Die Tücken und Chancen der grenzüberschreitenden Rekrutierung
Um neue Mitarbeiter zu rekrutieren, werfen die Arbeitgeber immer häufiger einen Blick über die Landesgrenze. Dieser Trend betrifft auch KMU, die so den Fachkräftemangel beheben möchten.
(Illustration: Ulrike Kobelius)
Die Suche nach Talenten im Ausland ist eine grosse Chance, sie erfordert jedoch auch Kenntnis der lokalen Gegebenheiten sowie der Bedürfnisse der potenziellen Mitarbeitenden. Bewerbende aus Deutschland finden beispielsweise auf der Website der Verkehrsbetriebe Zürich (VBZ) unter der Rubrik «Grüezi in Zürich» Informationen über das Arbeiten in der Schweiz. So wird etwa vorsorglich mitgeteilt, dass in der grössten Stadt der Schweiz «Züridüütsch» gesprochen werde, «ein auf den ersten Blick beziehungsweise Ton etwas eigenartiger Dialekt». Bereits im Jahr 2007 begannen die VBZ, ihre Rekrutierungsbemühungen wegen personeller Engpässe auf Deutschland auszuweiten: Dank Informationsveranstaltungen in Berlin, Leipzig und Dresden konnten die VBZ die offenen Stellen besetzen.
Bei der Allianz-Gruppe nehmen Auslandsrekrutierungen zu
Auch für die Allianz Suisse stellt der Fachkräftemangel eine Herausforderung dar. «Wir rekrutieren vor allem Spezialisten in der Financial-Services-Industrie, die im Regelfall gut ausgebildet sind, über ein Hochschulstudium verfügen und eine mehrjährige Berufserfahrung aufweisen können», so Rudolf Alves, Leiter Personal und Unternehmensentwicklung bei Allianz Suisse. Der Schwerpunkt der Rekrutierung liege auf Europa, wobei die Nationalität keine Rolle spiele. Dabei werde vor allem die E-Recruiting-Plattform genutzt, die an die internationale Konzernplattform angebunden sei.
«Wir verzeichnen eine hohe Resonanz auf unser Angebot. Die Schwierigkeit ist für uns weniger das Interesse als vielmehr die Herausforderung, die entsprechenden Spezialisten zu finden», so Alves. Als Global Player mit über 150 000 Mitarbeitenden weltweit greift der Versicherungskonzern auch auf eigene Talente zurück, die aus der Allianz-Gruppe in die Schweiz kommen. Der Personalleiter rechnet damit, dass die Rekrutierung von Fachspezialisten aus dem Ausland in den nächsten Jahren tendenziell leicht zunehmen wird: «Die Schweiz ist und bleibt ein attraktives Ziel für hochqualifizierte Zuwanderer.»
KMU suchen ihre Fachkräfte vermehrt auch im Ausland
Das derzeit stark expandierende Medi zinaltechnikunternehmen Arcomed in Regensdorf versucht immer häufiger, Kaderstellen auch durch Mitarbeiter aus dem Ausland zu besetzen. Im Ausland, vorwiegend in Deutschland und Österreich, sucht das KMU Fachkräfte wie internationale Verkäufer, Ingenieure und Sachbearbeiter. Vor allem aus dem grenznahen Raum erhält Arcomed relativ viel Rücklauf. Susen Akermann, Leitung Administration und Personal bei Arcomed, schätzt, dass es in Zukunft immer schwieriger sein wird, qualifiziertes Fachpersonal aus der Schweiz zu rekrutieren. Vor allem seien die geforderten Löhne mittlerweile für ein KMU fast nicht mehr zu tragen.
Das internationale HR wird laut Erhard Lüthi, Professor am Institut für Personalmanagement und Organisation der Fachhochschule Nordwestschweiz, in Zukunft zunehmen: «Im gleichen Mass werden auch die Anforderungen an HR-Leiter und ihr notwendiges Wissen zu diesen Themen steigen.» Gemäss Lüthis Einschätzung besteht die Notwendigkeit, Personal im Ausland zu rekrutieren, nicht nur bei international tätigen Grossunternehmen. «Wir stellen vermehrt fest, dass insbesondere im Bereich KMU das Thema Internationalisierung in den letzten Jahren gewaltig zugenommen hat.» Erhard Lüthi hat die Erfahrung gemacht, dass einige KMU vor allem aus dem Grund Personal im Ausland rekrutieren, weil sie Fachleute mit spezifischen Sach- oder Länderkenntnissen benötigen. Entweder um die Fachkräfte in der Schweiz zu beschäftigen oder um bei Auslandprojekten passende Personen mit länderspezifischen Eigenschaften vor Ort zu haben.
