Skills-Management

Die Schweiz benötigt eine gemeinsame «Skills»-Sprache

Viele Unternehmen investieren in Skills-Management-Initiativen, doch zu oft endet der Versuch im Chaos. Denn es fehlt an einer gemeinsamen Sprache, um Kompetenzen klar zu definieren und über Unternehmensgrenzen hinweg nutzbar zu machen. Die Initiative openskills.ch will dies ändern. 

«Skills are the new currency». Mit dieser markant formulierten Prognose werden HR-Leitende auf die Zukunft eingestellt, in der die Schlüsselkompetenzen ins Zentrum rücken und die initiale Berufsbildung respektive der Studiengang an Bedeutung verliert. Darum haben auch zahlreiche Unternehmen das Thema auf ihre strategische Agenda genommen und eine Skills-Management-Initiative gestartet. Leider scheitern nicht wenige dieser Projekte in einer frühen Phase, nämlich dann, wenn sich die Frage stellt: «Was ist überhaupt ein Skill?». 

An vielen Orten verbrannte Erde  

Wir müssen mit unserer Workforce in der Lage sein, unseren unternehmerischen Auftrag zu erfüllen; heute und morgen. Mit der immer höheren Dynamik im Arbeitsmarkt wird das aber zusehends anspruchsvoller und wir mögen das Wort «Fachkräftemangel» schon gar nicht mehr hören. Darüber hinaus werden wir von ChatGPT und weiteren AI-Technologien förmlich überrollt. Darum herrscht kein Zweifel: Wir müssen die Art und Weise, wie Mensch und Arbeit zusammenfinden, neu denken. Um für die Zukunft bereit zu sein, müssen wir unsere Aufmerksamkeit auf die Schlüsselkompetenzen richten und diese zielgerichtet aufbauen. 

Diese Erkenntnis ist alles andere als neu und viele Unternehmen haben schon entsprechende Projekte gestartet. Der Denkansatz ist dabei häufig einfach und zugleich überzeugend: Wir definieren die Skills, die wir brauchen, und erheben die Skills, die wir haben. Daraus resultiert jeweils eine Lücke, für die wir einen Massnahmenkatalog definieren. Schön wär’s! Leider ist es nicht so einfach, die Komplexität unserer Arbeitswelt in ein abstraktes und für die natürliche Sprache anschlussfähiges Modell zu überführen. Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, dass die von «HR Today» unterstützte Studie «Rekrutierungspraxis 2024» wenig Innovation in den Rekrutierungsprozessen zu Tage gefördert hat. Es wird weiterhin klassisch und konservativ auf Profil-Basis selektiert. 

Wir wünschen uns alle den Skills-Pass 

Die Zukunftsvision ist klar und naheliegend. Irgendwann möchten wir all die Kompetenzen, die wir in der Ausbildung oder im Job erworben haben, an einem Ort belegen können. Solch eine digitale Lösung kann mit einem Reisepass verglichen werden, der uns eindeutig identifiziert und überall hin Zugang verschafft. Im Kontext «Skills-Pass» ist damit das persönliche Skills-Profil gemeint, das den Menschen ein Leben lang begleitet. 

Die Vorteile für die Arbeitnehmenden, die Unternehmen und auch die Bildungsinstitute liegen auf der Hand: durchgängig digitale Prozesse, signifikant einfachere Rekrutierungsprozesse, fälschungssichere Bildungszertifikate und die Sicherstellung des persönlichen Datenschutzes. Und das sind längst nicht alle. Eine solche Vision impliziert jedoch ein völlig neues Ökosystem. Und damit ein solches entstehen kann, benötigen wir als erstes einen gemeinsamen Skills-Sprachraum. Dabei beginnt die Reise innerhalb des Unternehmens respektive in den unternehmensinternen Personalentwicklungsprozessen.  

Die gemeinsame Skills-Sprache als Voraussetzung 

Die Notwendigkeit eines gemeinsamen Skills-Sprachraums haben alle erkannt, die sich schon mit dem Thema auseinandergesetzt haben. Denn nicht selten trifft man in den Fachbereichen auf die Situation, dass verschiedene Teams damit begonnen haben, ihr Skills Management anhand von Excel-Listen aufzubauen. 

