Gesundheit

Die Krise macht 
anfälliger für Burnout

In wirtschaftlich schwierigen Zeiten treten Überlastungssymptome wie das Burnout-Syndrom häufiger auf. Oft wollen Mitarbeitende dann mehr leisten, als sie können, und gefährden damit ihre Gesundheit.

Finanzkrise, Rezession, Stellenabbau: Diese Begriffe hören wir zurzeit fast bis zum Überdruss. Sie sorgen auch dafür, dass die Angst um den eigenen Arbeitsplatz steigt. Wer bisher schon sehr viel gearbeitet und geleistet hat und jetzt noch einen Zacken zulegt, läuft Gefahr, krank zu werden. «Das Burnout-Syndrom entsteht aufgrund der Umwandlung des äusseren Drucks in inneren Druck oder Zwang», sagt Milan Kalabic. Er ist Chefarzt Psychiatrie und Psychotherapie der Klinik Teufen, die sich auf ambulante psychosomatische Rehabilitation spezialisiert hat. «Es ist sozusagen eine Verstärkung der destruktiven und blockierenden Ängstlichkeit. Damit sind Menschen in Krisenzeiten allgemein mehr burnoutgefährdet.»

Mangelnde Anerkennung kann 
Zusammenbruch auslösen

Er erwartet, dass die Zahl der Burnoutfälle und anderer psychiatrisch-psychosomatischer Erkrankungen in nächster Zeit zunehmen wird. «Anpassungsstörungen oder depressive Störungen sind häufig bei Arbeitsplatzverlust oder geistig-seelischer Überforderung zu sehen.» Zunächst führen die allgemeinen Sorgen und Existenzängste jedoch vielfach zur Bereitschaft, noch mehr zu leisten, wie Kalabic feststellt. Sie können kurzfristig sogar zu Spitzenleistungen führen. «Langfristig sind die Ängste jedoch sowohl für den Betroffenen als auch für ein Unternehmen destruktiv. Sie führen zu einer reduzierten Produktivität mit entsprechend grösserem Zeitaufwand für die gleiche Arbeitsleistung und können so eine Burnout-Entwicklung anbahnen.»

Wulf Rössler, Leiter des Lehrstuhls für klinische und soziale Psychiatrie an der Universität Zürich, betont, dass mangelnde Anerkennung dazu beitragen kann, dass ein Burnout entsteht. «Die Gratifikationen, die ein Mensch für seinen Arbeitseinsatz erhält, sind vielfältiger Natur: Neben Geld gehört auch die Anerkennung durch den Betrieb oder die Gesellschaft dazu.» Da seien in der Tat die wenigen Finanzmanager und auch die Manager des mittleren Kaders in der Finanzbranche betroffen. «Im Moment erfahren sie mehr Häme und Spott als Anerkennung für das, was sie geleistet haben.» Grundsätzlich könne man sagen, dass jene Personen am meisten burnoutgefährdet sind, deren Gratifikationen sich auf verschiedenen Ebenen am meisten reduziert haben.

Lassen sich nun mitten in der aktuellen Finanzkrise mehr Mitarbeitende krankschreiben? Gibt es mehr Ausfälle aufgrund eines Burnout-Syndroms? Oder sind diese Zahlen gar zurückgegangen, weil man fürchtet, den Arbeitsplatz zu verlieren? Keines der dazu befragten Unternehmen konnte eine Entwicklung in die eine oder andere Richtung bestätigen. Bei den Basler Versicherungen gibt es in diesem Bereich keine statistischen Auffälligkeiten, wie Kommunikationsleiter Amos Winteler erklärt: «Im Bereich Burnout sehen wir weder eine auffällige Steigerung noch eine markante Senkung der Anzahl Betroffenen.»

