Die hauseigenen Headhunter
Die HR-Clique wurde aus dem Paradies vertrieben. Die Zeiten, in denen Personaler Stellen nur ausschreiben mussten – und sich dann passiv zurücklehnen konnten bis Wäschekörbe gefüllt mit Bewerbungen eintrafen, scheinen definitiv vorbei zu sein. Unternehmen müssen aktiver werden. HR Today hat bei Praxis-Experten aus dem Active Sourcing nachgefragt.
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Die Spatzen pfeifen es von den Dächern: Der Arbeitsmarkt wandelt sich immer mehr vom Arbeitgeber- zum Arbeitnehmermarkt – und jedes Mittel scheint recht zu sein, um die offenen Positionen im Unternehmen möglichst schnell und passend zu besetzen. Die Ursachen sind schnell ausgemacht: Der demografische Wandel und damit verbunden der – medial omnipräsente – Fachkräftemangel machen den Personalabteilungen das Leben zunehmend schwer.
Um die freien Stellen passend und zeitnah zu besetzen, müssen die Personaler sich selbst aktiv auf die Suche nach Kandidaten machen, was neudeutsch gemeinhin mit dem Begriff «Active Sourcing» umschrieben wird. Unabhängig davon, ob die Kandidaten nun bei einem anderen Unternehmen beschäftigt oder aktuell gar nicht auf Jobsuche sind, werden sie aktiv angesprochen, um sie im unternehmenseigenen Talent-Pool zu speichern. «Es hat eine Umkehrung des Personalanwerbeprozesses stattgefunden», bringt es Gianni Raffi, Senior HR Manager Recruitment 2.0 bei Swiss Life, auf den Punkt. Das «2.0» in seinem Jobtitel zerstreut jegliche Zweifel: Das Internet mit seinen interaktiven und kollaborativen Elementen eröffnet auch hier neue Möglichkeiten.
Neuer Wein in alten Schläuchen
«Active Sourcing zielt darauf ab, mit potenziellen Mitarbeitenden aktiv über verschiedenste Kanäle in persönlichen Kontakt zu treten, diese an das Unternehmen zu binden und bestenfalls auch zu rekrutieren.» So definieren Jan Hawliczek und Tobias Ortner – beim deutschen Fahrzeugtechnik-Zulieferer BFFT gemeinsam für Social Media und Recruiting verantwortlich – das Active-Sourcing-Handwerk.
Für Hawliczek und Ortner ist klar: «Auch wenn noch immer Wert auf den persönlichen Kontakt gelegt wird, gewinnt Active Sourcing über die digitalen sozialen Medien stetig an Bedeutung. Denn mit jeweils mehreren Millionen Nutzern bieten Networking-Plattformen, Lebenslaufdatenbanken, Karrieredienste, Blogs und Fachforen – aber auch die klassische Google-Recherche – ideale Bedingungen für die Jagd nach potenziellen Kandidaten.»
Die Herangehensweise des Active Sourcings ist aber an sich keine revolutionäre, sondern eher eine evolutionäre. Bereits in vordigitaler Zeit identifizierten und lockten HR-Menschen junge, vielversprechende Kandidaten an Absolventenmessen, behändigten sich der Mitgliederlisten von Universitäten und anderen Ausbildungsstätten und hatten auch dank Headhuntern und Personalberatern Zugang zu wichtigen (Offline-)Netzwerken, wie beispielsweise der Armee, Service-Clubs, Verbänden und Vereinen, um Kandidaten zu gewinnen.
Neben der gewaltigen Zahl an Nutzern der elektronischen sozialen Netzwerke gibt es noch ein weiteres schlagendes Argument, weshalb Unternehmen bei der Personalsuche in Eigenregie mittlerweile zunehmend den digitalen Weg beschreiten. «Dank dem Internet können unsere Recruiter heutzutage über die bekannten sozialen Netzwerke Kontakte zu passiven Kandidaten aufbauen, also solchen, die nicht auf der Suche sind», erklärt Daniel Hippenmeyer, Leiter Experienced Talent Acquisition Schweiz bei der Credit Suisse. Diesen erleichterten Zugang zu latent Stellensuchenden sieht auch Jost Gloor, bei Vifor Pharma für die globale Rekrutierung verantwortlich, als grossen Vorteil. Diversen Studien ist zu entnehmen, dass nur rund ein Viertel aller Berufstätigen aktiv auf dem Stellenmarkt nach einer neuen beruflichen Herausforderung sucht. Doppelt so viele jedoch sind durchaus offen dafür, begeben sich aber nicht aktiv auf die Suche.
Keine sektiererischen Züge
Active Sourcing bedeutet keineswegs die Abkehr von den althergebrachten, klassischen Rekrutierungsmassnahmen. Diese werden nach wie vor rege genutzt. Sowohl Jost Gloor als auch Daniel Hippenmeyer setzen nicht nur auf den digitalen Kanal. «Wir sind dort, wo sich potenzielle Bewerber aufhalten», sagt Daniel Hippenmeyer. «Es kann durchaus vorkommen, dass wir auch mal ein E-Board (elektronisches Plakat) am Zürcher Hauptbahnhof nutzen, um die anvisierten Zielgruppen anzusprechen», ergänzt Jost Gloor. Auch Gianni Raffi schreibt jede Stelle auf herkömmliche Art und Weise aus, teilweise werden die Stellen zusätzlich auf den Social Media-Kanälen gepostet. Je nachdem, wie schwierig es ist, die Stelle zu besetzen, wird die Direktansprache als zusätzliches Instrument eingesetzt.
