HR Today Nr. 4/2020: Porträt & Video-Porträt

Die Mutige

Personalleiterin Corina Widmer folgt bei Coca-Cola HBC Schweiz ihren Überzeugungen und setzt sich mit viel Herzblut für Lohngleichheit, Talentförderung und agile Arbeitsmethoden ein. Privat unterrichtet sie Yoga und ist leidenschaftliche Fallschirmspringerin.

An einem durchschnittlichen Tag sind im Coca-Cola Visitor Center in Dietlikon Dutzende von Besuchern zu sehen. Heute ist es im 2016 eröffneten Gebäude aber ruhig. Corina Widmer mag diese Stimmung: «Auf Wunsch der Mitarbeitenden unterrichte ich montags über Mittag in diesen Räumlichkeiten Yoga. Dann fühlt sich die Atmosphäre ebenso friedlich an.» Yoga ist ­Widmers Leidenschaft und ein Ausgleich zum Arbeitstag als Personalleiterin der Coca-Cola HBC Schweiz AG in Brüttisellen-Dietlikon. Seit 2018 ist die 40-jährige Powerfrau für das Unternehmen tätig, «zuerst als HR Manager und seit Juni 2019 in der heutigen Position», erzählt sie.

HR von der Pike auf

Die ersten beruflichen Träume von Corina ­Widmer haben alles andere als mit HR zu tun: «Ich hatte jeden Monat einen anderen Berufswunsch. Mal war es Kindergärtnerin, mal Sportlehrerin, mal Chirurgin.» Zwar hat sie keinen dieser Karrierepfade verfolgt, eines hätten diese Berufe aber gemeinsam: «Die Arbeit mit Menschen und die Frage, wie wir sie entwickeln können. Das ist der rote Faden, der sich durch mein Leben zieht», sagt Widmer.

Ihr Leidenschaft fürs HR entdeckt sie während ihrer Tätigkeit als Mitarbeiterin im Direktionssekretariat bei den Jungfraubahnen. Dort wird sie aufgrund eines internen Abgangs von Vorgesetzten angefragt, ob sie nicht ins HR wechseln wolle. Widmer packt die Gelegenheit beim Schopf und lernt den Beruf von der Pike auf – «es hat mir buchstäblich den Ärmel reingenommen». Das nationale und vielseitige Verkehrs- und Tourismussegment bietet ihr ein solides Lernfeld, um sich als HR-Generalistin zu profilieren. «Hier habe ich gelernt, Arbeitsverträge aufzusetzen, Lohnabrechnungen zu erstellen und GAVs und andere rechtliche Grundlagen zu berücksichtigen. Für diese Erfahrungen bin ich sehr dankbar», sagt Widmer. «Vor allem, weil HR-Strategien zielführender umgesetzt werden können, wenn die Bedeutung der Details klar ist.»

Inland statt Ausland

2012 bietet sich Corina Widmer die Chance, eine HR-Führungsfunktion zu übernehmen und ins internationale Umfeld zu wechseln. «Bei British American Tobacco konnte ich nicht nur eigene Resilienzen aufbauen, sondern mein Wissen im Talentmanagement und in der Nachfolgeplanung erweitern», erzählt Widmer. «Gelernt habe ich beispielsweise, wie man High Potentials identifiziert und fördert, die optimale Nachfolgelösung für eine bestimmte Position findet und Mitarbeitenden hilft, sich die nötigen Skills für einen Aufstieg im Unternehmen anzueignen.»

Nach über sechs Jahren bei British American Tobacco wäre für Widmers Vorgesetzte der nächs­te logische Karriereschritt für sie im Ausland gewesen. Doch die damals 38-Jährige lebt in einer langjährigen Beziehung. Deshalb ist ein Auslandsaufenthalt für sie keine Option. «Zudem fiel es mir immer schwerer, mich mit der Industrie zu identifizieren. Skepsis, auf strategischer Ebene, ist jedoch fehl am Platz», sagt sie.

Der Zufall will es, dass Coca-Cola HBC Schweiz AG an ihre Türe klopft. «Infolge einer Nachfolgeplanung suchten die Verantwortlichen dort nach einem potenziellen HR Director und kamen aufgrund meiner Skills auf mich zu.» Widmer wechselt deshalb zu Coca-Cola und baut dort das bereits bestehende Talentmanagement nach ihrem Eintritt 2018 weiter aus. Und zwar, indem sie ein neues Performance Management einführt, um High Potentials einfacher zu identifizieren und ihnen neue Entwicklungsmöglichkeiten aufzuzeigen. «Wir fördern die Stärken der Mitarbeitenden. Häufig will man ja nur ihre Schwächen beseitigen.»

