Porträt

Diversity: Wenn «Andersartige» nicht nur akzeptiert, sondern sogar begehrt sind

Nia Joynson-Romanzina ist oberste Diversity-Verantwortliche der Swiss Re. Und damit zuständig für die Vielfalt unter den Angestellten. Vielfältig ist auch ihr eigener Weg, der sie quer durch Europa und in verschiedene internationale Organisationen führte. Heute kommt ihr eine Menschenrunde mit nur einer Nationalität ziemlich spanisch vor.

Nia Joynson-Romanzina, seit Mitte 2010 Head Global Diversity & Inclusion bei der Swiss Re, weiss, was es bedeutet, «anders» zu sein. Sie wuchs auf in Wales, ihre Sprache Walisisch beherrschen weniger als 3 Millionen Menschen. «Ich gehörte einer Minorität an», sagt sie, «wir mussten uns immer wieder für unsere Rechte einsetzen. Mussten dafür kämpfen, unsere Sprache sprechen zu dürfen, ­einen Fernsehsender in unserer Sprache zu haben.» Das Kämpfen für die eigene Identität hat Nia Joynson-Romanzina die ersten zwanzig Jahre ihres Lebens begleitet, umso mehr, als sie in einer politisch aktiven Familie aufwuchs.

Heute arbeitet sie in der Swiss Re daran, eine Firmenkultur zu ermöglichen, in der «Andersartige» nicht nur akzeptiert, sondern willkommen, ja sogar begehrt sind. Diversity bedeutet, dass das Unternehmen unterschiedlichste Menschen anstellt und von deren verschiedenen Perspektiven profitiert. Wobei die Verschieden-artigkeit sich nicht nur auf äussere und sichtbare Merkmale wie Geschlecht oder Ethnie bezieht, sondern vor allem auch auf innere und unsichtbare Prägungen wie Kultur, Werte, Bildung, Religion, die sexuelle Ausrichtung, die Art, wie man auf andere Menschen zugeht, etc.

Wales – Italien – Schweiz: in drei Kulturen zu Hause

Der Hauptaspekt ihrer Arbeit ist die Inclu­sion, die nötig ist, damit Diversity überhaupt funktionieren kann. Inclusion bezeichnet eine Atmosphäre, in der Menschen nicht ­aus-, sondern eben miteingeschlossen werden, in der sie sich zugehörig fühlen. Eine Atmosphäre, in der man sich respektiert fühlt, in der jeder seine Ideen einbringen und jede erfolgreich sein kann – introvertierte und stille Mitarbeitende genauso wie extravertierte und lebhafte Personen, die gerne «laut» denken.

Nia Joynson-Romanzina hat nicht nur das nötige Verständnis für ihren Job, sie bringt auch auf der Kulturebene die richtigen Voraussetzungen mit: Sie kennt drei unterschiedliche Kulturen von innen. Direkt nach ihrem Universitätsabschluss verliess sie Wales, um berufliche Erfahrungen zu sammeln, ohne festen Plan. Es verschlug sie nach Rom, wo sie zur Überbrückung Englisch unterrichtete, bevor sie einen sechsmonatigen Abstecher nach Brüssel unternahm und einen Stage bei der Europäischen Kommission absolvieren konnte. Zurück in Rom, war sie dann für unterschiedliche internationale NGO tätig, schliesslich arbeitete sie für mehrere Jahre als Information Manager bei der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisa­tion der Vereinten Nationen.

Ständig mit Leuten aus aller Welt zu arbeiten, ist ihr so sehr ins Blut übergegangen, dass sie es als sehr ungewohnt empfindet, wenn bei einer Dinner­party nur Leute einer einzigen Nationalität um den Tisch sitzen.

