Lernen im Unternehmen

«Die schweizerische Berufsbildung verfügt über 
ein äusserst starkes Innovationssystem»

Das Bundesamt für Berufsbildung und Technologie (BBT) ist das Kompetenzzentrum des Bundes für Fragen der Berufsbildung, 
der Fachhochschulen und der Innovationsförderung. Die Direktorin Ursula Renold erklärt, wie die Berufsbildung und der Arbeitsmarkt 
zusammenhängen und warum die Berufsbilder attraktiver und vielfältiger geworden sind.

Wie ist das Verhältnis Berufsbildung–
Arbeitsmarkt?

Ursula Renold: Berufsbildung zeichnet sich durch einen hohen Arbeitsmarktbezug aus: Ausgebildet wird, wo eine Nachfrage nach Qualifikationen in der Arbeitswelt besteht. Entwicklungen in der Wirtschaft spiegeln sich dadurch in der Berufsentwicklung wider. Die Reform der kaufmännischen Grundbildung ist ein typisches Beispiel, wie sich ein Berufsfeld einem veränderten Arbeitsumfeld angepasst hat.

Die Entwicklung der Berufe in der Schweiz ist enorm dynamisch. Es gibt über 200 berufliche Grundbildungen, und seit das neue Berufsbildungsgesetz 2004 in Kraft getreten ist, ist die Ausbildung konsequent kompetenzorientiert, praxis- und arbeitsnah erfolgt. Bis jetzt wurden 116 Berufe reformiert. Weitere 98 folgen bis 2015.

Sind Unternehmen auch mitverantwortlich für die Entwicklung der Bildungsangebote?

Ja. Die Organisationen der Arbeitswelt wissen, welche Kompetenzen in ihrem Berufsfeld gefragt sind, und bestimmen den Inhalt einer Ausbildung mit. Heute gibt es berufliche Grundbildungen in Bereichen, in denen dies früher gar nicht gefragt war, etwa im 
Gesundheits- oder Sozialwesen. Im niederschwelligen Bereich wurden in den letzten Jahren 26 Berufsbilder geschaffen, die den Absolventen einen eidgenössisch anerkannten Abschluss ermöglichen und damit zur Integration von Jugendlichen in den Arbeitsmarkt beitragen.

Können Sie einige Beispiele von verschwindenden und neu entstandenen Berufen nennen?

Davon gibt es viele. Im Hightech-Bereich wie Telekommunikation und Informatik ändern sich die Bedürfnisse rasant. So ist in den letzten Jahren der Bedarf an Elektronikern stark zurückgegangen. Die teilweise noch jungen Berufe wie Mediamatiker, Telematiker oder Detailhandelsangestellter Multimedia hingegen sind zunehmend gefragt und auch beliebt.

In der grafischen Industrie ist die technische Entwicklung im Bereich Printprodukte ebenso rasant. Seit 2009 gibt es den Reprografen und den Siebdrucker als eigenständige Berufe nicht mehr. Sie wurden als Fachrichtungen in das neu strukturierte Berufsbild Drucktechnologe/Drucktechnologin mit eidgenössischem Fachausweis EFZ integriert. Hingegen sind junge Berufe wie Polygraf oder Printmedienverarbeiter im Aufwind.

Sind die Berufsbilder vielfältiger geworden oder eintöniger?

Sie sind vielfältiger und in erster Linie 
attraktiver geworden, denn es sind Berufe, die den Einstieg in die Arbeitswelt mit vielen Karrierechancen ermöglichen. Das grosse Angebot und die hohe Durchlässigkeit zwischen den Bildungsbereichen erlauben es heute jedem, seine Laufbahn dem aktuellen Lebensabschnitt anzupassen. Die höhere Berufsbildung beispielsweise, die an die berufliche Grundbildung anschliesst, vermittelt spezifische Berufsqualifikationen und bereitet auf Führungs- und Fachfunktionen vor. So stehen rund 400 Berufs- und höhere Fachprüfungen sowie rund 400 Bildungsgänge an höheren Fachschulen zur Auswahl.

Hat sich die Berufsbildung geändert? Wird heute eher Basiskompetenz ausgebildet und später spezialisiert?

Einmal gelernt – für immer gelernt, gilt nicht mehr. Um in der Arbeitswelt bestehen zu können, müssen sich Menschen laufend neue Kompetenzen aneignen. Dabei ermöglicht die berufliche Grundbildung zwei Dritteln der Jugendlichen in der Schweiz den Einstieg in die Berufswelt und vermittelt Basiskompetenzen für das lebenslange Lernen.

Das BBT fördert Innovationen in der Berufsbildung besonders, was heisst das?

Unser Berufsbildungsgesetz ist als offenes Rahmengesetz konzipiert: Die Reformen wollen wir als Chance für die Weiterentwicklung und Modernisierung von neuen Lehrberufen nutzen. So ermöglicht Art. 54 des Gesetzes beispielsweise die Unterstützung von Innovationen bei der Entwicklung neuer Berufsbilder oder neuer Lernformen. Wichtig dabei ist, dass wir die Vernetzung und den Dialog mit unseren Berufsbildungspartnern sicherstellen. Die schweizerische Berufsbildung verfügt mit der Berufsbildungsforschung und der Förderung von Projekten zur Entwicklung der Berufsbildung über ein starkes Innovationssystem. Dieses wird von der OECD als wegweisend für andere Länder beurteilt, insbesondere der längerfristig angelegte Aufbau von Forschungskapazität an Hochschulen mit Schwerpunkten auf Grundsatzfragen der Berufsbildung.

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