galionsfiguren, die Vorbilder, die Helden, die besten Führungskräfte im Unternehmen eine aktive Rolle in der Führungsentwicklung übernehmen. Dies beginnt damit, dass diese Topleute sich ihrer Wirkung und ihrerMöglichkeiten im Unternehmen bewusst werden und einen Teil ihrer Zeit und ihrerRessourcen in die persönliche Entwicklungsarbeit anderer Führungskräfte investieren. Sie sollten zum Beispiel als interner Talentcoach, Mentor, Trainer oder Projektcoach eingesetzt werden. Wenn die Führungsentwicklung strategische Wichtigkeit hat, ist dieses Engagement mehr als gerechtfertigt, es ist notwendig. Ein interner Star hat viel mehr Wirkung und Möglichkeiten als externe Trainer und Coachs. Der Mensch hat die Eigenart, Verhaltensweisen und sogar Wertvorstellungen von Vorbildern, welche Erfolg haben und verkörpern, sehr schnell zu kopieren. Das ist ein natürlicher und unbewusster Reflex, da er evolutionstheoretisch ein Erfolgskonzept darstellt.
(1) Weitere Informationen zur Studie: www.lhh.ch/de/knowledgecenter/Pages/Forschungsstudien.aspx