Nach rund 20 Jahren Wales und zehn Jahren Italien hat sich Nia Joynson-Romanzina für ihr viertes Jahrzehnt in der Schweiz niedergelassen. Mit ihrem Schweizer Mann und ihren 7- und 14-jährigen Töchtern lebt sie heute in Horgen und verfügt über eine breite persönliche Erfahrung mit verschiedenen Arbeits-Familien-Modellen. So war sie während ihrer Zeit bei den Vereinten Nationen eine vollzeitarbeitende Mutter mit Nanny, danach widmete sie sich fast ausschliesslich der Familie, mit einigen wenigen sporadischen Einsätzen als Freelancerin. Heute ist sie in einem 80-Prozent-Pensum angestellt, wobei sie 100 Prozent arbeitet, aber dafür einige Wochen mehr Ferien beziehen kann. Das gibt ihr die Möglichkeit, während aller Schulferien für ihre Töchter präsent zu sein.

Eine Familie, in der Führungsrollen die Norm sind

Im Privatleben wird sie regelmässig konfrontiert mit der Ansicht, dass Mütter nicht arbeiten sollten. Und wenn, dann zumindest nicht in Toppositionen. «Ich hoffe zutiefst, noch zu meinen Lebzeiten eine Änderung dieser sozialen Norm sehen zu können», sagt Joynson-Romanzina. «Ich wünsche mir, dass es für Frauen akzeptabel ist, dass sie arbeiten wollen, und dass sie das auch können. Und dass weiblicher Ehrgeiz im Beruf sozial akzeptiert wird.»

Denn für sie ist das selbstverständlich. In ihrer Familie wurde, wenn es um die Karriere ging, nie zwischen Mädchen und Jungs unterschieden: «Mir wurde immer gesagt, dass ich Ärztin werden könnte – und nicht Krankenschwester – oder Anwältin – und nicht Anwaltsgehilfin oder Assistentin.» In ihrer Familie gab und gibt es Leader im politischen, medizinischen und sozialen Bereich. Und so sprach man immer davon, Führungsrollen einzunehmen anstelle von unterstützenden und zudienenden Rollen. 

Als sie nach ihrem beruflichen Unterbruch 2008 wieder ins Berufsleben einsteigen wollte, empfand sie diesen Einstieg als gar nicht so einfach und nahm daher eine Stelle an, für die sie überqualifiziert war. «Ich hatte hier noch kein gutes berufliches Netzwerk, traute mir selber zu wenig zu und war einfach nur froh, eine Stelle gefunden zu haben. Daher sagte ich viel zu rasch zu. Doch schnell habe ich realisiert, dass dies ein Fehlentscheid war, und habe begonnen, mich weiter umzusehen», erklärt sie.

Überzeugungsarbeit ist gefragt, deshalb redet sie viel. Sehr viel sogar

So wurde sie Web-Redaktorin bei der Man Investments Group, wechselte später zur Swiss Re als Web-Chefredaktorin, und als sie vom Rücktritt ihrer Vorgängerin Helena Trachsel erfuhr, bewarb sie sich sofort auf eine der beiden neu aufge-setzten Positionen und erhielt die Diversity-&-Inclusion-Stelle.

Hier kommt Nia Joynson-Romanzina nun ihre Entschlossenheit zugute, für Dinge, an die sie glaubt, einzustehen und zu kämpfen. Denn Diversity & Inclusion (D & I) ist nicht etwas, was alle Leute ohne weiteres verstehen und gleich verinnerlichen. Deshalb muss es ihnen nahegebracht werden. Und da Kulturänderungen von oben kommen und vorgelebt werden müssen, braucht es dort Überzeugungsarbeit.

Entsprechend redet Joynson-Romanzina viel. Sehr viel sogar. Das macht sie gern, und sie ist auch geübt darin. Einerseits weil sie als Schülerin eine Passion fürs Theater hatte, ­sogar Schauspielerin werden wollte. Andererseits hat ihr ihre bisherige Karriere genügend Übungsmöglichkeiten geboten. «Bei den Vereinten Nationen, als Mitglied von departementsübergreifenden Ausschüssen, ergab es sich oft, dass ich mit meinen 26 Jahren die einzige Frau in einem Raum voller Männer über 40 war», blickt Nia Joynson-Romanzina zurück.