Mit dem neuen Performance Management schafft Coca-Cola im Unternehmen eingefahrene Muster ab: «Um den kontinuierlichen Dialog mit den rund 800 Mitarbeitenden zu fördern, sind mein Team und ich vom Jahresgespräch weggekommen und haben vierteljährliche Mitarbeitergespräche und standardisierte Feedbackinstrumente eingeführt», erzählt ­Widmer. «Mitarbeitende geben und erhalten so regelmässig Rückmeldungen und sind motiviert, ihre individuellen Vorstellungen und Fähigkeiten aktiv in die tägliche Arbeit einzubringen.»

Bei der Talentförderung ist für Corina ­Widmer die interne Mobilität ein Thema. «Unsere Mitarbeitenden sollen auch in anderen Ländern arbeiten.» Die Realität sei aber meist anders. «Weil wir in der Schweiz sehr gute Arbeits- und Lebensbedingungen haben, geht der Trend zu Auslandaufenthalten seit eine paar Jahren kontinuierlich zurück. Mitarbeitende müssen nicht mehr zwingend ins Ausland gehen, um eine andere Sprache zu sprechen oder neue Kulturen kennenzulernen.»

Karrieretipps für Frauen

Neben der internen Förderung von Talenten beschäftigt sich Widmer mit der Talentsuche: «Nachfolgelösungen sind nicht in allen Bereichen sofort zur Hand.» Profile von Key Account Managern oder Finanzmitarbeitenden seien besonders schwierig zu finden. Employer Branding sei bei Coca-Cola Schweiz deshalb einer der Hauptpfeiler für das Jahr 2020. «Mein HR-Team und ich arbeiten mit verschiedenen Universitäten zusammen, sind auf sozialen Netzwerken präsent und veranstalten für Frauen sogenannte ‹Inside Days›, an denen wir sie zu uns einladen und ihnen Karrieretipps mit auf den Weg geben.»

Lohngleichheit vorantreiben

Im Zusammenhang mit der Frauenförderung engagiert sich Corina Widmer für die Lohngleichheit im Betrieb. «Das ist für mich eine Herzensangelegenheit. Wir befinden uns auf einem guten Weg.» Keine leeren Worte. Denn der Lohnunterschied von Mann und Frau liegt bei Coca-Cola 2018 bei 0,8 Prozent, während dieser gemäss Erhebungen des Bundes in der gesamten Schweizer Wirtschaftsbranche über zehn Prozent beträgt.

Um die Lohngleichheit zu überprüfen, nutzt Corina Widmer das vom Bund empfohlene Instrument Logib. «Bei der Lohnfestsetzung verfolgen wir zudem das Vier-Augen-Prinzip, wobei Vorgesetzte und das HR den Einstiegslohn gemeinsam definieren. So stellen wir sicher, dass wir einen objektiven Entscheid fällen.»

Widmer geht ihren Weg, und das kontinuierlich, mutig und zielstrebig. «Unsere Branche ist durch die Digitalisierung der Prozesse oder das veränderte Konsumentenverhalten von einem starken Wandel geprägt. Diese Transformation zu begleiten, spornt mich unglaublich an», sagt sie. Deshalb beschäftigt sich Widmer vertieft mit agilen Arbeitsmethoden.

Derzeit teste Coca-Cola erste «crossfunktionale Customer Teams». Diese setzen sich aus Mitarbeitenden unterschiedlichster Bereiche zusammen, beispielsweise ­Finanzen, Sales, Marketing und Logistik. Damit versuche Coca-Cola, Kundenbedürfnisse ganzheitlich abzuholen. «Diese Anfänge bewirken erste Kulturveränderungen. Das ist äusserst spannend.»

Unterstützung bei ihren Projekten erhält die Berner Oberländerin von ihrem 18-köpfigen HR-Team. Die Zusammenarbeit mit den Teamkolleginnen und -kollegen sei sehr unbeschwert. «Ich pflege einen situativen Führungsstil und bin sehr unkompliziert. Jeder soll sagen können, was er denkt.» Das bedinge gegenseitigen Respekt, helfe aber auch, Klartext zu sprechen.

Mit den Geschäftsleitungskollegen trifft sie sich einmal in der Woche für einen halben Tag, um die laufenden Geschäfte und Projekte zu besprechen. «Der Austausch über die Abteilungen und Funktionsstufen hinweg schärft das Verständnis für die diversen Anliegen.»