Online-Medien: wichtig bei der Rekrutierung im Ausland
Auf die erfolgversprechenden Methoden der Rekrutierung im Ausland angesprochen, verweist Erhard Lüthi für die Suche von einzelnen Personen im Executive- Bereich auf internationale Headhunter. «Wenn es darum geht, Graduates international zu rekrutieren, gehen manche Unternehmen Partnerschaften mit ausländischen Universitäten ein», so Lüthi. Weitere Kanäle sind fachspezifische Internetforen, Newsletter oder Fachzeitschriften. «Das Internet eignet sich sehr gut, um im Ausland Fachkräfte zu suchen. Aber mit einem Inserat in einer Fachzeitschrift kann ich auch potenzielle Kandidaten ansprechen, die nicht proaktiv suchen», räumt Erhard Lüthi ein.
Den Trend des Fachkräftemangels sieht Arnoud Middel, Head HR Switzerland bei Syngenta, nicht nur in der Schweiz, sondern zunehmend auch in den anderen Märkten. «Wir beobachten, dass für viele Profile der Arbeitsmarkt globaler und auch mobiler wird», sagt Middel. Für das Unternehmen sei entscheidend, die richtigen Kandidaten zu finden. Das könne im Inland oder im Ausland sein, hauptsächlich im Euroraum inklusive UK, in den USA, Asien und Lateinamerika. Im Bereich Hochschulabgänger rekrutiert Syngenta mit Hilfe von Informationsveranstaltungen an Absolventenkongressen ausgesuchter Universitäten; im Spezialistenbereich spielt auch die Zusammenarbeit mit externen Partnern eine Rolle. Die Bedeutung der Online-Rekrutierung wird laut Arnoud Middel künftig in allen Bereichen steigen: «Im In- und Ausland ist der Rücklauf an Bewerbungen über Online-Kanäle und Agenturen bei uns höher als über klassische Printmedien. Neben den klassischen Suchportalen wird insbesondere die Bedeutung der Social Media wie etwa Xing und LinkedIn zunehmen.»
Achtung auf die regionalen Besonderheiten bei Bewerbungen
Bei Auslandsrekrutierungen sollte immer auch auf regionale oder länderspezifische Besonderheiten geachtet werden. Beispielsweise die unterschiedlichen Bewerbungspraktiken. Erhard Lüthi: «So besitzen im angelsächsischen Raum Referenzen und Arbeitszeugnisse nicht dieselbe Bedeutung wie bei uns.» Selbst wenn die ausländischen Fachleute bereits rekrutiert und eingestellt sind, kann es Mängel in der Kommunikation geben. Erhard Lüthi ist der Meinung, dass in manchen Unternehmen die künftigen Mitarbeiter vor dem Umzug in die Schweiz zu wenig vorbereitet werden.
In einer Diplomarbeit am Institut für Personalmanagement und Organisation hat Lüthi untersuchen lassen, wie Expats aus Indien vorbereitet werden, um in der Schweiz zu arbeiten. Das Ergebnis erstaunte Erhard Lüthi: «Rund 60 Prozent der befragten Expats hatten vor der Abreise weder ein Kultur- noch ein Sprachtraining erhalten.» Dabei wäre eine ganz konkrete Vorbereitung oder eine Begleitung des Expats und seiner Familie vor Ort in der ersten Zeit von grossem Nutzen. Beispielsweise um beim Gang auf die Gemeinde, wo häufig Informationen in englischer Sprache fehlen, behilflich zu sein.
Gemäss Lüthi sind dies zwar Kleinigkeiten, können aber einen grossen Beitrag leisten, um einem ausländischen Mitarbeiter dazu zu verhelfen, sich am neuen Ort wohl zu fühlen.
Das muss bei der Rekrutierung im Ausland beachtet werden
- Bewerbungspraktiken im Ausland unterscheiden sich oft von denjenigen in der Schweiz. Bewerbungstools wie das Einholen von Referenzen und das Arbeitszeugnis haben im Ausland oft einen weniger hohen Stellenwert als in der Schweiz.
- Je nach Kulturkreis werden Interviews anders geführt. Im arabischen Raum beispielsweise spielen im Vorstellungsgespräch private Komponenten, wie das Erkundigen nach der Familie, eine grössere Rolle als bei uns.
- Themen wie Arbeitsbewilligungen oder Mehrkosten durch Flug, Hotelübernachtungen oder Videokonferenzen sollten nicht vergessen gehen.
- Oft lohnt es sich, Personal im Ausland durch eine Zweigstelle einer Personalvermittlung zu rekrutieren, die man von der Zusammenarbeit aus dem Inland schon kennt.
- Bei der Vorbereitung der künftigen Mitarbeitenden aus einem anderen Land dürfen die kulturellen Aspekte nicht unterschätzt werden.
In Zusammenarbeit mit Professor Erhard Lüthi, FHNW