Um die eigenen Anliegen in solchen Konstellationen, oft auch vor hohen Politikern, durchzubringen, müsse man wissen, wie man sich Respekt verschafft und glaub-würdig wirkt. Nia Joynson-Romanzinas Rezept: «Zeig es nicht, wenn du Angst hast oder scheu bist. Die Leute müssen das Gefühl ­haben, dass sie sich auf das, was du sagst, verlassen können.» Italien hat ihr dabei ­geholfen, selbstbewusst aufzutreten: «Dort sind Frauen stolz auf ihre Weiblichkeit.» ­Dieses Gefühl auf eine gute Art in den Beruf zu übernehmen, bringe einen Vorteil, der sich besonders auszahlen kann, wenn man die einzige Frau im Raum sei.

Eine Diversity, die über die Firmengrenzen hinausgeht

Die Kommunikationsskills, die sich Nia Joynson-Romanzina bei den Vereinten Nationen erarbeitete, helfen ihr heute nicht nur in der Swiss Re. Denn sie ist oft unterwegs, um ihr Thema auch extern vorzutragen, beispielsweise bei Kunden von Swiss Re und auch sonst interessierten Organisationen. Das kann ein Vortrag vor der Zürcher Stadtpräsidentin ­Corine Mauch und führenden Mitgliedern der Stadtverwaltung sein genauso wie ein Auftritt bei der kanadischen Vereinigung der Versicherungsfrauen. Durchschnittlich zweimal pro Monat ist sie für ihre Hauptanliegen im Ausland unterwegs.

Um im eigenen Unternehmen den kulturellen Wechsel voranzutreiben, hat Nia Joynson-Romanzina in ihren eineinhalb Jahren als oberste Diversity-Verant-wortliche D-&-I-Strategien, -Netzwerke, -Champions und einiges mehr etabliert (siehe Kasten).

Wer sich mit D&I auseinandersetzt, reflektiert automatisch auch seine eigene Persönlichkeit. Die D-&-I-Chefin steht da natürlich zuvorderst: «Es ist fantastisch, wie viel man bei dieser Arbeit über sich selbst lernt», schwärmt die Waliserin, «über seine Stärken und Schwächen, über die eigenen unbewussten Vorurteile, die wir alle haben – es ist eine richtige Persönlichkeitsentwicklungsreise!»

Auf dieser Reise haben sich ihr etwa die Gegensätze bei persönlichen Präferenzen in den Weg gestellt. «Ich bin ein ‹Big Picture Thinker› wie auch ein extravertierter Mensch, der laut denkt», sagt Nia Joynson-Romanzina. Früher war ihr nicht bewusst, dass ihre Denk- und Diskussionsart jenen Leuten Mühe bereitet, die es vorziehen, Ideen zu verinnerlichen, und die mehr Zeit brauchen, um ihre Gedanken auszudrücken. Diese würden nicht von einem Gedanken zum nächsten hüpfen, sondern auf einzelne Ideen genauer eingehen wollen. «Heute weiss ich, dass ich in der Diskussion mit solchen Leuten auch Platz lassen muss für ihre Sicht- und Diskussionsweise.»

Exaktes Planen oder eher «Go with the flow»?

Solche unterschiedlichen Präferenzen können schnell zu Missverständnissen oder gar Streit führen, im Büro wie auch privat. Zum Beispiel auch, wenn der Logisch-Analytische mit einem «Bauchmenschen» zu tun hat. Oder wenn die exakte Planerin auf eine Frau trifft, die das Konzept «Go with the flow» praktiziert. In diesen beiden Präferenzen will sich Nia Joynson-Romanzina nicht festlegen. Denn sie kann sowohl sehr strukturiert, aber auch das Gegenteil sein.