Damit die Direktansprache jedoch keine sektiererischen Züge annimmt und sich die begehrten Kandidaten nicht belästigt fühlen, werden in den Recruiting-Abteilungen für die Suche nach den Talenten und deren Betreuung spezielle Mitarbeiter benötigt. «Der Active Sourcer wird auf dem Markt unter anderem auch ‹Recruiter 2.0› genannt», erklärt Gianni Raffi. Dieser Recruiter 2.0 sollte, speziell für die aktive Online-Suche nach den passenden Kandidaten und deren Ansprache und Betreuung, sowohl fachlich als auch von seiner Persönlichkeit her gewisse Skills mitbringen. Namentlich sollte er die Vakanzen en détail verstehen und die entsprechenden Informationen in eine zielführende Suche ummünzen können. Dafür ist ein klassischer HR-Background nicht zwingend notwendig: «Vom Profil her sind unsere Teammitglieder weder im HR-Bereich noch im Marketing-Bereich einzuordnen. Alle haben einen Beratungs-, beziehungsweise Executive Search-Hintergrund und verfügen über einen Hochschulabschluss. Wir suchen dafür auch nicht unbedingt Leute mit einem klassischen HR-Profil», sagt Jost Gloor.
Sowohl für Gianni Raffi als auch für Daniel Hippenmeyer und Jost Gloor ist es aber unabdingbar, dass Active Sourcer eine hohe Affinität zu sozialen Medien und zur einschlägigen Technik haben. Darüber hinaus aber auch über ausgeprägte kommunikative Fähigkeiten verfügen – und ein grosses Flair fürs Netzwerken mitbringen. «Unsere Consultants müssen sattelfest im Projektmanagement sein, den Markt, in dem wir uns bewegen, sehr gut kennen, über die zu besetzenden Positionen bestens informiert sein – und auch wissen, wann und wie viel Diskretion angebracht ist bei der aktiven Suche von Kandidaten», ergänzt Daniel Hippenmeyer.
Die Credit Suisse bildet das Active Sourcing-Personal selber aus oder findet dieses, wie auch Vifor Pharma und Swiss Life, jeweils unter externen Personalberatern und Executive Searchern, die sich verändern und auf Unternehmensseite arbeiten möchten. «Im Gegensatz zu externen Beratern sind wir jederzeit über die Zusammenstellung der Teams, für die Stellen zu besetzen sind, im Bild. Zeitintensive Briefings mit Headhuntern fallen weg», erklärt Jost Gloor den Vorteil der intern organisierten Recruiting-Strategie.
Regeln für ein spielstarkes Team
Damit ein reibungsloses und zielgerichtetes Zusammenspiel zwischen den klassischen Recruitern und den Active Sourcern möglich ist, sollten Abläufe und Rollen definiert und festgelegt werden. Auch um eine durchgängige Betreuung des Kandidaten zu gewährleisten. «Wir setzen Active Sourcing je nach Position ein. Erhalten wir über unsere Homepage genügend passende Profile, sprechen wir nicht zusätzlich neue Personen an, kontaktieren aber in jedem Fall passende Kandidaten aus unserem internen Netzwerk», erklärt Jost Gloor. Ein professionelles Bewerber-Managementsystem sei dabei unverzichtbar.
Auch für Gianni Raffi ist klar: «Grundsätzlich bedarf es immer eines umfassenden Briefings zwischen Linienverantwortlichem und Active Sourcer, worin der Prozessablauf für die gemeinsame Zusammenarbeit erörtert, der Jobinhalt erläutert und das Anforderungsprofil besprochen wird. Anschliessend ist zu definieren, welche Social-Media-Plattformen für die Ausschreibung und den Research berücksichtigt werden.» Ausserdem lohne es sich abzuklären, ob bereits ein Netzwerk an potenziellen Kandidaten bestehe, die kontaktiert werden könnten.
Keiner ist vor Abwerbung gefeit
Unternehmen, die Active Sourcing betreiben, sollten sich bewusst sein, dass auch Marktbegleiter versuchen, beim eigenen Personal zu wildern und dieses abzuwerben. Verhindern lasse sich eine Abwerbung nur schwerlich, erklärt Jost Gloor: «Dieses Problem gab es früher genau so. Nur wurden die guten Leute einfach durch Headhunter abgeworben.» Als Arbeitgeber habe man durchaus Möglichkeiten, die Abwerbung zu erschweren «indem man den Wechsel unattraktiv macht», ergänzt Gianni Raffi. Auch Jost Gloor ängstigt sich nicht vor Abwerbeaktionen der Konkurrenz. «Das Ziel im Unternehmen sollte es sein, die guten Leute möglichst lange zu halten und diese demzufolge auch pfleglich zu behandeln. Wenn die Leute zufrieden sind, ist es auch schwieriger, sie abzuwerben.»
Trotz aller digitalen Neuerungen im Bereich des Active Sourcings bildet nach wie vor der respektvolle Umgang mit dem jeweiligen Gegenüber die Grundlage einer erfolgreichen Ansprache und Beziehungspflege. Jan Hawliczek und Tobias Ortner ist vor allem eines wichtig: «Wir müssen weiterhin auf Menschen zugehen können, den persönlichen Dialog suchen und auf emotionale Intelligenz setzen, denn das nehmen uns die neuen technologischen Möglichkeiten nach wie vor nicht ab.» Vergesse man dabei auch die guten Umgangsformen und höfliches Auftreten nicht, könne man nicht mehr viel falsch machen und «ist schon mal 50 Prozent besser als alle anderen».