Bei der UBS hat die Anzahl der Krankheitsfälle im laufenden Jahr eher abgenommen. «Die internen Erhebungen lassen keine Schlussfolgerungen zu, die einen Zusammenhang zwischen Finanzkrise und der Anzahl Krankheitstage herstellen können», so Rebeca Garcia von der UBS-Medienstelle. Die Mitarbeiter können sich jederzeit an Vorgesetzte, Human Resources sowie die interne Sozialberatung der Grossbank wenden.

Arbeitslosigkeit führt zu mehr 
psychischen Erkrankungen

Medizinische Fachleute sehen jedoch durchaus einen Zusammenhang zwischen befürchteter Arbeitslosigkeit und Krankschreibung. «Von früheren Untersuchungen wissen wir, dass bei höherer Arbeitslosigkeit mehr Menschen stationär in die Psychiatrie aufgenommen werden», erklärt Wulf Rössler. Erst in den letzten 15 bis 20 Jahren wurde ein gegenläufiger Trend festgestellt. Damals stiegen die Zahlen der stationären Aufnahmen auch in Zeiten der Vollbeschäftigung an. «Dies vermutlich vor dem Hintergrund, dass betroffene Menschen das Gefühl haben, dass sie sich eine stationäre Therapie ‹leisten› können», so Professor Rössler. In Zeiten leicht steigender Arbeitslosigkeit gehen die stationären Aufnahmen inzwischen zurück. Rössler geht davon aus, dass ein Grund dafür die steigende Angst ist, seinen Arbeitsplatz möglicherweise zu verlieren.

«Die Burnout-Betroffenen sind meist die besten und motiviertesten Mitarbeiter. Es kann aber sein, dass in den letzten Burn-out-Phasen aus Angst vor Arbeitsplatzverlust kein therapeutisches Time-out genommen wird», sagt Chefarzt Milan Kalabic.Gerade in 
Krisenzeiten stehe die Führung im Unternehmen auf dem Prüfstand in Bezug auf die Burnout-Prävention. Milan 
Kalabic empfiehlt den Führungskräften insbesondere in wirtschaftlich schlechteren Zeiten, sich für die Probleme der Mitarbeitenden genug Zeit zu nehmen: «Nur wer diese Probleme ernst nimmt und gleichzeitig Problemlösungsvorschläge verlangt, kann die Ohnmachtssituation der Mitarbeitenden verhindern und bei ihnen die Gefühle der Selbstbestätigung stärken.»

Wulf Rössler wünscht sich von Seiten der Arbeitgeber, dass sie die Risiken, die mit der gegenwärtigen Rezession verbunden sind, realistisch darstellen. «Die Arbeitgeber sollten diese Rezession nicht als Hebel benutzen, um mehr Leistung von ihren Arbeitnehmern zu verlangen. Durch Druck und Erzeugung von Angst wird die Arbeitsleistung, die wir von Mitarbeitern abfragen können, sicher nicht erhöht.» Ob man psychischen Krisen am Arbeitsplatz vorbeugen kann, hänge entscheidend von der Betriebskultur ab. «Die Betriebskultur ist aus meiner Sicht nicht abhängig von der Wirtschaftslage. In gut geführten Betrieben rücken alle Beteiligten in Zeiten einer Rezession eher zusammen», sagt Wulf Rössler. Offenheit und Transparenz der Betriebsführung sind mindestens so wichtig, wenn nicht gar wichtiger als finanzielle Anreize. «Die Überbetonung der finanziellen 
Anreize hat das Wertesystem unserer Gesellschaft erschüttert. Auch Arbeitnehmer sollten sich jetzt an anderen Werten orientieren, die die Arbeitszufriedenheit eines Menschen wesentlich mitprägen», so Wulf Rössler. Bei einem guten Betriebsklima seien Arbeitnehmer erstaunlicherweise sehr oft in der Lage, auch finanzielle Abstriche hinzunehmen, wenn die Gratifikationen nicht nur auf der finanziellen Ebene des Betriebs abgehandelt werden.

Kommentieren 0 Kommentare HR Cosmos

Susanne Wagner ist freie Journalistin.

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