Das Problem mit dem Businesslunch oder: die vollen Schweizer Agenden

Hier sieht sie einen Einfluss ihres Umfeldes: «In Italien agiert man eher nach dem ‹Go with the flow›-Prinzip und ist eher unstrukturiert. In der Schweiz ist es umgekehrt.» Das bedeutete für Joynson-Romanzina auch, dass sie, als sie in die Schweiz kam, sich zuerst einmal an die hiesigen vollen Agenden gewöhnen musste. Denn in Italien plane niemand eine Dinnerparty drei Monate im Voraus. Geht es nicht um etwas ganz Spezielles, so sei eine Woche das Maximum an Vorausplanung. Und auch im Berufsleben sind die Agenden freier. «Als ich hier einmal spontan mit einer Kollegin zum Businesslunch gehen wollte, zog sie mich noch Monate später damit auf, dass ich sie nicht zwei Wochen, sondern nur zwei Stunden zuvor angefragt hätte.»

Die Persönlichkeitsentwicklungsreise führt auch dorthin, wo es ungemütlich wird, wo man seine Komfortzone verlassen muss. Wann ist das bei Joynson-Romanzina der Fall? «Wenn ich vor vielen Leuten Deutsch sprechen muss, wie das in jenem Vortrag vor der Zürcher Stadtverwaltung der Fall war. Das war sehr weit ausserhalb meiner Komfortzone.»

Nia Joynson-Romanzina und ihr Mann arbeiten viel. Das Wochenende aber halten sich beide möglichst frei. Da geniessen sie die Zeit mit der Familie, manchmal in Klosters, wo sie eine Ferienwohnung haben, beim Skifahren oder Wandern. Sie lesen oder gehen ins Kino. «Und ganz besonders lieben wir es, unsere Freunde zu bekochen.»

Diversity & Inclusion in der Swiss Re

Nia Joynson-Romanzinas Position, Head Global Diversity & Inclusion (D & I), ist im HR angesiedelt. Seit 
sie vor eineinhalb Jahren diese Stelle angetreten hat, hat sie eine D-&-I-Strategie ausgearbeitet, regionale D-&-I-Gremien in Asien, Europa und auf dem amerikanischen Kontinent ins Leben gerufen und weltweit über 30 D-&-I-Champions (alle auf Executive-Management-Stufe) ernannt. Durch Letztere wird die Kultur im Unter-nehmen verbreitet, die Diversity, also Vielfalt, überhaupt erst ermöglicht. Global gibt es drei Schwerpunkte: Frauen in Führungspositionen, Work-Life-Effectiveness und das Bewusstmachen von unbewussten -Vorurteilen. Aber je nach Kontinent existieren verschiedene Prioritäten.

Auf HR-Stufe geht es darum, D-&-I-Ziele in die HR-Richtlinien aufzunehmen. Ein wichtiger Erfolg dieser Bemühungen ist beispielsweise, dass bei offenen Jobs die Kandidatenlisten dem Diversity-Kriterium entsprechen müssen, weshalb sie von einem D-&-I-Champion abgesegnet werden. Zudem besuchen neue Mitarbeitende und neuernannte wie auch bestehende Führungskräfte D-&-I-Trainings.

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Franziska Meier ist Redaktorin und Produzentin mit langjähriger Erfahrung im Zeitungs- und Zeitschriftenbereich. Als Chefredaktorin des Magazins «fit im job» sowie als Fachredaktorin der Zeitschrift «HR Today» hat sie sich auf das Thema «Mensch, Arbeit & Gesundheit» spezialisiert. Zu ihren journalistischen Schwerpunkten gehören insbesondere Persönlichkeitsentwicklung, Coaching, Stressprävention und betriebliches Gesundheitsmanagement. Achtsamkeit praktiziert sie manchmal im Schneidersitz, öfter jedoch auf ihren Spaziergängen rund um den Türlersee.

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