Daten als neues Gold

Die Beziehungspflege werde mit Blick in die Zukunft immer wichtiger, findet Widmer. «Besonders, weil Freelancemodelle und Flexwork künftig zunehmen und mehr Kommunikation erfordern.» Potenzial für diese Anstellungsverhältnisse gäbe es nicht nur im IT-Bereich, sondern auch dort, wo konzeptionelle und projektbasierte Arbeiten anfielen.

Um Veränderungen besser abzuschätzen, investiert Widmer in die Verknüpfung von HR-Tools und Big Data. «Daten sind das neue Gold. Mit ihnen können wir in die Zukunft blicken.» So hat Widmer dank datenbasierter Auswertungen herausgefunden, wieso und wann Aussendienstmitarbeitende tendenziell kündigen und dadurch Massnahmen erarbeiten können, um weitere Abgänge zu verhindern.

Vorausblickend und rasant ist Widmer nicht nur beruflich, sondern auch privat unterwegs. Seit ihrer Jugend ist sie leidenschaftliche Fallschirmspringerin, ein Hobby, das sie seit über 13 Jahren auch gemeinsam mit ihrem Partner pflegt. «Das verbindet», sagt sie. Daneben geniesst die 40-Jährige die ruhigen Momente im Leben. «Yoga gibt mir Bodenhaftung, wobei ich die Balance zwischen aktiv sein und die Stille geniessen relativ gut beherrsche.»

Zu ruhig ist Widmers Privatleben dann doch nicht. So absolviert sie zurzeit eine Ausbildung zur Shiatsu-Komplementärtherapeutin. Wer weiss: Vielleicht kommen die Mitarbeitenden bei Coca-Cola bald in den Genuss dieser Art von Entspannung.

Ein Tag im Leben von Corina Widmer:

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Corina Widmer kommt 1979 in Interlaken im Berner Oberland zur Welt. Nach einer kaufmännischen Lehre bei der Sintro Electronics AG in Unterseen absolviert sie die Berufsmaturitätsschule in Bern. Ab 2003 ist sie zuerst als Mitarbeiterin im Direktionssekretariat, später als Personalassistentin für die Jungfraubahnen in Interlaken tätig. Ab 2007 arbeitete sie zuerst als Bereichspersonalleiterin und später als Expertin Arbeitszeit und Projektleiterin HR für die BLS AG in Bern. Nebenbei absolviert Widmer eine Ausbildung zur PR- und HR-Fachfrau.

2011 verlässt sie den Tourismus- und Verkehrssektor und wechselt ins HR der Bucherer AG nach Luzern. 2012 kommt Widmer zur British American Tobacco Switzerland SA, wo sie Positionen vom HR Business-Partner bis hin zum Senior HR Project Manager bekleidet.

2018 schliesst Widmer nicht nur ihre Ausbildungen zur HR-Leiterin an der SIB Zürich und zur Yoga-Lehrerin ab, sie wechselt auch zeitgleich zur Coca-Cola HBC Schweiz AG. Dort startet sie als HR Manager Commercial und ist seit Juni 2019 als Human Resources Director für die Umsetzung der HR-Strategie und die Entwicklung der 800 Mitarbeitenden verantwortlich. Corina Widmer lebt unter der Woche in Zürich und am Wochenende mit ihrem Lebenspartner in Sursee (LU).

  • 6 Uhr: Aufstehen, Yoga-Übungen oder joggen. Danach nehme ich mir Zeit für ein ausgewogenes Zmorge und informiere mich in den Medien und den beruflichen sozialen Netzwerken über Tagesaktualitäten.
  • 8 Uhr: Eintreffen im Büro. Checken der E-Mails und ein erster Austausch mit Team­mitgliedern sowie Planung des Tages.
  • Ab 9 Uhr: Meetings und Projektarbeiten.
  • 12 Uhr: Mittagessen mit Kolleginnen und Kollegen in der Kantine, ausser montags. Dann unterrichte ich jeweils Yoga im Coca-Cola ­Visitor Center. Das Angebot steht abteilungsübergreifend allen Mitarbeiten­­den offen. Mit Yoga fördern wir nicht nur den Zusammenhalt untereinander, es gibt mir auch die Möglichkeit, mich mit den Mitarbeitenden auf einer persönlichen Ebene zu verbinden.
  • Ab 13 Uhr: Meetings, Konzepte erarbeiten und Entwicklung von Strategien.
  • 17 Uhr: Den Tag abschliessen und den kommenden vorbereiten.
  • 18 Uhr: Ab nach Hause.
  • 22.30 Uhr: Ins Bett, nachdem ich davor noch eine halbe Stunde gelesen habe.

 

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Christine Bachmann 1

Christine Bachmann ist Chefredaktorin von Miss Moneypenny. cb@missmoneypenny.ch

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