Sollen dann in einem nächsten Schritt die Teamgrenzen überwunden werden, stellt sich die Frage nach der korrekten Skills-Bezeichnung und -Umschreibung. Ein solches «Differenzbereinigungsverfahren» führt schliesslich unweigerlich in eine Sackgasse. Wir benötigen also ein Ordnungssystem für unsere Skills. Dieses muss in der Lage sein, alternative Begriffe für denselben Skill als Synonyme zu erkennen, unterschiedliche Sprachen zu bedienen und regionale beziehungsweise branchen- oder firmenspezifische Besonderheiten zuzulassen. Ein solches System wird häufig als Skills-Ontologie bezeichnet. Ein Beispiel dafür ist ESCO, ein europäischer Standard, der jedoch im Schweizer Sprachraum kaum nutzbar ist. 

Proprietär war gestern 

Die umschriebene Problemstellung haben auch einige Technologieunternehmen erkannt und eigene proprietäre Ontologien in ihr HR-System eingebaut. In der Regel sind dies jedoch geschlossene Sprachräume, die durch die Unternehmen weder erweitert oder angepasst werden können. Darüber hinaus tun sich Tech-Firmen schwer, ihre Ontologie nach aussen zu öffnen, schliesslich sehen sie darin ihr unternehmerisches Asset, das geschützt werden muss. Eine weitere Sackgasse! Deshalb haben sich die Gründer der skills.ch-Initiative diesem Problem angenommen. Zusammen mit dem Forschungspartner ZHAW und im Rahmen eines Innosuisse-Förderprogramms soll ein Skills-Sprachraum für die Schweiz entstehen, der für alle offen ist, den alle erweitern und aktualisieren können und der mit einem modernen Graphen-Algorithmus die Komplexität unserer Sprache beherrscht. Natürlich findet man in diesem Skills-Graph auch die normierten Kompetenzkataloge aus der Schule, der Berufsbildung und den Hochschulen wieder.

Einladung zum Partizipieren 

Damit der zukünftige Skills-Graph die Anforderungen bezüglich Offenheit und Qualität abdecken kann, ist es erforderlich, dass eine Non-Profit-Organisation die Schirmherrschaft übernimmt. Zu diesem Zweck wurde der Verein openskills.ch gegründet. Einige Schweizer Unternehmen haben dazu bereits ihre Unterstützung in Form einer Patronatsmitgliedschaft zugesagt, beispielsweise die Helvetia Versicherungen: «Wir wollen ein Skills-basiertes Ökosystem in der Schweiz mitprägen. Darum sind wir Patronatsmitglied von openskills.ch», sagt Hamiyet Dogan, Head HR Schweiz. Weitere Schweizer Unternehmen, Bildungsinstitute, Verbände und Tech-Firmen sind eingeladen, diesem Beispiel zu folgen und einen Beitrag in Richtung eines völlig neuen Ökosystems zu leisten. 

Die kritische Frage am Schluss 

«Aber braucht es das wirklich?» Diese ketzerische Frage darf gestellt werden, vor allem mit Blick auf generative KI, die umfassende Sprachmodelle zur Verfügung stellt. Auf dieser Basis ist das Matching von Stellenausschreibung und CV bereits heute sehr gut möglich. Nur hat ein solcher Vorgang den Charakter einer «Blackbox» und ist für den Menschen nicht nachvollziehbar. Logische Folgefrage: Braucht es die Menschen in einem solchen Rekrutierungsprozess noch? Der Autor dieses Artikels ist überzeugt: ja! Wir kommen nicht umhin, uns in einem gemeinsamen Skills-Sprachraum wiederzufinden, der Klarheit schafft, über welche Skills wir sprechen, und nachvollziehen lässt, wo und wie wir Menschen unsere Skills entwickelt haben.   

Image
Skills Sprache

Grafik: zVg

Kommentieren 0 Kommentare HR Cosmos
Ralf Ploner

Ralf Ploner ist der Gründer der Initiative skills.ch und Berater bei der Avenir Consulting AG.
avenirgroup.ch

Weitere Artikel von Ralf Ploner

Das könnte Sie auch interessieren